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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



Meine Toten

Wenn Euch mein Sehnen suchet,
Schaut Ihr wie Mond auf mich
Und reicht mir Eure Hände,
So still und feierlich.

Dann liegt um Eure Wangen
Ein Lächeln selger Art,
Das ist mit tiefem Schweigen
Um Euren Mund gepaart.

Wenn ich um Rat Euch bitte,
Dann bleibt Ihr wohl mir stumm,
Doch liebendes Verstehen
Weht weich um mich herum.

Ich fühl’s, Ihr baut mir Brücken
Zu weltentrücktem Port;
Wenn leis mein Herz sie wandelt
Begegnen wir uns dort.

oben

Susanna


Susanna

Du schmiegest um den kleinen Becher
Sacht deine feine, bleiche Hand,
Wie sich dein Mund, ein müder Zecher,
Still neigt auf den kristallnen Rand.

Aus deiner Augen ernstem Lächeln
Winkt jeder Blick im Abschiedsgruß,
Und um uns rauscht im düstern Fächeln
Nachtschwarz ein unerbittlich »Muss«.

Dein schönes Haupt, das todgeweihte,
Schmiegt sich an meine Schulter lind,
Still setzt den Becher ich zur Seite,
Still ruhst du, wie ein müdes Kind.

So schweigen Zwei, weil Beide wissen!
Es bebt mein Herz in Trennungsnot.
Mir bleibt das ew'ge vermissen,
Du lächelst nur, stark wie der Tod.

oben

Tränenlos

Wir halten uns an den Händen,
Wir weinen und klagen nicht.
Wir streichen mit leisem Finger
Über dein stilles Gesicht.

Wie liegt so weit nun dahinten,
Was siech an dir und was krank!
Wir denken in Ehrfurcht-Staunen
Der Welt, die mit dir versank.

oben

Dein irdisch Teil

Vor uns liegt leblos deine stille Hülle,
Draus nun dein letzter Atemzug entwich.
Noch ganz durchtränkt von erdenleidens Fülle
Streckt müd dein Leib zu letzter Ruhe sich.

Nur zögernd deckt das Lid der Augen Spiegel,
Schwer sinkt ins Pfühl zurück dein Angesicht,
Drauf drückt der Tod sein königliches Siegel.
Sein bist du! Und du bist’s doch wieder nicht.

So lässt ein Schmetterling wohl, hold beflügelt,
Achtlos zurück der Raupe morsch Gewand,
Nicht mehr vom wehen Erdenrest gezügelt,
Fand deine Seele nun ihr Heimatland.

oben

Leere

Es ist so still um mich!
Aus jedem Winkel atmet Schweigen.
Ich fühle, was nicht ist,
Sich schwer auf meine Schulter neigen.

Die Leere greift nach mir.
Mit kalten, unsichtbaren Händen
Zwingt sie den Blick, das Ohr
Erschauernd ihr sich zuzuwenden.

»Da bin ich! Fühlst du mich?«
Ich neig mich ihr von Gram umflossen,
Weil sich im Todesschlaf
Dein lieben, blauen Augen schlossen.



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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

 

Meine Toten, S. 58  -  Susanna, S. 60 - Tränenlos, S. 61 - Dein irdisch Teil, S. 62  -  Leere, S. 63

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