lifedays-seite

moment in time

 
 
Literatur


04.2


                                                      Gedichte
                                                       Leon Vandersee

                                                            _________________

Märchen

Du trugst einen Schmuck so wunderbar,
Leuchtkäfer in deinem lockigen Haar,
die funkelten seltsam in grünlichem Schein,
wie eine Krone aus Edelgestein –
Und du sagtest, du wolltest mein Eigen sein!
Ich hielt dich im Arm, und ich küsste dich –
In jener Sommernacht liebtest du mich –
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Nun ist es Herbst, und der Nebel rinnt,
all meine Träume verwehten im Wind,
über die Heide, um Bruch und Moor
zittert der herbstnacht Tränenflor –
ringsum auf den öden Waldessteigen
trauert der Einsamkeit tiefes Schweigen –
Da – über dem Weiher – ein wirres Gefunkel,
fahlgrüne Flämmchen huschen durchs Dunkel,
Irrlichter tanzen auf Sumpf und Moor,
ducken sich nieder und zucken empor –
Du hast mir einmal ein Märchen erzählt
von dem armen Kind, das den Weg verfehlt,
den Weg zum Glück, in das Heimatland –
und das nun nimmer nach Hause fand,
das nun suchend irrt – immerzu, immerzu
durch die weite Welt ohne Rast, ohne Ruh’,
von Tränen verdunkelt sein Augenpaar –
ach, heute weiß ich’s, das Märchen ist war –
es sucht noch immer das arme Kind
den Weg zur Heimat in Nebel und Wind,
es folgt eines Irrlichts trügrischem Schein
und meint, es ginge zur Heimat ein . . .
Drang nicht ein klagender Ruf an mein Ohr?
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Irrlichter tanzen auf Sumpf und Moor. . .



Ein Traum II

Von deinem Angesicht verstoßen,
aus deiner lichten Näh‘ verbannt,
ist all mein Denken, all mein Sehnen
vergangenen Tagen zugewandt.

Still in Erinnerung versunken,
schleicht mir ins Herz ein süßer Traum:
Ich bin bei dir – in deinem Garten
Blüht leuchtend wieder Busch und Baum.

Verirrte Blüten schweben leise
hernieder in das grüne Moos –
ich wandle durch die schatt’gen Gänge
nicht einsam mehr und heimatlos.

Denn ich hab‘ dich an meiner Seite,
die Herz und Sinn gefangen hält,
du lächelst wie in alten Zeiten,
und reicher blüht um mich die Welt.

Dein Auge schaut so froh erschrocken
in all die sonnige Lenzespracht,
ich will dich fassen, will dich halten –
da bin ich jählings aufgewacht.

Von deinem Angesicht verstoßen,
aus deiner lichten Näh‘ verbannt,
bleibt all mein Denken, all mein Sehnen
vergangenen Tagen zugewandt.


______________________




___________________________
Textgrundlage: Leon Vandersee aus der Sammlung
„Verwehte Blüten und Di sio amore“

MärchenEin Traum II
gedichte.xbib

Logo 257: 
Stiefmütterchen und Schmetterlinge,
Olga Wisinger-Florian (1844-1926).
Ca. 1926, gemeinfrei

wikimedia

  lifedays-seite - moment in time