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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



 Mein Glas Wasser

Goldig spiegelt sich die Sonne
In dem funkelnden Kristall,
Und sie schlürft in trunkner Wonne
Ihrer eignen Schönheit Strahl.

Sonne, Wasser, alles Leben
Dankt die Erde eurem Bund,
Und in wechselvollem Geben
Tut Ihr höchste Weisheit kund.

Heilger Tropfen, deine Klarheit
Spiegelt sich im hellen Glas,
Das Symbol du reinster Wahrheit,
Sei gesegnet, edles Nass!

oben

 Sankt Valentin

Sankt Valentin schreitet durchs Etschtal
Und segnet das Rebenblut.
Der Alte lacht zum Himmel:
»Frau Sonne meint’s heut gut!«

Er klettert rüstig aufwärts
Den grauen Fels hinan,
Da liegt ihm weit zu Füßen
Die treue Stadt Meran.

Gelehnt an Bergesrücken,
Geschmiegt an rauen Stein.
»Sei mir gegrüßt von Herzen,
Tirol, dein Edelstein!«

Sankt Valentin denkt der Zeiten,
Da braun von Lockenhaar,
Er selbst ein froher Zecher
Im reichen Etschtal war.

Noch grünt wie einst die Rebe
An breiter Bergesbrust,
Noch ist wie einst das Leben
Im Etschtal eine Lust.

Da geht wie einst zum Kirchlein
Ein Hochzeitszug entlang.
Der alte Zecher freut sich.
»Da gibt’s heut Becherklang!«

»Da schlingt sich um zwei Herzen
Ein festes Eheband,
Da hängen heut zwei Menschen
Zwei Herzlein an die Wand.«

»Von Silber tun’s die Reichen,
Die Andern nur von Ton;
Bedeckt sind deine Wände,
Mein Hochzeitskirchlein, schon.«

»Und übers Jahr, so Gott will,
Wird hier ein Bub getauft,
Ein richtiger Tiroler,
Der gerne trinkt und rauft.«

Sankt Valentin geht weiter
Und schürzt sein braunes Kleid.
Es haben die Meraner
Das Kirchlein ihm geweiht.

Da huscht aus Mauerspalten
Eidechs im flinken Lauf,
Da klettern junge Reben
Am festen Stab hinauf.

Da will am Fuß des Rebstocks
Schon Weinberglilie blühn
Auf ihrem schlanken Stengel
Im jungfräulichen Grün.

Ist alles noch wie früher!
Der Alte steht und lacht.
Am Hochzeitskirchlein blüht schon
Des ersten Kirschbaums Pracht.

oben

  Heuduft

In meines Fensters Nische
Lehnt ich in stillem Traum,
Verschlafen zirpt ein Vöglein
Im blütenschweren Baum.

Und über stille Felder
Ein Heuduft zu mir kam,
Wie Gruß von einer Seele,
Die längst der Tod mir nahm.

 Erntezeit

Es neigt das reife Korn
Den Halm, den früchteschweren,
Als wollt es sich der Last,
Der übervollen, leeren.

Nun prüft der Landmann ernst
Der alten Sense Klinge,
Dass sie das neue Werk
In alter Treu vollbringe.

Wie weckt der Sichel Klang
Ein Echo mir im Herzen!
In heller Mittagsglut
Mahnt mich’s wie Trennungsschmerzen

Und Glockenton von fern
Fragt leise im Verhallen:
Sprich, bist auch du bereit,
Zum Erntefest zu wallen?

oben



____________________________

Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google


Mein Glas Wasser, S. 53  - Sankt Valentin, S. 54-55 - Heuduft, S. 56  -   Erntezeit, S. 57

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