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04.2
Gedichte - Edgar
Allen Poe
Ulalume
Die
Wolken türmten sich mächtig,
Die
Blätter waren verdorrt,
Sie
waren kraus und verdorrt,
Es
war Oktober und nächtig
An
einem unseligen Ort.
Es
war nahe dem bleiernen Wasser,
Das
da so verschlafen steht,
Am
Hain, wo des Nachts sich ein blasser,
Hohläugiger
Schwarm ergeht.
Die
Gegend schroff und titanisch,
Durchstreift’
ich mit Psyche allein,
Meiner
Seele, Psyche, allein,
Zur
Zeit, da mein Herz noch vulkanisch,
Wie
die Berge, die rastlos spei’n,
Die
Feuerströme ausspei’n,
Wie
der Berg am Nordpol, der kreißend
Ein
flammendes Meer gebiert,
Das
sich gewaltsam und reißend
Hinunterstürzt
und verliert,
Hinunterwälzt
und verliert.
Unsre
Rede war ernst und gemessen,
Die
Gedanken welk und verdorrt,
Die
Gedanken lahm und verdorrt.
Das
Gedächtnis war pflichtvergessen,
Denn
es mahnte uns nicht an den Ort,
An
die Zeit nicht, und nicht an den Ort.
Wir
ahnten nicht Ort und nicht Stunde
Und
nicht den Monat im Jahr,
Den
unsel’gen Monat im Jahr,
Dass
es nahe dem heimlichen Grunde
Und
dem bleiernen Wasser war.
Und
da nun die Nacht sich neigte
Und
der Zeiger der Sternenuhr,
Der
himmlischen Sternenuhr
Dem
Tag zustrebte, da zeigte
Sich
ein nebliger Schein am Azur.
Und
diesem weißlichen, zarten
Duftschleier
entschwebte zuletzt
Das
Diadem von Astarten
Mit
Diamanten besetzt.
Und
ich sprach: Sie ist wärmer und milder
Als
die keusche Schwester Apoll’s,
Die
flinke Schwester Apoll’s.
Diana
ist feuriger, wilder,
Doch
innerlich kühl und stolz.
Sie
aber wandelt durch Sphären
Von
Seufzern und wirft ihr Licht,
Ihr
sanftes, freundliches Licht
Auf
die nimmer trocknenden Zähren
Im
gramvollen Erdengesicht.
Und
kommt durch das Sternbild des Löwen
Und
weist uns den Weg zum Glück,
Den
Weg durch Lethe zum Glück
Und
kommt durch die Höhle des Löwen,
Erwärmt
uns mit Ihrem Blick,
Mit
ihrem liebenden Blick.
Da
sah ich Psyche erschaudern.
Sie
sprach: Ich trau’ ihr nicht,
Ich
trau’ dieser Blässe nicht.
O
komm, o lass’ uns nicht zaudern,
Ich
fürchte dies weiße Licht,
Dies
weiße, flackernde Licht.
Eine
Angst, unbeschreiblich, unsäglich
Durchbebte
sie, während sie sprach,
Während
so hastig sie sprach,
Sie
schluchzte und schleppte kläglich
Ihre
Schwingen am Boden nach,
Die
Schwingen im Staube nach.
Ich
erwiderte: Du siehst Gespenster,
Lass
uns tauchen in dieses Meer,
Dies
kristallene, leuchtende Meer,
Sein
Raum ist ein unbegrenzter,
Sieh
nur, hin wogt es und her,
Es
zittert und wogt hin und her,
Es
strahlt und flutet im Blauen
Mit
wahrhaft sibillischer Pracht,
Glaub’
nur, wir dürfen ihm trauen,
Es
leuchtet uns durch die Nacht,
Wir
dürfen dem Wegweiser trauen,
Denn
er leuchtet zu Gott durch die Nacht.
So
suchte ich sie zu beschwicht’gen
Und
küsste sie brüderlich warm,
Ich
küsste sie zärtlich und warm,
Und
ich sah ihre Angst sich verflücht’gen
Und
wir eilten voran Arm in Arm.
Durch
dunkle Cypressenalleen
Und
atmeten ihren Duft –
Da
blieben wir plötzlich stehen
Vor
der Türe zu einer Gruft,
Zu
einer mystischen Gruft.
Und
ich sprach: Was sagt dieser stumme,
Bedeutsame
Mund von Stein?
Da
erwiderte sie: Ulalume –
Hier
ruht Ulalumens Gebein,
Deiner
Ulalume Gebein. –
Da
ward stumpf mein Herz und ohnmächtig,
Und
wie die Blätter verdorrt,
Wie
die Blätter welk und verdorrt.
Ja,
Oktober war es und nächtig,
Rief
ich aus und an diesem Ort,
Ich
erkenne deutlich den Ort.
Am
Teich erging sich ein blasser,
Hohläugiger,
grinsender Schwarm,
Und
ich irrte an diesem Wasser
Eine
schaurige Bürde im Arm,
Ein
kalte Bürde im Arm. –
Die
Wolken türmten sich mächtig,
Die
Blätter waren verdorrt.
Es
war Oktober und nächtig
An
einem unseligen Ort.
______________________________
Titel:
"Ulalume",
Ausgewählte Gedichte Edgar Allen Poe -
1. Auflage 1891 –
Verlag des bibliographischen Bureaus,
Berlin, S. 30-34, Übersetzer:
Hedwig Lachmann
Gemeinfrei
Quelle
Logo73: Exterior
of Gare Saint Lazare - Das Signal, Claude Monet,
1877, gemeinfrei
wikimedia.org
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