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04.2
Gedichte
Selma
Meerbaum-Eisinger
Ich
bin in Sehnsucht eingehüllt
zuerst erschienen im Verlag
Hoffmann & Campe, Hamburg, 1980
(ISBN
978-3-455-40121-9)
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Der Blütenlese Zweiter Teil Teeblüten
Vormittag
01.08.1941
Der Wind
singt sein Schlaflied
mit
träumendem Rauschen,
die
Blätter umschmeichelt er weich.
Ich
laß mich verführen, dem Liede zu lauschen,
und
fühl' mich den Gräsern gleich.
Es
schauern die Lüfte
und
kühlen mein heißes,
in
Sehnsucht gehülltes Gesicht.
Die
ziehenden Wolken verstreuen ihr weißes,
der
Sonne gestohlenes Licht.
Die
alte Akazie
verrieselt
ihr Schweigen
in
zitterndem Blättergewirr.
Die
Düfte der Erde erheben sich, steigen
und
fallen dann wieder zu mir.
zurück
Des Regens starker Gesang
wird zum Rauschen,
Das
voller und voller erklingt.
Es
schweigt selbst der Wald, um dem Liede zu lauschen,
Das
der strömende Himmel ihm singt.
Es
schäumen mit wuchtendem Anprall die Wasser
Vom
Himmel zur Erde herab.
Es
rasen die Ströme des Regens in nasser,
Wild
stürzender Wut, die der Blitz ihnen gab.
Es
duckt sich und beugt ihren Rücken die Erde
Unter
dem peitschenden Sausen.
Wie
vom Hufschlag einer hinrasenden Herde
Ist
die Luft erfüllt von dem Brausen.
Dann
wird das Rauschen zum raunenden Schallen,
Zum
Murmeln von müder Süße.
Auf
die Dächer vereinzelte Tropfen fallen
Wie
ferne, glückstrunkene Küsse.
zurück
Weisse Chrysanthemen
Bleistiftskizze
28.09.1941
Ein
Haarsträhn wie ein feiner Schatten in die Stirn,
darüber
seidig weich die dunkle Fülle.
Der
Mund - ein trutz'ges Zeugnis stolzer Kühle,
betont
durch leichten, schwarzen Flaum.
Das
helle Braun der Augen mildert kaum.
Die
Zähne scheinen stark und weiß nach vorne sich zu drängen
und
ganz so störrisch wild die schwarzen Brauen.
Doch
wenn die Augen in die Ferne schauen,
dann
will ein Zug von Sehnsucht in den Stolz sich mengen.
Darüber
wölbt die Stirne sich in leicht gewölbtem Bogen,
die
feine Nase setzt sie, aufwärtsstrebend, fort.
Der
schlanke Hals ist in die Harmonie mit einbezogen —
ein
bißchen Braun, ein bißchen bleich— ein starker Dur-Akkord.
zurück
Stefan
Zweig
24.12.1941
Leuchtendes,
glühendes, rauschendes Leben
springt
an und reißt mit und läßt keinen mehr los,
macht
heiß und macht kühn und macht freudig und groß,
rüttelt
auf und macht wacher mit kraftvollem Stoß,
läßt
die Fluten von Glanz nie und nimmer verebben —
packt
dich und hält dich und sprudelt dich an.
Sturzflut
erfaßt dich und rast mit dir fort —
was
kein Wildbach, kein Wirbel, kein Hochwasser kann,
hat
dies Atmen vieltausende Mal schon getan,
dieses
heiße, verzehrende, glasklare Wort.
Kühl
dann und still wie ein nordischer See,
glitzernd
und weich wie frisch fallender Schnee,
sieht
es uns an wie viel uraltes Gold,
das
altrot und schwer durch die Finger rollt
und
schön ist wie sonst nur unsagbarer Traum,
der
dich ansieht, tiefleuchtend aus dunkelndem Raum —
und
bäumt sich dann auf, als besinne es sich,
und
packt wieder an und reißt wieder mit,
schreit
dich an, lacht dich an, weint dich an: das bin ich!
Und
es packt dich ein Sehnen, das süß ist und zieht,
ein
Sehnen nach Menschen, ein heißes: „versprich!“
und
dann klingt es aus wie ein Nachtigall-Lied.
zurück
Das Glück
18.08.1941
Schlafen
möcht' ich,
Der
Wind wiegt mich ein,
Und
die Sehnsucht singt mich zur Ruh'.
Weinen
möcht' ich.
Schon
die Blumen allein
Flüstern
Tränen mir zu.
Sieh
die Blätter:
Sie
blinken im Wind
Und
gaukeln Träume mir vor.
Ja
und später —
Lacht
wo ein Kind,
Und
irgendwo hofft ein Tor.
Sehnsucht
hab' ich
Wohl
nach dem Glück?
Nach
dem Glück.
Fragen
möcht' ich:
Kommt
es zurück?
Nie
zurück.
zurück
Sonett
18.08.1941
Schau, dort kommen
Melodien
durch
den Tag gezogen.
Wie
den lang gespannten Bogen
höre
ich ihr Tönen ziehn.
Warum
geben sie sich hin
allen,
die da stehn?
Könnten
sie nicht einzig blühn
nur
für die, die sehn?
Und
so sprechen sie mich an,
mich,
die sie nicht tragen kann,
denn
ich bin so müd.
Und
so steh' und klinge ich
voll
von Sehnsucht, die verblich
und
die weinend schied.
zurück
Sonne im August
23.08.1941
Gleich einer Symphonie in
Grün
durchpulst
von Licht und Duft und Glanz
ziehn
Wiesen sich und Hügel hin
erfüllt
von buntem Blumentanz.
Die
Wege liegen lang im Wind,
und
alle Birken neigen sich.
Und
wenn die Gärten verlassen sind,
dann
sind sie es nur für mich.
Die
Bänke stehen wartend da,
die
Gräser wiegen her und hin,
und
manchmal scheint der Himmel nah,
und
lange Vogelschwärme ziehn.
Und
alles ist tief eingetaucht
in
Lächeln und in Einsamkeit.
Mit
Gold ist alles angehaucht,
und
eine Elster schreit.
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Tränenhalsband
06.11.1941
Die Tage lasten schwül
und schwer, voll wildem, bangem
Weh.
Es ist in mir so kalt und leer, daß ich vor Angst
vergeh'.
Die
Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon lange fort.
Schon seh' ich keine Aster blühn, und auch die letzten
Falter fliehn, die Berge sind mit Herbst umflort.
Ich
bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich nach dir.
Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt die Welt und mich
mit ihr.
Der
Regen, der eintönig rauscht, begleitet meinen Sang.
Und wer dem Regenliede lauscht und wer sich an dem
Weh berauscht, der hört auch meines Liedes Klang.
Nur
du allein, du hörst es nicht — ach, weiß ich denn,
warum? Und wenn mein Lied einst gell zerbricht, du
bleibst auch kalt und stumm.
Dir
macht es nichts, wenn jeder Baum mitleidig fleht: so
höre! Du gehst vorbei und siehst mich kaum, als wüßtest
du nicht meinen Traum, und 's fällt dir nicht mal
schwer.
Und
doch bist du so bleich bedrückt, wie einer der
versteht, der seine Seufzer schwer erstickt und schwer
beladen geht.
Und
doch ist Weh in deinem Blick, um deine Lippen Leid.
Verloren hast du wohl das Glück, es kommt wohl
nimmermehr zurück, und du — du bist „befreit“.
Nun
ja, das Glück war dir zu schwer, du hast es hastig-
wild verstreut, und nun sind deine Hände leer, es füllt
sie nur noch Einsamkeit.
So
stehst du da und wirfst den Kopf mit starrem Trotz
zurück, und sagst, was du ja selbst nicht glaubst — „Ich
pfeife auf das Glück!“
Und
dann, wenn es schon längst vorbei, stehst du noch da
und starrst ihm nach, dann sehnst du es so heiß herbei,
es ist dir nicht mehr einerlei — dann bist du plötzlich
wach.
Zurück
jedoch kommt es nie mehr — denn rufen willst du
nicht, und wäre die Leere so unendlich schwer, daß dein
Rücken darunter bricht.
So
tragen wir beide dasselbe Leid, ein jeder für sich allein.
Mich krönt aus Tränen ein schweres Geschmeid' und
dich ein Sehnsuchtsedelstein.
Und
der Wind singt uns beiden den ewigen Sang von
Sehnen und Verzicht, doch auch wenn es dir zum
Sterben bang — du rufst mich trotzdem nicht.
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Es ist
so viel buntes geschehen
06.11.1941
Es ist so viel buntes
Geschehen
so
viel lebendes Leben um mich —
ich
könnte atmen und sehen
und
könnte das Schönste verstehen,
wenn
ich eines nicht hätte: dich.
So
aber bist du mir das Leben,
und
das andre ist stumpf und leer.
Und
alle Wellen verebben
und
können mir gar nichts geben,
das
so fern wär' wie du und so schwer.
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