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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt



  Meine Seele

 Meine Seele ist scheu
Wie im Dickicht das Reh,
Hüllt bang sich in Schleier,
Wie ein nächtiger See.

 Meine Seele ist krank
Wie ein fieberndes Kind,
Und hat doch kein Kissen,
Das zärtlich und lind.

 Der Fels war ihr Lager
Und ihr Pfühl war ein Riff,
Da mit blutenden Händen
In Dornen sie griff.

 Und sie sann eignen Rätsels
Und erkannte, was ward:
Der Gott, der sie weich schuf,
Der wollte sie hart.


 Braune Scholle

 Du hast geboren, braune Scholle,
Nun ruhst du aus in hoher Mutterwonne.
Es trug dein Schoß, der übervolle,
Der Ähren Gold im Glanz der Sommersonne.

 Und wie du ruhst in tiefem Danken,
Steigt aus den Wiesen bleicher Nebel, Schwaden,
Und leise zieht, wie stille Herbstgedanken,
Um Busch und Strauch Altweibersommer-Faden.

 Da weht’s um dich wie neu Verlangen!
Geheime Furchen trägt dein brauner Schoß,
Wo du die goldne Saat empfangen,
Hegst du  in Nacht verborgner Zukunft Los.

 In stummer Andacht lass mich treten
An deinen Rain, du braune Ackerkrume,
Und tief in wortlos heißem Beten
Neigt meine Stirn sich deinem Heiligtume.


 Am Elbgestade

 Auf dem breiten, flachen Wasser
Ziehn die flachen Kähne stille,
Leise lenkt mit schlankem Ruder
Sie des Schiffers kundger  Wille.

 Wie im Traume gurgelt’s leise
Um den Kahn auf breitem Strom,
Halb verwischt im dunstgen Schleier
Malt sich Königsschloss und Dom.

 Wie ein Traumbild gaukelt’s zitternd,
Das in Nebeln schon entschwebt,
Wenn Erinnerung zärtlich rankend
Ihm der Liebe Fesseln webt.

 Es verwischen sich die Grenzen
Und die Wirklichkeit wird Traum;
Was nicht ist, reicht dir die Hände,
Was dir nah, zerfließt wie Schaum.

 Lockt ihr mich, Ihr stillen Wogen,
Die Ihr flüsternd gleißt und blinkt?
„Bette dort dein Haupt zur Ruhe,
Wo der letzte Schlaftrunk winkt!“

 „Kaum, dass jemand nach dir fragte,
Schlöss sich über dir der Gischt,
Und Erinnern weckt kein Echo.
Wie ein Bild, das halb verwischt.“


 Mittagsruhe

Flimmernd ruht der Strom wie schlafend,
Wie im Traum die Wolke schwebt,
Kaum ein Lufthauch rührt die Wälder
Und der Fels starrt glutdurchbebt.

 Rund durch das geweihte Schweigen
Zieht wie ein Gelübde heiß
Zukunftszitternd neues Werden,
Um das nur der Schöpfer weiß.


 Ahnen

 Noch ist der Sommer auf der Höhe,
Doch sinkt schon Laub gelb um mich her,
Wie leise mahnendes „Vergehe!“
Es naht der Herbst sich früchteschwer.

 Wie Ahnen zittert’s durch die Seele
In schmerzerfüllter Gegenwart,
Dass nach der Unrast, Angst und Fehle
Ein Erntetag voll Frieden harrt.



________________________
Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

Meine Seele, S. 10  -  Braune Scholle, S. 11  -  Am Elbgestade, S. 12,  -  Mittagsruhe, S. 13,
Ahnen, S. 14


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