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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt


 Der herbste Schmerz

Stumm trug ich tiefstes Leiden,
Nie fand mein Mund ihm Laut,
Hab’s nur in bittren Stunden
Dir, meinem Lied, vertraut.

Einst fühlt mein warmes Herze
Wie eignes, fremdes Weh.
Nun ist so kalt es worden,
Ruht wie in Winters Schnee.

Einst schmolz mein weiches Herze
Wie Wachs bei fremder Pein,
Doch hat des Schicksals Hammer
Es hart geprägt wie Stein.

Trag nun in festem Panzer
Ein hartes, kaltes Herz.
Das ist von allen Wunden
Der herbste Erdenschmerz.

oben

 Sonnensehnsucht

Aus goldnem Überfluss vom Sonnenschloss
Hinausgeschleudert in dein dunkles Los,
Hast di begehrt, du arme Mutter Erde?
Beglückte dich das hohe Wort: „Es werde!“?

Noch heut an deiner Mutter Schritt gebunden,
Unmündig wie ein lallend Kind befunden,
Willst du zur goldnen Kinderstube heim,
Zur Unbewusstheit, nur ein Zukunftskeim?
Lockt dich zu wildem Spiel und Feuertanz
Lodernde Pracht vom Sonnenfackelkranz?
Wie trunken taumelst du um deiner Mutter Schöne,
Und deine Sehnsucht erben alle deine Söhne,
Zur Mutter Sonne heben sie die Hände,
Ihr Dasein richten sie nach Sonnenwende.

Du Lebensspenderin, hohe Mutter Sonne,
Du heilger Urquell aller Erdenwonne,
Die du das heiße Sehnen in uns nährst,
Dem die Erfüllung grausam du verwehrst,
Sprich, kommt der Tag, da wir durch wehes Bangen
Erlöst zu göttlichem Verstehn gelangen?

Du lächelst milde; doch erbarmungslos
Entsendet keine Botschaft mir dein Schoß.
Wie deut ich dich, wie deines Wesens Kern?
Ich dir entstammt und du mir sonnenfern?

Da Wunder! Über ungemessne Weiten
Will voll dein Strahl ins zage Herz mir gleiten.
Aus deines Reichtums Überfluss entsandt
Spinnt sich’s von dir zu mir wie gülden Band.
Wie Muttersprache trinkt mein Ohr dein Wort,
Dein tönend Licht wird schwellender Akkord.
In goldnen Wellen kündet ewge Wahrheit
Mir deiner Himmelsbotschaft hohe Klarheit:

 „Als Sonnengabe für dein Erdenleben
Ward, winzig Urkind, Sehnsucht dir gegeben!
Ein Stäubchen nur von meiner Strahlenhülle
Ward dir ins Herz gesenkt in Gnadenfülle,
Dein Sonnenheimweh wach dir zu erhalten.
Lass Menschenkind, dein Sehnen nicht erhalten!
Solang es dein, hebst du zum Licht das Haupt,
Wenn auch dein Fuß von Erdennot umstaubt.
Denn, Menschenkind, dein höchstes Gut, verstehe,
Ist deiner Sonnensehnsucht heißes Wehe!“

 Die Akazie vor meinem Fenster

Heulender Herbst wühlt in deinen Zweigen,
Rüttelt den Stamm dir, dass winselnd er ächzt,
Lässt dem entfesselten Zorn sich neigen,
Wonach in heißer Begier er gelechzt.

Und wie du schüttelst flatternde Locken,
Die matt noch schimmern im sommerlich Grün,
Fallen hinein schon die ersten Flocken,
Um schnell im klagenden Wind zu versprühn.

Weint er, weil Anmut und Schönheit sterben,
Die spielend umkost den bräutlichen Leib?
Klagst deinem Los du, dem fraulich herben,
Fühlst deine Ohnmacht, ein welkendes Weib?

Du warst so schön, als Lenzwind dicht wiegte,
Der auf der Lippe den Blütenstaub bracht,
Als an die Brust er heiß dir sich schmiegte
In tief verschwiegner, glutvoller Nacht.

Bräunlich nun hangen welkende Schoten,
Wo einst die duftenden Dolden gelacht;
Lautlos vom Stamm dir sanken die Toten,
Die dich umkränzten in leuchtender Pracht.

Welkende Blätter wirbelnd nur wehen!
Seid alt geworden, der Lenzwind und du
Grollt miteinander, dass es geschehen,
Ruft euch kein zärtliches Kosewort zu.

Heulend umtobt der Sturm deine Reste,
Eilt dir vorbei, da dein Liebreiz entfloh,
Sucht bei dir keine nächtlichen Feste,
Streckt müd sich irgendwo einsam ins Stroh.





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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen
Kunstanstalt von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google

Der herbste Schmerz, S. 30  - Sonnensehnsucht, S. 31-32 
Die Akazien vor meinem Fenster, S. 33-34 


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