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Literatur


04.2


Gedichte - Walter Rheiner


Insel der Seligen
Ein Abendlied
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DAS FÜNFTE ABENDLIED

In des Abends samtnen Hafen
lenken hin die Häuser-Schiffe.
Siehe! Mond und Sonne trafen
 
sich in unsrer Stirnen Spiegel!
Wiese breitete die Schwingen,
Wald hob auf den dunklen Flügel.
 
Leise Wege um uns singen.
Unser Herz in nahen Gärten
leuchtete. Der Nacht Syringen
 
schlingen sich um uns, die warten —
warten, daß sich uns die Räume
füllen mit verwehten, zarten
 
Farben unsrer wachen Träume,
die sich magisch offenbarten.

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DAS SECHSTE ABENDLIED

Wie wir in die Wiesen sinken,
segelt Mond, das ferne Schiff,
leise um des Waldes dunkles Riff
 
Von der Stirn dir will ich trinken
Abendschein, der dich betaut,
und den nahen Himmel, der
unermeßlich tief erblaut.
 
Leise regt sich das Geflüster
naher Sterne. Milde wandern
Wolken, die im Osten landen.
 
Schwinden wir? ... Schon düster
schwingt sich Weg den Betgen zu.
Bist du hier? ... Am Horizont
stehst in Firmamenten du!

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DAS SIEBENTE ABENDLIED

Schatten wächst in unsren Herzen.
Waldsaum schwankt im Gold, zerrinnt.
Silbern fährt das Nacht-Gestirn,
über Schlummer-Dorfes Kerzen.
 
Salamander, deine Hand
ruht in Büschen, wachsam hell.
In der Hunde Traum-Gebell
mischt sich dunkler dein Gesang.
 
Stirn, verlorner Mond im Moos,
neigt sich über dein Gesicht.
In den Bäumen, wesenlos,
 
brennt ein wunderbares Licht.
— Nacht entschreitet riesengroß
über uns und sieht uns nicht.
(Meiner Frau zum Geschenk.)

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DAS ACHTE ABENDLIED

Abendlich brauset die Landschaft. Da geht
der Ergriffene hin durch den flötenden Wald.
Zwischen vergehenden Stämmen steht
weithin ergossenes Rot, netzend die Stirne kalt.
 
Aus der dämmernden Brust, über der Augen See
hebt sich der hohen, der kreisenden Sterne Gebäu.
In den Haaren, ach!, von den versunkenen Hügeln weht
die süße Mutter, die goldene- Nacht herbei.
 
Mond beleuchtet die Hand, Welt-Vogel fernher geneigt.
(Bach schon dunkel verschlürft in der atmenden Erde Schoß.)
Silberner Wind in den Wipfeln singend erbleicht.
Erde schwankt durch den Raum: seltsam’ und ruhelos.

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Textgrundlage: "Insel der Seligen, Ein Abendlied", Walter Rheiner,
Das neueste Gedicht, Heft III,
Dresdner Verlag von 1917, 1918
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Logo 510: „january sunrise“, jenny downing,
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