Gedichte
Hildegard Voigt
Dem Gedächtnis einer lieben Seele
Ist
sich der Dichter seiner Kunst bewusst,
Wenn
seiner Seele sich ein Sang entrungen?
Und
wann empfing den Keim die Dichterbrust?
Wie
wird ein Lied, und weshalb wird’s gesungen?
Der
Dichter schenkt es, weil er’s zeugen muss!
Im
Dornenbusch empfangen, sind Gedichte
Verhaltene
Tränen schmerzlicher Erguss,
Die
blutend ihren Weg gesucht zum Lichte.
*****
Im
Schatten
Ich
stehe im Schatten
An
feucht kahler Wand,
Dahin
nie die Sonne
Ein
Grüßen gesandt.
Ich
stehe im Schatten,
Es
fröstelt mein Blut,
Und
rings umher Mittag
In
flimmernder Glut.
Ich
strecke die Arme
Entgegen
dem Licht,
Ich
hebe zur Sonne
Ein
bangend Gesicht.
Ich
harre der Stunde,
Die
kommen mir muss,
Dass
meine Stirn streifte
Die
Sonne im Kuss.
So
eilte der Morgen,
So
schwand mir der Tag,
Schon
senkt sich die Sonne,
Mein
Sehnen blieb wach.
Ich
stehe im Schatten
In
zitternder Qual,
Die
Sonne ging schlafen,
Es
traf mich kein Strahl!
Wünsche
Als
ich ein Kind war, flogen die Wünsche
Über
das Haupt mir wie leuchtender Traum,
Würfelten
ernsthaft um goldene Sterne,
Warben
am Himmel um Sonne und Mond.
Schenkten
sie mir einen einzigen Strahl,
Einen
ganz kleinen, den kaum sie vermissten,
Würd
einen goldenen Reif ich draus schmieden,
Sollte
mich krönen wie Märchenprinzess!
Und
ich erbettelt zum lichten Gewand
Mir
einen Zipfel vom himmlischen Blau.
Und
von den weißen, spielenden Wölkchen
Wünscht
sich ein einziges nur mir zu eigen,
Wollte
als milchweißen Zelter es zäumen,
Spielend
es tummeln auf güldenem Huf.
Jagt
aber Sturmwind im zornigen Brausen
Droben
am Himmel auf stolz wilder Bahn,
Wollt
seine flatternden Mähnen ich haschen,
Brausender
Ritt ging durch Wolkengebild.
Was
noch kein irdisches Auge erschaute,
Wollt
ich ergründen im ewigen Raum,
Sehn,
wie im Erdschoss die Goldadern pulsen.
Edelstein
funkeln in eiskalter Glut,
Kampflechzend
zorniges Eisenerz atmet.
Und
alles sollt mein sein, bereit meinem Wunsch!
Schwimmende
Mondessichel, mein Schiffchen,
Wollte
ich rudern mit silbernem Strahl.
Perlen
im nächtigen See mir zu fischen,
Grüße
zu tauschen mit Nixen im Schilf.
Und
alle, alle haben verheißen
Sel
‘ge Gewährung dem kindlichen Wunsch.
Doch
nur ein Einziger von ihnen hielt Wort.
Den
ich mir einst zum Genossen erkoren,
Freund
meiner Spiele, der Sturmwind war treu!
Wirbelnd
erfasste er die strotzende Kraft,
Schüttelt
vom Lebensbaum Blüte um Blüte,
Fegt
in den Staub hin das seligste Hoffen,
Schleudert
ins Antlitz die raschelnden Blätter,
Welkendes
Laub mir vom eigenen Traum.
Und
da verstand ich, ich lernte erkennen.
Sonne
und Mond und leuchtende Sterne
Schneeige
Wolken und himmlisches Blau,
Solltet
euch alle zum Bunde vereinen,
Dass
ich aus eurem seligen Glück
Nur
das große Entsagen sollt lernen,
Dass
Ihr voll Mitleid „ein Menschlos“ nennt
Ewges
Verheißen und ewger Verzicht!
Und
was Ihr lehret, das hab ich gelernt.
Still
ging mein wünschen, mein Hoffen schlafen,
Und
nur ein Bitten, ein zagendes blieb,
Um
soviel Kraft, wie der Tag sie verlangt,
Und
für die Nacht einen traumlosen Schlaf.
Gebet
Der
du dies Dasein hast gegeben,
Dies
heilig unheilvolle Menschenleben,
Enträtsle,
Gott, auch sein Geheimnis mir!
Sieh,
tief in Staub gebeugt knie ich vor dir.
Wie
drückend lastet deiner Gabe Bürde,
Die
stolze, ach so morsche Menschenwürde,
Zu
hoch zum Kriechen und zu matt zum Flug.
Gebiete
halt, Gottvertraun’s! Sprich; es ist genug!
Du
kennst des Herzens Höhen, wie die tiefen,
Geheimste
Wünsche, die verborgen schliefen.
Sieh,
tief gebeugt im Staub knie ich vor dir,
Was
rein, was unrein, scheide du in mir!
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Textgrundlage:
"Dornenkinder", Gedichte
von Hildegard Voigt - Dem
Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher
Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt von
M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton
University –
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Dornenkinder, S. 5 - Im Schatten, S. 6 -
Wünsche, S. 7-8, -
Gebet, S. 9
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Arctium lappe" Moscow
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