lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.2


                                                        Gedichte

                                                        Leon Vandersee

                                                               _______________________

 Das Abendrot erlosch

Das Abendrot erlosch - vom Wasser zog es kalt
zu uns herüber,
leis wand ich mich zu dir, du sahst so stumm
an mir vorüber.

Doch plötzlich traf dein Blick mich heiß und sehnsuchtsvoll,
ich schrak zusammen,
aus deinen düstern Augen brach ein Lich
wie Feuerflammen-

und tief erschauernd fühlt ich mit geheimem Graun
und leisem Beben,
dass du von Stund an kühn Besitz ergriffst
von meinem Leben.



Dein ist der Kranz

Reiß mir das Tollkraut aus den blonden Haaren,
ich will die Rosen wieder, die ich trug,
die weißen Rosen, die so duftig waren,
eh deine Hand sie mitleidlos zerschlug.

Grausames Herz, das meine bleichen Blüten
in wilder Luft zerstörte und zertrat –
lösch aus die Flammen, die so jäh erglühten –
dein ist der Kranz, der mich vergiftet hat!


Auf der Flucht

Leise, leise, mein Liebster,
dass uns die Mutter nicht hört –
die alte Frau würde jammern,
wüsst sie, wie du mich betört.

Leise, leise, mein Liebster,
dein Bruder kommt über das Feld –
um meine Lieb zu gewinnen,
opferte Gut er und Geld!

Leise, leise, mein Liebster,
am Tor harrt die Schwester mein,
die gäb ihr rotes Herzblut,
dürft sie dein eigen sein . . .

Dein Bruder und meine Schwester
finden wohl bessres Glück –
doch meine alte Mutter
lassen wir einsam zurück . . .


  Und ruft nun immer

Ich geh mit den Andern – es muss ja so sein,
nur meine Seele, die wandert allein,
geht eigne Wege, von früh bis spät,
meine suchende Seele, die keiner versteht.

Einst traf sie am Wegrand im Dämmerschein
eine andre Seele, die auch allein,
die müde und kraftlos am Boden lag,
auf staubiger Straße – seit Jahr und Tag.

Aus flehenden Augen, leidvoll und trüb,
sah sie mich an: „ach, hilf mir, sei lieb,
bin ja verlassen und einsam wie du,
irrte gleich dir ohne Rast und Ruh.

Du kennst die Sehnsucht – reich mir die Hand,
hilf mir hinauf in mein Heimatland – “
tieftraurig wehrt ich: „Du liebe Zeit,
dahin kommst du nimmer, der Weg ist zu weit.“

Doch half ich der Armen vom Boden auf –
da hob sie die Flügel und schwang sich hinauf
zu Sternenhöhen – zum Heimatlicht –
und ruft nun immer: „Kommst du denn nicht?“

oben

___________________________




__________________________

Textgrundlage: Aus der Sammlung „Fieber“, Leon Vandersee
Das Abendrot erloschDein ist der KranzAuf der Flucht
aus: "Requiem": Und ruft nun immer
gedichte.xbib

Logo 255: 
„Landschaft mit Menschen“ Margaret Hofheinz-Döring, 1982
Lizenz
Genehmigung: Margaret Hofheinz-Döring/Galerie Brigitte Mauch, Göppingen
wikimedia
  lifedays-seite - moment in time