Gedichte
Hildegard Voigt
Mein Glas Wasser
Goldig spiegelt sich die Sonne
In dem funkelnden Kristall,
Und sie schlürft in trunkner Wonne
Ihrer eignen Schönheit Strahl.
Sonne, Wasser, alles Leben
Dankt die Erde eurem Bund,
Und in wechselvollem Geben
Tut Ihr höchste Weisheit kund.
Heilger
Tropfen, deine Klarheit
Spiegelt
sich im hellen Glas,
Das
Symbol du reinster Wahrheit,
Sei
gesegnet, edles Nass!
oben
Sankt Valentin schreitet durchs Etschtal
Und segnet das Rebenblut.
Der Alte lacht zum Himmel:
»Frau Sonne meint’s heut gut!«
Er klettert rüstig aufwärts
Den grauen Fels hinan,
Da liegt ihm weit zu Füßen
Die treue Stadt Meran.
Gelehnt an Bergesrücken,
Geschmiegt an rauen Stein.
»Sei mir gegrüßt von Herzen,
Tirol, dein Edelstein!«
Sankt Valentin denkt der Zeiten,
Da braun von Lockenhaar,
Er selbst ein froher Zecher
Im reichen Etschtal war.
Noch grünt wie einst die Rebe
An breiter Bergesbrust,
Noch ist wie einst das Leben
Im Etschtal eine Lust.
Da geht wie einst zum Kirchlein
Ein Hochzeitszug entlang.
Der alte Zecher freut sich.
»Da gibt’s heut Becherklang!«
»Da schlingt sich um zwei Herzen
Ein festes Eheband,
Da hängen heut zwei Menschen
Zwei Herzlein an die Wand.«
»Von Silber tun’s die Reichen,
Die Andern nur von Ton;
Bedeckt sind deine Wände,
Mein Hochzeitskirchlein, schon.«
»Und übers Jahr, so Gott will,
Wird hier ein Bub getauft,
Ein richtiger Tiroler,
Der gerne trinkt und rauft.«
Sankt Valentin geht weiter
Und schürzt sein braunes Kleid.
Es haben die Meraner
Das Kirchlein ihm geweiht.
Da huscht aus Mauerspalten
Eidechs im flinken Lauf,
Da klettern junge Reben
Am festen Stab hinauf.
Da will am Fuß des Rebstocks
Schon Weinberglilie blühn
Auf ihrem schlanken Stengel
Im jungfräulichen Grün.
Ist
alles noch wie früher!
Der
Alte steht und lacht.
Am
Hochzeitskirchlein blüht schon
Des
ersten Kirschbaums Pracht.
oben
Heuduft
In meines Fensters Nische
Lehnt ich in stillem Traum,
Verschlafen zirpt ein Vöglein
Im blütenschweren Baum.
Und
über stille Felder
Ein
Heuduft zu mir kam,
Wie
Gruß von einer Seele,
Die
längst der Tod mir nahm.
Erntezeit
Es neigt das reife Korn
Den Halm, den früchteschweren,
Als wollt es sich der Last,
Der übervollen, leeren.
Nun prüft der Landmann ernst
Der alten Sense Klinge,
Dass sie das neue Werk
In alter Treu vollbringe.
Wie weckt der Sichel Klang
Ein Echo mir im Herzen!
In heller Mittagsglut
Mahnt mich’s wie Trennungsschmerzen
Und
Glockenton von fern
Fragt
leise im Verhallen:
Sprich,
bist auch du bereit,
Zum
Erntefest zu wallen?
oben
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Textgrundlage:
"Dornenkinder", Gedichte
von Hildegard Voigt - Dem
Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher
Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University –
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Mein Glas Wasser, S. 53 - Sankt
Valentin, S. 54-55 - Heuduft, S. 56 - Erntezeit, S. 57
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Arctium lappe" Moscow
2009, Urheber Bff,
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