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Gedichte

Ernst Schur

Gedächtnisbuch

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Ich werde, wenn ich einst gestorben bin


Ich werde, wenn ich einst gestorben bin,
Den großen Gott um Wiederkunft anflehn
Und werde suchend durch die Nächte gehen
Und in den Träumen Schlafender mich finden.
 
Ich werde alle fragen: Kennt ihr mich?
Und klopfe an an alle Türen,
Und niemand wird sich, mir zu öffnen, rühren,
Weckte ich sie, sie würden dann erschrocken
 
Auffahren und mit scheuem Blick
Ins Dunkle starren, ohne mich zu sehn,
Ich würde, schon bereit zu gehen,
Nur leise sprechen, daß mich niemand hört:
 
„Ihr Müden, hab’ ich euch gestört?
Schlaft alle, schlaft, ihr wundschlos Blinden!
Ihr, die ihr wandelt noch im Licht,
Grüßt mir die Erde! Ich vergaß sie nicht.“
 
Dann würd’ ich gehen und ließ sie träumen
Und ihre Sehnsucht hätte ich entfacht.
Denn meine Rede ginge in den Räumen
Gleich einer stillen Melodie der Nacht.
 
„Ihr seid die Glücklichen und wißt es nie!
Gedrückt und mürrisch geht ihr eure Tage hin.
Und dumpf nur hört ihr eine dunkle Melodie
Um euer Leben und wißt nicht den Sinn.
 
O trinkt des Daseins wundervollen Wein!
Das Leben reicht die Becher euch, die vollen!
Wir, die wir tot sind, sind die Sehnsuchtsvollen,
Ihr aber müßt schon längst gestorben sein.
 
Ihr geht wie Müde hin, wie blasse Toren,
Knechte des Schicksals, das sich euch verschworen,
Zerpflückt ihr mit der Miene kindlich irren Strebens
Die großen Blumen eures reichen Lebens.“


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