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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt


 Heini

 Leis öffnet sich zum Spalt
Die Tür, du willst hinein;
Erschreckt doch machst du halt
Und trittst nicht zu mir ein.
Dein Köpfchen überschwemmt
Des goldnen Lichtes Welle,
Dein Füßchen bleibt gehemmt,
Gebannt auf meiner Schwelle.

 In hohem Staunen dann
Schaust du nach Kinderart
Dir deine Händchen an,
Die fein und elfenzart
Von heller Sonnenglut
Purpurn durchleuchtet sind,
Wo rein dein junges Blut
Durch reine Adern rinnt.

 Und vor die Augen hin
Führst du die Kinderhand;
Es ist, als hätt dein Sinn
Ein Rätsel halb erkannt.
Schreckt dich dein eigen Blut?
Schaust ahnend du im Bild,
Wie heiße Sinnenglut
Dir peitscht die Adern wild?

Fürchtest du dich vor dir,
Vor deiner eignen Hand?
Wie scheu schmiegst du bei mir
Das Haupt in mein Gewand!
Und meine Finger still
Dir deine Locken glätten.
Wenn Zauberkraft mein Will
Und mein Gebet doch hätten!

 Du musst ins Leben hin,
Musst suchen, fehlen, irren,
Des dunklen Rätsels Sinn
Aus eigner Kraft entwirren.
Nicht kann ich schützend dann
Ob dir die Hände halten,
Flüchte nur dann und wann
In meines Kleides Falten!

oben

 Fremd

Das sind noch die alten Straßen,
Da steht noch das alte Haus,
Da tat ich in Kinderschuhen
Den ersten Schritt einst hinaus.

Da ist noch der alte Torweg
Mit holprigem Pflastersein;
Durch dämmernde Kühle schau ich
Zum Hofraum so tief hinein.

Da pfleget wie einst im Winkel
Ein alter Hofhund der Ruh,
Er blinzelt mich an und kommt dann
Schweifwedelnd sacht auf mich zu.

Da schreitet wie einst die Henne
Laut gackernd an mir vorbei;
Dort hinter dem Gittertürchen
Sucht ich im Stroh nach dem Ei!

Und über die Mauer strecket
Der alte Birnbaum den Ast,
Als wollt er die Hand mir reichen,
Mich laden zu trauter Rast.

Erkannte sie alle wieder
Das Kind, das einst hier gelacht?
Ihr treues Erinnern hat mir
Die Jugend wieder gebracht.

Da hör ich ein Fenster klirren,
Der Hausherr schaut zu mir her,
Und freundlich mich grüßend, fragt er,
Was wohl des Gastes Begehr?

Ich kann mich stumm nur ihm neigen,
Dann schreit ich zum Torweg  ‘naus,
Es machte mich seine Frage
Zur Fremden im Elternhaus.

 Die nachtgraue Frau

Da, wo Frau Sorge sich niederlässt,
Da trägt sie ein häuslich Gewand,
Da kämmt sie ihr langes, graues Haar
Mit der langen, knöchernen Hand.

Und wem sie dabei ins Auge schaut,
Der vergisst, was sonst ihn beglückt,
Das, was ihn singen und lachen ließ,
Eh er die Frau Sorge erblickt.

Das Lachen und Singen mag sie nicht,
Und wer ihr verfällt, der wird stumm.
Er schleicht an ihrer knöchernen Hand
Gebückt nur im Hause herum.

Und wem ihr Finger die Wange streift,
Dem bleibt nun im Antlitz ihr Mal,
Ein Knapp, der der Herrin Farbe trägt,
Vermehrt er der hörigen Zahl.

Doch nicht auf mutigem Ross für sie
Zieht ritterlich er ins Turnei,
Nicht schaut der Knappe der nachtgrauen Frau
Dem Feinde ins Angesicht frei.

Nicht streckt ihn wuchtiger Hieb in den Sand;
Sein Wams ist durch Stiche beschmutzt,
Hat doch Frau Sorge ihn Tag für Tag
Als ihr Nadelkissen benutzt.


oben




____________________________

Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt von M. Bauchwitz, Stettin. -
Original von Princton University – Digitized by Google


Heini,
S. 15-16  -  Freund, S. 17-18  -  Die nachtgraue Frau, S. 19

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: "The inflorences of Arctium lappe"  Moscow 2009, Urheber Bff, 
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