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04.2
Gedichte - Edgar Allen Poe
I.
Hört
die Schlittenglocken, die hellen,
Die
fröhlichen, silbernen Schellen!
Wie
sie klingen und klingen und klingen
Zu
der Rosse feurigen Sprüngen,
Wie
es ringsherum blinkt und blitzt,
Wie
die Sterne glitzern und flinkern,
Daneben
blinzeln und zwinkern
Halb
verschmitzt!
Und
im Mondlicht tanzen die Feyn
Einen
seltsamen Runenreih’n
Bei
den demantbestreuten Erlen
Zu
den tönenden Silberperlen.
Und
es klingt, klingt, klingt,
Und
es dringt, dringt, dringt
Weithin,
weit, weit, weit, weit, weit
Das
klingende, das singende Geläut.
II.
Hört
die Hochzeitsglocken, die weichen,
Die
goldenen, sangesreichen!
Wie
sie wogen und wallen,
Wie
sie schallen und hallen
In
schmelzenden, schönen,
Verwehenden
Tönen
Durch
die schimmernde Nacht,
Während
hoch im Blauen
Der
Mond mit schlauen
Schalksaugen
lacht.
O
welch brausende Wogen schwellen
Aus
den tönenden, dröhnenden Zellen!
Hört,
wie sie schwellen,
Wie
sie entquellen
Den
erzenen Kehlen,
Sich
wonnig vermählen,
Anmuthig
erzählen
Von
der Liebe, die bleibt,
Von
der Lust, die sie treibt,
Sich
zu schwingen, zu klingen,
Weithin,
weit, weit, weit, weit, weit –
Mit
tönendem, mit sehnendem Geläut!
III.
Die
Sturmglocken hört, aus Erz, aus Erz!
Wie
zittert dabei das Menschenherz.
Von
eisernen Fäusten gepackt,
Sausen
sie aufwärts, scheuen
Wie
wilde Rosse und schreien,
Und
schreien und schreien und schreien
Einen
gellenden Chor
Der
Nacht ins Ohr
Ohne
Takt.
Ihr
eignes, gespenstisches Grausen
Heulen
sie aus und brausen
Im
Klageruf an das Feuer,
Das
wahnsinn’ge Ungeheuer,
Und
wälzen sich höher und höher,
Dem
Monde näher und näher,
Vom
hölzernen, morschen Gerüste
Treibt
sie ein tolles Gelüste,
Sie
klirren zusammen und schwirren
In’s
Blaue und irren und irren,
Und
tollen und tollen und tollen,
Und
rollen und rollen und rollen
Auf
den zuckenden Busen der Nacht
Ein
bleiches, starres Entsetzen
Und
wecken die Schläfer und hetzen
Sie
aus der nächtlichen Ruh.
Die
stürzen blindlings hinzu,
Mit
stockendem Athem zu lauschen
Dem
fluthenden, ebbenden Rauschen
Der
grausen Gefahr,
Aus
dem ebbenden, fluthenden Läuten
Den
Grimm des Feuers zu deuten,
Mit
fliegenden Pulsen zu hören,
Aus
der Glocken Schallen und Gellen,
Aus
dem rasselnden, klirrenden Schellen
Das
furchtbare Wallen und Gähren
Der
Feuersgefahr –
Und
es jammert die zitternde SchaarIn der Not,
die
so fürchterlich dräut,
Weithin,
weit, weit, weit, weit, weit –
Mit
gellendem, zerschellendem Geläut.
IV.
Hört
den eisernen Glockenklang!
Wie
bang, wie bang, ein Trauergesang!
O,
wie wir angstvoll schaudern und beben,
Wenn
sie des Nachts die Stimmen erheben,
Wie
wir den Himmel suchen mit scheuen,
Erschrockenen
Blicken, wenn sie so dräuen!
O,
wie erschauert unsre Seele,
Wenn
sie so hoffnungslos gramvoll tönen,
Wenn
jeder Laut ihrer rostigen Kehle
Ein
Stöhnen!
Und
im Turm allein
Jene
knöcherne Sippe,
Jene
fahlen Gerippe,
Allein,
allein,
Es
sind nicht Männer, nicht Weiber,
Nicht
Tier- und nicht Menschenleiber,
Es
ist Gebein!
Es
sind nachtwandelnde Geister
Und
ihr König, das ist der Meister,
Und
er zieht, und er zieht, und er zieht
Aus
den Glocken ein schauerlich Lied,
Und
er rollt mit teuflischer Lust
Auf
die zuckende Menschenbrust
Einen
Stein.
Und
er zieht den ächzenden Strang
Zu
einem Triumphgesang,
Und
er jubelt und jauchzet wild,
Und
sein fröhlicher Busen schwillt,
Und
er tanzt zu den Melodei’n
Einen
seltsamen Runenreihn
Und
schwingt den ächzenden Strang
Zu
einem Triumphgesang,
Und
er schwingt, und er schwingt, und er schwingt
Auf
und ab, auf und ab, auf und ab,
Und
er winkt, und er winkt, und er winkt
In
das Grab, in das Grab, in das Grab,
Und
er tanzt und jubelt und streut,
Weithin,
weit, weit, weit, weit, weit –
Das
klagende, verzagende Geläut.
__________________________
Titel:
"Die
Glocke", Ausgewählte Gedichte
Edgar Allen Poe - 1. Auflage 1891 –
Verlag
des bibliographischen Bureaus, Berlin, S. 24-29,
Übersetzer:
Hedwig Lachmann
Gemeinfrei
Quelle
Logo73: Exterior
of Gare Saint Lazare -
Das Signal, Claude Monet,
1877, gemeinfrei
wikimedia.org
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