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Literatur


04.2



Gedichte - Emil Verhaeren

Die Hohen Rhythmen
 



Das Gebet

PLÖTZLICH schwingt sich meine wagemutige Seele hoch
Auf, in die Zukunft zu dringen,
Und ich finde noch
Wie in Kindheitstagen, tief in mir schlummernd, die
Schwingen
Meiner jungen Gebete.
 
Andere Sätze und Worte stehen in Reih,
Aber der alte Rhythmus und sein Aufschrei
Ist in all der Zeit der gleiche geblieben;
Fest haben die Zeiten den Aufschwung meines Herzens
geprägt,
Seit meine muntere Lebenskraft sich regt,
Und ich fühle, ich muß mich lieben.
 
O alter Herd, dessen Flamme noch weht!
O neues, o unsterbliches Gebet!
Du erhebst, Zukunft, heut meinen Geist wie ehemals mein
Gott.
Und diese gegenwärtige Stunde, das Zeitalter beherrscht
Dein Gebot,
Daß eines Tages du die kommende Menschheit seist,
Ihre Stirn, ihre Arme, ihre Augen, ihr Geist.
 
Und sollte sie geringer sein, als mein Traum sie gedacht:
Was tuts, wenn, sooft
Mein Eifer sie hofft,
Er sich so machtvoll erhebt und entfacht?
 
Von nun an fühlt mein Herz sich in Einklang
Mit deinem Ruf und Aufdrang.


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Das Schiff

STILL kamen wir voran unterm Sterngewimmel;
Der Mond wob sein Spiel um das Fahrzeug her,
Die Rahen und Segel ragten weiß hinan zum Himmel,
Und groß lag ihr Schatten auf dem unendlichen Meer.
 
Die Nacht mit ihren reinen und kühlen Flammen
Funkelte im Raum und schauerte über die See;
Und wir sahen Perseus und den großen Bär zusammen
In ihren lichten Zirkeln kreisen in der Höh.
 
Von hinten nach vorn, vom Besan- zum Fockmast schossen
Die Himmelsfeuer hin übers Deck;
Und blitzschnell und genau, wie Ketten, schlossen
Sich heilige Ordnungen und verknüpften sich zum Zweck.
 
Jede Regung fügte sich in eine höhere Würde
Und verbürgte der anderen ihre Strebung ganz;
Und die Woge, die den Kiel trug und seine Bürde,
Gab ihr zur Weihe ihren lichten Glanz.
 
Die hehre Unendlichkeit begeisterte den Segler,
Dess‘ Vordersteven eine lange Wegspur zog;
Und der ihn gegen den Wind hielt, am Steuer der Regler,
Fühlte, wie unter ihm das Schiff  bebte und sich bog.
 
Er stampfte über Abgrund, Tod und Grausen ohne Ende,
Jedem Sternblitz und jeder Regung bereit;
Und also meisternd die ewigen Kraftverbände,
Schien er zu zähmen und zu beherrschen die Ewigkeit.


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