Gedichte
Hildegard Voigt
Meine
Seele ist scheu
Wie
im Dickicht das Reh,
Hüllt
bang sich in Schleier,
Wie
ein nächtiger See.
Meine
Seele ist krank
Wie
ein fieberndes Kind,
Und
hat doch kein Kissen,
Das
zärtlich und lind.
Der
Fels war ihr Lager
Und
ihr Pfühl war ein Riff,
Da
mit blutenden Händen
In
Dornen sie griff.
Und
sie sann eignen Rätsels
Und
erkannte, was ward:
Der
Gott, der sie weich schuf,
Der
wollte sie hart.
Braune
Scholle
Du
hast geboren, braune Scholle,
Nun
ruhst du aus in hoher Mutterwonne.
Es
trug dein Schoß, der übervolle,
Der
Ähren Gold im Glanz der Sommersonne.
Und
wie du ruhst in tiefem Danken,
Steigt
aus den Wiesen bleicher Nebel, Schwaden,
Und
leise zieht, wie stille Herbstgedanken,
Um
Busch und Strauch Altweibersommer-Faden.
Da
weht’s um dich wie neu Verlangen!
Geheime
Furchen trägt dein brauner Schoß,
Wo
du die goldne Saat empfangen,
Hegst
du in Nacht verborgner Zukunft Los.
In
stummer Andacht lass mich treten
An
deinen Rain, du braune Ackerkrume,
Und
tief in wortlos heißem Beten
Neigt
meine Stirn sich deinem Heiligtume.
Auf
dem breiten, flachen Wasser
Ziehn
die flachen Kähne stille,
Leise
lenkt mit schlankem Ruder
Sie
des Schiffers kundger Wille.
Wie
im Traume gurgelt’s leise
Um
den Kahn auf breitem Strom,
Halb
verwischt im dunstgen Schleier
Malt
sich Königsschloss und Dom.
Wie
ein Traumbild gaukelt’s zitternd,
Das
in Nebeln schon entschwebt,
Wenn
Erinnerung zärtlich rankend
Ihm
der Liebe Fesseln webt.
Es
verwischen sich die Grenzen
Und
die Wirklichkeit wird Traum;
Was
nicht ist, reicht dir die Hände,
Was
dir nah, zerfließt wie Schaum.
Lockt
ihr mich, Ihr stillen Wogen,
Die
Ihr flüsternd gleißt und blinkt?
„Bette
dort dein Haupt zur Ruhe,
Wo
der letzte Schlaftrunk winkt!“
„Kaum,
dass jemand nach dir fragte,
Schlöss
sich über dir der Gischt,
Und
Erinnern weckt kein Echo.
Wie
ein Bild, das halb verwischt.“
Mittagsruhe
Flimmernd
ruht der Strom wie schlafend,
Wie
im Traum die Wolke schwebt,
Kaum
ein Lufthauch rührt die Wälder
Und
der Fels starrt glutdurchbebt.
Rund
durch das geweihte Schweigen
Zieht
wie ein Gelübde heiß
Zukunftszitternd
neues Werden,
Um
das nur der Schöpfer weiß.
Ahnen
Noch
ist der Sommer auf der Höhe,
Doch
sinkt schon Laub gelb um mich her,
Wie
leise mahnendes „Vergehe!“
Es
naht der Herbst sich früchteschwer.
Wie
Ahnen zittert’s durch die Seele
In
schmerzerfüllter Gegenwart,
Dass
nach der Unrast, Angst und Fehle
Ein
Erntetag voll Frieden harrt.
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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte
von Hildegard Voigt - Dem
Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher
Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University –
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Meine Seele, S. 10 - Braune
Scholle, S. 11 - Am Elbgestade, S. 12, - Mittagsruhe, S. 13,
Ahnen, S. 14
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