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Literatur


04.2


Gedichte

Hildegard Voigt


 Frau Sonn im goldnen Wagen

Frau Sonn im goldnen Wagen
Mit feurigem Gespann,
Ich hab dir was zu sagen!
Halt deine Rosse an.

Frau Sonne, ich Hab Schmerzen!
Dein golden Herz erbarm,
Dein tausend Flammenkerzen
Lenk lind auf meinen Harm.

Frau Sonne, ich hab Sorgen!
Leucht mir ins Herz hinein,
Dann flammt’s wie lichter Morgen
In purpurdunklem Schrein.

Frau Sonn mit goldnem Munde,
Komm, küss mich armen Tropf!
Dann stirbt zur selben Stunde
Mein Leid in Herz und Kopf. 

Frau Sonn im goldnen Wagen
Mit feurigem Gespann,
Ich hab dir was zu sagen!

Halt deine Rosse an.

oben

 Saatgrün und Jungwind

Über die Saat streicht der blutjunge Wind,
Neckt sie, versteckt sich wie spielendes Kind;
Und sie duckt, ihrem wilden Genossen
Lieblich zu Willen, die zartgrünen Sprossen.

Hält er dann atemlos inne im Lauf,
Richtet behutsam sie wieder sich auf,
Guckt wie ein Neugier im saftgrünen Haus
Über die eigenen Härchen hinaus.

Verkroch er schläfrig sich abends zum Traum,
Liegt ihr’s wie Tränchen auf zartgrünem Flaum.
Aber die Kindertränen und -Sorgen
Fliehn vor dem ersten Windhauch am Morgen.

Was er an würzigem Duft da errafft,
Gibt ihm zum Tagwerk die frischfrohe Kraft.
Saatgrün und Jungwind mögen sich leiden,
Sind auf sich angewiesen die Beiden.

oben

 Der Ginster blüht

Nun flattert es über der wogenden Saat.
Frau Lerche erhebt sich auf luftigem Pfad.
Triumph jubiliert ihre silberne Kehle,
Als ob sie der Welt etwas Neues erzähle
Von Wundern, die nimmer ein Auge erschaut,
Und singt doch wie immer so lieb und vertraut
Das uralte Lied:
»Der Ginster, er blüht,
Der goldene Ginster!«

Er schreitet als Herold wohl über die Heide,
Schwingt zwischen der knorrigen Fichte und Weide
Die närrischen goldenen Schellen am Baum
Wie trunken vom heurigen Sommernachtstraum.
Und von seinem goldenen Thron grüßt der Held,
Der siegfrohe Sommer, zu Füßen die Welt
Beim jubelnden Lied:
»Der Ginster, er blüht,
Der goldene Ginster!«

Da schmettert der Wind in das silberne Horn!
Wie zärtlich neigt ihm sich das blühende Korn
Und schüttelt den silberhell glänzenden Staub!
Wie trunken vor Lust neigt das Laub sich dem Laub.
Vom Halme zum Halm schwingt des Hochzeitsfests Tusch
Und Kindtaufschmaus feierts in jeglichem Busch
Beim jubelnden Lied:
»Der Ginster, er blüht,
Der goldene Ginster!«

oben

 Bettelndes Vöglein

Unscheinbares Finkenweibchen,
In dem schlichten Werktagskleid
Plustert dreist sein graues Leibchen,
Öffnet seinen Schnabel weit.

Heischet Futter für die Jungen
Tief versteckt im weichen Nest.
Lenz und Lieder sind verklungen,
Kindtauf folgt dem Hochzeitsfest.

Und ich steh mit leeren Händen
»Kleine Finkenmutter, flieg!
Hab kein Krümchen dir zu spenden,
Finkenmutter, es ist Krieg!«


oben

 Sonnenblumen

Ihr schaut aus ernsten Augen
Und braun ist eu’r Gesicht,
Das rahmen goldne Blätter,
Wie Sonnenstrahl so licht.

Nicht schmückt ihr stolze Gärten
Gepflegt von kundger Hand,
Ihr lebt vom Tau des Himmels
Auf Kehricht und auf Sand.

Und wo im Straßenstaube
Sich Barfuß-Kinder haun,
Da guckt ihr Sonnenblumen
Am liebsten über’n Zaun.



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Textgrundlage: "Dornenkinder", Gedichte von Hildegard Voigt - Dem Gedächtnis einer lieben Seele,
Norddeutscher Verlag für Literatur und Kunst, Stettin, hergestellt in der Grafischen Kunstanstalt
von M. Bauchwitz, Stettin. - Original von Princton University – Digitized by Google


Frau Sonn im goldnen Wagen, S. 45  - Saatgrün und Jugendwind, S. 46  - Der Ginster blüht, S. 47  -  
Bettelndes Vöglein S. 48,  -  Sonnenblumen, S. 48

Logo 352: "The inflorences of Arctium lappe"  Moscow 2009, Urheber Bff, 
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