lifedays-seite

moment in time

 

Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



Dem Gedächtnis einer lieben Seele



 Dornenkinder

 Ist sich der Dichter seiner Kunst bewusst,
Wenn seiner Seele sich ein Sang entrungen?
Und wann empfing den Keim die Dichterbrust?
Wie wird ein Lied, und weshalb wird’s gesungen?
Der Dichter schenkt es, weil er’s zeugen muss!
Im Dornenbusch empfangen, sind Gedichte
Verhaltene Tränen schmerzlicher Erguss,
Die blutend ihren Weg gesucht zum Lichte.


*****

 Im Schatten

 Ich stehe im Schatten
An feucht kahler Wand,
Dahin nie die Sonne
Ein Grüßen gesandt.

 Ich stehe im Schatten,
Es fröstelt mein Blut,
Und rings umher Mittag
In flimmernder Glut.

 Ich strecke die Arme
Entgegen dem Licht,
Ich hebe zur Sonne
Ein bangend Gesicht.

 Ich harre der Stunde,
Die kommen mir muss,
Dass meine Stirn streifte
Die Sonne im Kuss.

 So eilte der Morgen,
So schwand mir der Tag,
Schon senkt sich die Sonne,
Mein Sehnen blieb wach.

 Ich stehe im Schatten
In zitternder Qual,
Die Sonne ging schlafen,
Es traf mich kein Strahl!

*****

 Wünsche

 Als ich ein Kind war, flogen die Wünsche
Über das Haupt mir wie leuchtender Traum,
Würfelten ernsthaft um goldene Sterne,
Warben am Himmel um Sonne und Mond.
Schenkten sie mir einen einzigen Strahl,
Einen ganz kleinen, den kaum sie vermissten,
Würd einen goldenen Reif ich draus schmieden,
Sollte mich krönen wie Märchenprinzess!
Und ich erbettelt zum lichten Gewand
Mir einen Zipfel vom himmlischen Blau.
Und von den weißen, spielenden Wölkchen
Wünscht sich ein einziges nur mir zu eigen,
Wollte als milchweißen Zelter es zäumen,
Spielend es tummeln auf güldenem Huf.

 Jagt aber Sturmwind im zornigen Brausen
Droben am Himmel auf stolz wilder Bahn,
Wollt seine flatternden Mähnen ich haschen,
Brausender Ritt ging durch Wolkengebild.

 Was noch kein irdisches Auge erschaute,
Wollt ich ergründen im ewigen Raum,
Sehn, wie im Erdschoss die Goldadern pulsen.
Edelstein funkeln in eiskalter Glut,
Kampflechzend zorniges Eisenerz atmet.

 Und alles sollt mein sein, bereit meinem Wunsch!
Schwimmende Mondessichel, mein Schiffchen,
Wollte ich rudern mit silbernem Strahl.
Perlen im nächtigen See mir zu fischen,
Grüße zu tauschen mit Nixen im Schilf.
Und alle, alle haben verheißen
Sel ‘ge Gewährung dem kindlichen Wunsch.

 Doch nur ein Einziger von ihnen hielt Wort.

 Den ich mir einst zum Genossen erkoren,
Freund meiner Spiele, der Sturmwind war treu!
Wirbelnd erfasste er die strotzende Kraft,
Schüttelt vom Lebensbaum Blüte um Blüte,
Fegt in den Staub hin das seligste Hoffen,
Schleudert ins Antlitz die raschelnden Blätter,
Welkendes Laub mir vom eigenen Traum.

 Und da verstand ich, ich lernte erkennen.

 Sonne und Mond und leuchtende Sterne
Schneeige Wolken und himmlisches Blau,
Solltet euch alle zum Bunde vereinen,
Dass ich aus eurem seligen Glück
Nur das große Entsagen sollt lernen,
Dass Ihr voll Mitleid „ein Menschlos“ nennt
Ewges Verheißen und ewger Verzicht!

 Und was Ihr lehret, das hab ich gelernt.

Still ging mein wünschen, mein Hoffen schlafen,
Und nur ein Bitten, ein zagendes blieb,
Um soviel Kraft, wie der Tag sie verlangt,
Und für die Nacht einen traumlosen Schlaf.


*****

 Gebet

 Der du dies Dasein hast gegeben,
Dies heilig unheilvolle Menschenleben,
Enträtsle, Gott, auch sein Geheimnis mir!
Sieh, tief in Staub gebeugt knie ich vor dir.

 Wie drückend lastet deiner Gabe Bürde,
Die stolze, ach so morsche Menschenwürde,
Zu hoch zum Kriechen und zu matt zum Flug.
Gebiete halt, Gottvertraun’s! Sprich; es ist genug!

 Du kennst des Herzens Höhen, wie die tiefen,
Geheimste Wünsche, die verborgen schliefen.
Sieh, tief gebeugt im Staub knie ich vor dir,
Was rein, was unrein, scheide du in mir!




______________________
Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt von
M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

Dornenkinder, S. 5  -  Im Schatten, S. 6  -  Wünsche, S. 7-8,  -  Gebet, S. 9

Logo 352: "The inflorences of Arctium lappe"  Moscow 2009, Urheber Bff, 
CC-Lizenz Namensnennung-Weitergabe mit gleichen Bedingungen 3.0 unported

Wikimedia 
  lifedays-seite - moment in time