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Literatur


04.2

Gedichte - Renate Tank




 Der tiefe Boden

In den alten Straßen und Wegen
verbirgt sich meine Kinderzeit.
Verzaubert  - wie verloren -
im violetten Licht der Vergangenheit.
Aus jedem Stein erklingt ein Lied;
jede Häuserwand hielt meine Blicke
verborgen und gibt sie mir heute,
leihweise, zurück.

Das kleine Haus steht neu verputzt,
was früher in asch-rotem Klinker büßte;
in dem unsre winzige Wohnung war,
in die sich die schenkende Liebe ergoss
und das vertriebene Leben neu begrüßte.

Mein Seelenhaus - wehmütig gesinnt!
Es ist, als ging ich auf leisesten Sohlen
durch Räume, die mir einst offen waren.
Und schaue, verzagt-unverhohlen,
auf das Heute, das so fremdbestimmt.

Es gibt nicht mehr die Rosenhecke,
die den inneren Hof vom Garten trennt.
Die den Duft ihrer Königinnen
zart verströmte, aus blass-rosigem Teint.
In die, in schweren Nachtgedanken,
mancher Augen Blick der Eltern gesenkt.

Die Eisblumenfenster waren so kalt
und trotzdem so wunderbar.
Wanderte selbstverloren in den
Gebilden, die das Eis gebar.
Freute mich auf die Sommer und Winter
und vieles wurde zum Fest im Jahr.

Ein Sehnsuchts-Zauber webt innig weiter
am Kindheits-Liebesband
und umkleidet Gewesenes
in eine ergreifend nahe Gestalt.
Der tiefe Boden hallt gesunkene Schritte
und nimmt mich - erkennend - an seine Hand.

© Renate Tank


 Code Noir
(Das schwarze Gesetzbuch)

In einem alten Buche steht es Wort für Wort
und schreibt sich Tag um Tag und Nacht um Nacht
selbstschreibend fort.

Auf schwarzem Grund, mit hellem Blut geschrieben.
Mit Teufelskralle und festen Hieben.
Hinein gehauen wie in Stein.
Unerbittlich, grausam, voller Pein.
Gesetzbuch, für den Höllengrund allein.

Im fahlen Licht erscheinen alle Namen,
die einst ergeben ihre Zuflucht
zum Ort der Schatten nahmen.
Ihre Seelen fallen in düsterer Fremde
Kreaturen der Lüge in die Hände.

Tausend Feuerzungen lecken
und schrecken der Seele Nacht.

Wollen verschnüren und verengen.
Der Seele Schrei verdrängen.
Grüne Blitze durchzucken die Nacht.
Gierige Augen blicken überall
 und erwarten den noch tieferen Fall.

Glühende Weiten tun sich auf und brennen als Siegel
den heißen Kuss des Untergangs
mit ihren Fängen auf die stöhnende Brust.
Dunkelschleier brechen über der Seele zusammen.

Erbarmungslos, wie im Netz einer Spinne gefangen
und das Schwarze Gesetzbuch
als ewige Drohung über ewigem Bangen.
© Renate Tank


 Schwarze Rose

Was war alles wichtig,
was war falsch, was richtig?
Fragen,
die keine Antwort gaben.

Unbeschreiblichkeiten
füllen den Boden.
Liebe fällt auf Glas.
Splitter ritzen die Seele.

Nur einmal noch
will ich mich fallen lassen 
- meiner Traurigkeit entkommen -
Nur einmal noch
will ich mich unter deiner
 schwarzen Sonne sonnen.

Den langen Weg zu dir
kann ich nicht nochmal gehen.
Das Abschiedslied der Nacht,
das will ich überstehen.

Auch wenn ich mich dabei betrüge,
auch wenn ich mich dabei belüge.
Es geht vorbei.
Im Geschenk der letzten
schwarzen Rose
gebe ich dich frei.

© Renate Tank


 Tränenengel

Trauer fließt durch den
 behauenen Stein
in das Antlitz
des Engels hinein.

Wachend am Grab.
Beugt sich tief hinab.
Hält einen Abstand ein.

Flüstert den stillen
Frieden
den Trauernden ins
Herz hinein.

Denkt beruhigend Wort.
Hält mich am Ort.
Schaut meine Seele an.

Fühle dann,
seine Träne gilt auch mir:
weil ich nur
menschlich
 denken kann.

© Renate Tank


 Der müde Greis (Sonett)

Es ist ja immer nur ein müdes Bleiben,
das mich erfasst am Tag und in der Nacht.
Erinnerung nur hält bei mir noch Wacht.
Die Seele möcht schon aus der Knospe treiben.

Die Augen tragen einen trüben Schleier,
durch die der Geist nun nicht mehr dringen kann.
Das liebe Leben läuft aus dem Gespann.
Einsame Tränen füllen meinen Weiher.

Was gab das Leben? - Das ist eine Frage.
War angefüllt mit Dunkel und mit Hell.
Und Liebeskränze waren viel gewunden.
 
So ziehen alle die verbliebnen Tage.
Mit bleichem Antlitz lockt schon der Gesell.
Will froh mein hoffend Sehnen ihm bekunden.

© Renate Tank







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Textgrundlage:
Tiefer Boden", 28.01.2009 - Gedichte-Garten
"Code Noir", 28.01.2009 -
Gedichte-Garten
"Schwarze Rose", 08.10.2009 -Gedichte-Garten
"Tränenengel", 21.10.2009 - Gedichte-Garten
„Der müde Greis“ (Sonett)m 19.11.2009 – Gedichte-Garten
Gedichte-Garten

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