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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt


 Die alte Weide

Gefroren der Bach
Und die Luft voller Schnee
Und die Wolken am Himmel im Kampf.
Wild jagender Nord pfeift erstarrenden Hauch
Aus keuchender Brust vor sich her.

Was fliehn kann, verbirgt sich,
Ob Mensch oder Tier,
Bei Freund oder Feind sucht es Schutz.

Nur ich wandle einsam gefahrvollen Weg,
So furchtlos wie einer,
Der nichts mehr besitzt.

Am Wege die Bäume sie ächzen vor Not,
Gebrochen ihr trotziger Mut.
Da kracht es, da biegt sich’s,
Da bricht es und stürzt.
Es splittert vielarmig ein Ast,
Zu Tode verurteilt die strotzende Kraft,
Durch den Schlamm und den Schmutz nun gefegt.
In den Lüften da heult es,
Da gellt es und lacht.
Unseliger Verdammter
Unheiliger Chor.

Sieh dort, wie gespenstisch
Auf nächtigem Himmel
Die Zweige sich malen
Des knorrigen Baums!

Am Ufer die Weide
Einst blühend und grün,
Reckt nackt in die Luft heut
Verdorrt ihren Arm.
Gespalten der Stamm.
Von der Krone herab
Bis tief in die Wurzel,
So traf sie der Blitz!

Mit Grauen erfüllt mich
Das düstere Bild.

Da zittert das Mondlicht
Durch jagende Wolken,
Beleuchtet die Weide
Mit fahlblauem Schein.
Und sieh da, da gewahr ich
In knorrigen Zweigen,
In dürrem Geäste
Ein menschlich Gesicht!
Was packt mich, was treibt mich
Dem Bilde entgegen?
Was lockt mich, bedroht mich,
Was zieht mich und warnt?
Es bohrt sich mein Blick in das nächtge Gewirr.
Da schwindet das Mondlicht,
Verbirgt sich, kehrt wieder,
Belebet wie atmend
Den gespenstischen Baum.
Und da kenn ich die Züge,
Vertraut ist das Antlitz,
Das aus der alten Weide mich höhnt.

 Mich selber beleuchtet das zitternde Mondlicht!
Mein das Gesicht im gespaltenen Baum.

So traft einst der Blitzstrahl
Mein eigenes Leben,
Zerspaltet mein Herz
Und zerbrach meine Kraft.
So reckt ich verzweifelt
Die Arme gen Himmel,
So fasste mich Sturm
Und verzerrte mein Bild.
Du blitzgespaltener, todwunder Bruder,
Ich grüß dich voll Schmerz!
Dein Schicksal ist meines,
Ist lebender Tod.

Und der Sturm er verbraust
Und der Winter er geht.
Still keimet im Dunklen,
Sich selbst unbewusst,
Unter schützendem Schneetuch
Bang ängstliche Saat.
Und der Frühling er winkt,
Mit Regen und Sonne verspricht er und lockt
Und erlöst er die schlafende Flur.

Und ich wandle den Weg,
Den im Winter ich ging
Umringt von Vernichtung und Sterben.
Und ich stehe am Bach, den die Weiden geleiten,
Und staune des Wunders, das still sich vollzog.

Gespalten wie damals steht vor mir der Stamm,
Den der Blitzstrahl ins Herzmark getroffen.
Vertrocknete Äste streckt leer er gen Himmel.
Daneben doch neigen
Licht grünende Zweige
Leis schaukelnd im Winde
Sich tief auf das Wasser
Und streifen das Nass.
Kaum fass ich das Wunder,
Ich falte die Hände
Und feucht wird mein Aug.

Da horch, leis ein Stimmchen!
Dicht über mir zirpt es,
Halb ängstlich, halb zornig.
Im gespaltenen Baum
Baut ein Vogel sein Nest!

Und des packt mich wie Scham.
Und ich beuge mein Haupt
Vor dem Baum, dem vom Blitzstrahl Getroffnen.
Was still er mir predigt,
Hab nun ich verstanden!
Todwund noch grünt er,
Gibt Schatten und Schutz er
Dem werdenden Leben
Im gesprenkelten Ei.
Und heißes Gelöbnis
Erfüllt meine Brust.
So würdig wie du,
Du gespaltener Baum,
Will mein eigenes Schicksal ich tragen!

oben

 Allein

Ich steh allein in dunkel banger Nacht,
Es führt von mir kein Weg zu andern,
Und seh mit heißen Augen voll erwacht
Die Menschheit ihre Pfade wandern.

In breiten Rudeln, satt im eignen Schwall
Zieht Mann und Weib der Niedrung Straße,
Wie Herdenvieh behaglich sucht den Stall,
Sich sondernd nach der Farbe und der Rasse.

Ich steh allein, lautlos in Einsamkeit
Und fühl um mich die Stille wachsen.
Mit scharfem Sinn spür ich den Schritt der Zeit,
Wie Zittern in des Rades Achsen.

Der Ewigkeit vertraut, den Menschen fern,
Und doch aus Art, die ihrer Art entstammt,
Bin ich allein in meinem tiefsten Kern.
Bin ich begnadet, Gott, bin ich verdammt?





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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

Die alte Weide, S. 20-23  -  Allein, S. 24 

Logo 352: "The inflorences of Arctium lappe"  Moscow 2009, Urheber Bff,
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