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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



 Reiterlied

Nun kommst du hoch zu Ehren,
Mein Roß, so lang verkannt!
Es gilt den Feind zu wehren
Vom deutschen Vaterland.

Der Kaiser hat gerufen:
»Dem Todfeind biet die Brust!«
Nun scharrst du mit den Hufen,
Nun wieherst du vor Lust.
Nun lass die Mähnen fliegen,
Nun bläh der Nüstern Hauch,
Mein Ross, es gilt zu siegen,
Zu sterben gilt es auch!

Wir jagen über Heide,
Wir schleichen tief im Sand,
Mein Ross, wir wissen beide:
Es gilt das Vaterland!

Uns labt dieselbe Quelle,
Wir teilen letztes Brot,
Wir sterben gleicher Stelle
Im Feld den Heldentod.

Und zieht einst Friedenskunde
Hin über Deutschlands Gau ’n,
Dann half auch unsre Wunde
Des Reiches Zukunft bau ’n.

oben

 Erntedank

Kriegsfackel lodert,
O, grimme Not!
Der Vater im Felde,
Wer schafft das Brot?

Alldeutschland rüstet
Im heiligsten Zorn
Zum Freiheitskriege.
Wer birgt das Korn?

Dem goldenen Segen
Wie kaum je zuvor
Harrt weit geöffnet
Das Scheunentor.

Im leeren Stalle,
Da wiehert kein Pferd,
Der Vater im Felde,
Verwaist der Herd.

Die arbeitsfrohe,
Die schwielige Hand
Sie griff zum Schwerte
Fürs Vaterland.

Die Garben reifen
In sonniger Glut,
Wer bringt die Ernte,
Das edle Gut?

Da rührt’s auf der Schulbank,
In Hof sich und Haus.
»Lies Mutter, ich zieh
Ins Feld hinaus.«

»Wir bergen die Ernte,
Kam'raden, fasst an!
Zwölf Buben, die schaffen
Soviel wie ’n Mann!«

Es rüstet zum Feldzug.
Wie keiner noch war,
Mit leuchtenden Augen
Die Kinderschar.

Es wachsen die Kräfte,
Wie schaffen sie froh!
Wie ruhen sie sanft
Im Stall auf Stroh.

Die Ernte geborgen
Von kindlicher Hand.
Mit rauem Atem
Zieht Herbst ins Land.

 Nun läuten die Glocken
Hinein in den Sturm
Das Erntedankfest
Vom Kirchenturm.

»Wir danken dir, Herr,
Das tägliche Brot,
Dass du auch schenktest
In Kriegesnot.«

»Was Kinder schufen
In Sonne und Wind,
Das segne du, Herr,
Am Kindeskind!«

oben

 Es lauscht der Wald

Goldfarben leuchtets vom Walde,
Der tief nun in Schweigen versank,
Und über ihm liegt’s wie Erinnern
An sonniges Glück, das er trank.

Und über ihm liegt’s wie ein Lauschen,
Jed Blatt wird zum goldenen Ohr,
Das horchet vom moosigen Stamme
Zur ragenden Krone empor.
Mit jeder Faser auch lauschet
Die knorrige Wurzel im Grund,
Und wie mit verhaltenem Stein
Steht Baum nun an Baum weit im Rund.

Erzittert rings nicht der Boden?
Naht’s nicht wie von feindlichem Tross?
Und tränkt nicht aus plätschernder Quelle
Ein feindlicher Reiter sein Roß?

Es lauschet der Wald hoch vom Wipfel
Bis drunten zum winzigen Kraut,
Es störet das heilige Schweigen
Auch nicht eines Vogelrufs Laut.

Wie atemlos Zittern durchschauert’s
Manch ragenden, uralten Baum,
Und purpurgold Laub sinkt hernieder,
Umschlingt ihm wie schützend den Saum.

Zu wärmenden Schichten hoch häuft sich
Der Blätter verwelkende Schar,
Noch sterbend den Boden zu schützen,
Den heiligen, der sie gebar. 





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Texgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

 

Reiterlied, S. 69  -  Erntedank, S. 70-72  -  Es lauscht der Wald, S. 73

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