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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



 Du bist noch da

Mir ist, als ob von deiner Stimme Klang
Ein Echo noch in diesen Wänden schliefe,
Als ob mein Sehnen unaussprechlich bang
Seltsam vertrauten Laut zum Leben riefe!

Da hör ich dich! Du bist im Nebenraum.
Klirrt nicht das Fenster und du neigst dich nieder?
Unwirklich fern und deutlich, wie im Traum,
Vernimmt mein Ohr dein frohes Scherzwort wieder.

Du neigst wohl lächelnd dich und grüßt ein Kind,
Freust dich an seinem Spiel im sonngen Garten.
Es eilt herbei, gewohnt, wie Kinder sind,
Aus deiner Hand ’was Leckres zu erwarten.

Es irrt sich nicht! Du neckst und lachst und gibst.
Und helle Kinderstimmen jauchzen wieder
In froher Wechselrede, die du liebst,
Wie Saitenspiel und süße Vogellieder.

Ich höre dich! Wie weich dein Lockruf klingt!
Die feine Hand streut Sonnenblumenkerne,
Und alles schwirrt herbei, was zirpt und singt,
Vom nahen Birnbaum und aus Himmelsferne.

Du bist noch da! Ich fühle, halte dich,
Wenn auch die Sinne irdisch mir gebunden.
Du bist mir nah und leitest liebend mich
Zu lichten Pfaden, die du schon gefunden.

oben

 Deines Wesens Art

Gott, der dich aus dem festen Stoff gemacht,
Draus Heldengeister ihm entsprungen,
Der forderte auch den Beweis erbracht,
Dass ihm das hohe Werk gelungen,
Als weislich er die edle Mischung fügte,
Die deines Wesens tiefsten Kern umschmiegte.

Mit Riesenkräften hat er dich durchtränkt,
Um hart mit deinem Leid zu ringen.
Durch Dornen hat er deinen Fuß gelenkt,
So lerntest du dein Ich bezwingen.
Und wie du fester fasstest deine Zügel,
So wuchsen reiner deiner Seele Flügel.

Und wie ein gläubig Kind gabst du zurück
Dein Herz in Gottes Vaterhände,
Ein reiches Herz, des Schöpfers Meisterstück,
Der dir’s verliehn als Gnadenspende.
Er formt dich aus dem Stoff, draus Helden sind,
Ein Riese warst du, und du warst ein Kind.

oben

 Siegerin

Fest griffen deine Finger in des Lebens Dornen!
Du trugst am Leib der Narben wehe Spur.
Es woben düstre Schatten um dich ernste Nornen,
Du schrittest mutiger und fester nur.

Kein bitterer Klagelaut entwand sich deinem Munde,
Der nie verlernt sein Lachen sonnenhell.
Dein starker Geist trank Kraft aus jeder frohen Stunde,
Bezwang den Schmerz an ihrem Wunderquell.

Du klaglos stolze Siegerin, demütig senke
Vor dir mein Haupt ich, müd und sorgenschwer,
Tritt noch ein Mal. Ein einzges, zu mir her und schenke
Mir Kraft zum Leben, das so freudenleer.

oben

 Warte nur

Zarte Efeuranken schlingen
Sich um einen engen Raum,
Mit den dunklen Blättern schirmend
Meiner Schläfrin letzten Traum.

Und die sommerlich einst glühten,
Blumen stehn im fahlen Kleid;
Glanzlos lastet düstrer Himmel
Tränenschwer wie Herzeleid.

Durch die Luft geht’s wie ein Klagen
Über stilles Gräberfeld,
Lautlos ruht die Stadt der Toten,
Eine große Rätselwelt.

Meine Seele tastet fragend
Dein Geheimnis, große Sphinx,
»Sprich, in welchem Weltenbrunnen
Sammelst du die Tropfen rings?«

Und mir ist, als ob im Schweigen
Tröstend mir die Antwort kommt:
»Warte nur! Sollst bald erkennen,
Was dir heute noch nicht frommt!«

oben

 Landwehrkinds Wiegenlied

Schlaf ruhig, kleines Landwehrkind,
Dein Vater ist im Felde,
Das Fleckchen, drauf dein Bettchen steht,
Verteidigt er als Helde.

Deine Mutter dient dem Vaterland,
Dein Mutter macht Patronen,
Damit der Vater schießen kann,
Wo arge Feinde wohnen.

Schlaf ruhig, kleines Landwehrkind,
Du bist in treuen Händen,
Wenn draus im wilden Kampfgewühl
Viel deutsche Männer enden.

Du hast ein weiches Daunenbett,
Hast Strümpfchen und ein Süppchen,
Und wenn du ausgeschlafen hast,
Spielst du mit Bär und Püppchen.

Dein Vater schläft auf nacktem Stein,
Tornister ist sein Kissen,
Drauf bettet er getrost das Haupt,
Er hat ein gut Gewissen.

Und Gott im Himmel wacht ob Euch.
Wenn Menschenherzen zagen,
Sorgt Er, dass blutgetränkte Au ’n
Einst Friedenspalmen tragen.





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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

 

Du bist noch da, S. 64  -  Deines Wesens Art, S. 65 - Siegerin, S. 66 - Warte nur, S. 67  -  
Landwerkskinds Wiegenlied, S. 68


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: "The inflorences of Arctium lappe",  Moscow 2009, Urheber Bff, 
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