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Literatur


04.2



Gedichte

Der zunehmende Mond
Rabindranath Tagore
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Der kleine grosse Mann

 
Ich bin klein, weil ich ein kleines Kind bin. Ich werde groß sein, wenn ich so alt bin wie mein Vater ist.
 

Mein Lehrer wird kommen und sagen: »Es ist spät; bring' Deine Tafel und Deine Bücher.«

Ich werd' ihm antworten: »Weißt Du nicht, daß ich so groß bin wie Vater? Und ich muß keine Stunden mehr haben.«

Mein Lehrer wird sich wundern und sagen: »Er kann seine Bücher lassen, wenn er will, er ist ja erwachsen.«

***

Ich werde mich anziehn und zum Jahrmarkt spazieren, wo das Gewühl am dichtesten ist.

Mein Onkel wird auf mich zugestürzt kommen und sagen: »Du wirst verloren gehn, mein Junge; laß' mich Dich tragen.«

Ich werde antworten: »Kannst Du nicht sehen, Onkel, ich bin so groß wie Vater. Ich muß allein auf den Jahrmarkt gehn.«

Onkel wird sagen: »Ja, er kann gehn, wohin er will; er ist erwachsen.«

***

Mutter wird vom Bade kommen, wenn ich meiner Amme Geld gebe; denn ich weiß, wie sich die Büchse aufmachen läßt mit meinem Schlüssel.

Mutter wird sagen: »Was hast Du vor, Du schlimmes Kind?«

Ich werd' ihr erwidern: »Mutter, weißt Du nicht, ich bin so groß wie Vater und ich muß meiner Amme Silber geben.«

Mutter wird zu sich sagen: »Er kann Geld geben, wem er will; er ist ja erwachsen.«

***

In der Ferienzeit im Oktober wird Vater heimkommen und, weil er meint, daß ich noch ein kleines Kind bin, wird er für mich aus der Stadt kleine Schuhe und kleine seidene Röcklein mitbringen.

Ich werde sagen: »Vater, gib sie meinem Dādā, denn ich bin so groß wie Du bist.«

Vater wird denken und sagen: »Er kann seine eignen Kleider kaufen, wenn er will; er ist ja erwachsen.«



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