Wohl rief ich
sanft dich an mein Herz
Wohl rief ich sanft
dich an mein Herz,
Doch blieben meine Arme leer;
Der Stimme Zauber, der du sonst
Nie widerstandest, galt nicht mehr.
Was
jetzt dein Leben füllen wird,
Wohin du gehst, wohin du irrst,
Ich weiß es nicht; ich weiß allein,
Daß du mir nie mehr lächeln wirst.
Doch
kommt erst jene stille Zeit,
Wo uns das Leben läßt allein,
Dann wird, wie in der Jugend einst,
Nur meine Liebe bei dir sein.
Dann
wird, was jetzt geschehen mag,
Wie Schatten dir vorübergehn,
Und nur die Zeit, die nun dahin,
Die uns gehörte, wird bestehn.
Und
wenn dein letztes Kissen einst
Beglänzt
ein Abendsonnenstrahl,
Es
ist die Sonne jenes Tags,
Da
ich dich küßte zum erstenmal.
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Geschwisterblut
1
Sie saßen sich
genüber bang
Und sahen sich an in Schmerzen;
Oh, lägen sie in tiefster Gruft
Und lägen Herz an Herzen! –
Sie sprach: »Daß
wir beisammen
sind,
Mein Bruder, will nicht taugen!«
Er sah ihr in die Augen tief:
»O süße Schwesteraugen!«
Sie faßte flehend
seine Hand
Und rief: »O denk der Sünde!«
Er sprach: »O süßes Schwesterblut,
Was läufst du so geschwinde!«
Er zog die
schmalen Fingerlein
An seinen Mund zur Stelle;
Sie rief: «Oh, hilf mir, Herre Christ,
Er zieht mich nach der Hölle!«
Der Bruder hielt
ihr zu den Mund;
Er rief nach seinen Knappen.
Nun rüsteten sie Reisezeug,
Nun zäumten sie die Rappen.
Er sprach: »Daß
ich dein Bruder
sei,
Nicht länger will ich's tragen;
Nicht länger will ich drum im Grab
Vater und Mutter verklagen.
Zu lösen vermag
der Papst Urban,
Er mag uns lösen und binden!
Und säß er an Sankt Peters Hand,
Den Brautring muß ich finden.«
Er ritt dahin; die
Träne rann
Von ihrem Angesichte;
Der Stuhl, wo er gesessen, stand
Im Abendsonnenlichte.
Sie stieg hinab
durch Hof und
Hall'
Zu der Kapelle Stufen:
»Weh mir, ich hör im Grabe tief
Vater und Mutter rufen!«
Sie stieg hinauf
ins Kämmerlein;
Das stand in Dämmernissen.
Ach, nächtens schlug die Nachtigall;
Da saß sie wach im Kissen.
Da fuhr ihr Herz
dem Liebsten
nach
Allüberall auf Erden;
Sie streckte weit die Arme aus:
»Unselig muß ich werden!«
2
Schon war mit
seinem Rosenkranz
Der Sommer fortgezogen;
Es hatte sich die Nachtigall
In weiter Welt verflogen.
Im Erker saß ein
blasses Weib
Und schaute auf die Fliesen;
So stille war's: kein Tritt erscholl,
Kein Hornruf über die Wiesen.
Der Abendschein
alleine ging
Vergoldend durch die Halle;
Da öffneten die Tore sich
Geräuschlos, ohne Schalle.
Da stand an seiner
Schwelle Rand
Ein Mann in Harm gebrochen;
Der sah sie toten Auges an,
Kein Wort hat er gesprochen.
Es lag auf ihren
Lidern schwer,
Sie schlug sie auf mit Mühen;
Sie sprang empor, sie schrie so laut,
Wie noch kein Herz geschrieen.
Doch als er
sprach: »Es reicht
kein Ring
Um Schwester- und Bruderhände!«
Um stürzte sie den Marmortisch
Und schritt an Saales Ende.
Sie warf in seine
Arme sich;
Doch war sie bleich zum Sterben.
Er sprach: »So ist die Stunde da,
Daß beide wir verderben.«
Die Schwester von dem
Nacken sein
Löste
die zarten Hände:
»Wir
wollen zu Vater und Mutter gehn;
Da
hat das Leid ein Ende.«
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