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04.2
Gedichte Politik
Allgemein
An
das deutsche Volk
Zur
70. Jahresfeier der Geburt des Fürsten Bismarck (1. April 1885)
Wir
schauten die größte germanische Tat, von der die
Geschichte berichtet,
Das
größte der Wunder, wie es nur im Traum vorahnend die
Muse gedichtet:
Germanische
Kraft mit zermalmender Wucht zu germanischem Werke verbündet,
Germanias
Größe gefestet zum Ring, zur funkelnden Krone
geründet!
Gewalt’ges
vollbringt ein gewaltig Volk. Doch wer ists, der zum Heile sie wendet,
Die
gewaltige Tat? wer ists, der sie plant? und wer ists, der sie vollendet?
Wer
ists, der Verworr‘nes, der Ziele bewusst, mit ordnendem
Geiste gestaltet;
Zu
lebendiger Blüte der Wirklichkeit, was Jahrhunderte
träumten, entfaltet?
Der
Genius ist es, der Heros, traun! in welchem zum lichten Gedanken
Das
Ringen, das dumpfe, des Volkes wird, das gegärt in beengenden
Schranken,
Und
Leben gewinnt und fest Gestalt, und vor dem staunenden Blicke
Der
Mitwelt streitbar tritt in die Bahn, zu entscheiden die
großen Geschicke.
Auch
dir, o deutsches Volk, auch dir ist solch ein Mittler erstanden,
Ein
Führer und Lenker, so kühn als klug, ein Held in
germanischen Landen,
Der,
wie keiner vor ihm, der Rätselsphinx der germanischen Zukunft
begegnet,
Mit
Kraft von Natur, mit Macht vom Geschick, mit Glück vom Himmel
gesegnet!
Du
feierst ihn heut – zujauchzest du ihm! Doch –
willst du am schönsten ihn ehren,
O
deutsches Volk, so gedenke du heut, auch ein in dich selber zu kehren,
Und
frage dich still: Ist gesichert nunmehr für immer uns, was er
geschaffen,
Geschaffen
mit waltender Geisteskraft, und ersiegt im Sturme der Waffen?
O
Festtag, werde zum Schicksalstag für alle germanischen Gaue,
Dass
sinnenden Blicks anheut, wie zurück, auch vorwärts
jeglicher schaue,
Anflehend
der Schicksalsmächte Gunst, dass über dem Reiche sie
walten,
Wenn
heimgegangen die Starken sind, die wie Säulen es heben und
halten!
Die
Stämme, die Gaue der Deutschen, o seht, im weiten germanischen
Reiche,
Ineinander
gewachsen sind sie noch nicht wie die Äste im Wipfel der Eiche:
Vereint
sind sie, zusammengefügt nur erst wie ein Bündel von
Speeren,
Nun
kämpfend vereint – um aufs Neue vielleicht sich
gegen einander zu kehren?
Weh
dir, o deutsches Vaterland, wenn deinen sämtlichen
Söhnen
Das
Heiligste nicht vor allem du selbst! wenn sie der Treu’ sich
entwöhnen,
Wenn
ihnen nicht ewig als Leitstern gilt in unvergänglicher Reinheit
Des
Vaterlands Ehre, des Vaterlands Glück, des Vaterlands
Größe und Einheit!
O
weckt ihn nicht auf, den alten Fluch, den Fluch der germanischen Erde,
Dass
nicht zu grollender Nachbarn Spott, zum Tummelplatze sie werde
Gesättigter
Rache, schnöden Verrats – dass den Herd des
heimischen Lebens
Nicht
schände die Schmach barbarischen Tuns und zerfahrenen
wüsten Bestrebens!
Die
Bäume rauschen im Niederwald – sie flüstern
aus jüngsten Tagen
Eine
schaurige Mär, voll warnenden Sinns – sie rauschen
und flüstern und sagen:
„Nicht
fremde Hand wird stürzen das Mal, das stolz hier schaut in die
Lande:
Doch
wehe, wenn einstens des Ruhms Denkmal sich zum Denkmal wandelt der
Schande!“
Der
Lorbeer, geflochten der deutschen Tat – er deckt grau
schimmernde Haare!
Den
Helden, den heute wir feiern, wir sehn ihn gedrückt von der
Bürde der Jahre!
Doch
– ob auch erschöpft von den Mühen des
Kampfs und dem Schweiße gewaltiger Taten,
Darf
nun er auf seinen Lorbeern ruh’n, und können wir
seiner entraten?
Nein,
heg’ ihn, o Deutschland, so lang’ ihn noch die
himmlischen Mächte dir gönnen!
Nie
mag im gewaltigen Drange der Zeit erlahmen sein Wollen und
Können,
Und
niemals komme der Tag, wo nicht, wie bisher, zu gedeihlichem Werke
Aus
des Volkes Vertrau’n er schöpfe den Mut, aus dem
Heimatboden die Stärke.
Wie
Columbus erschloss er durch Fahr und Not die Bahn zu
verheißenen Küsten,
Wie
Moses fand er des Auswegs Spur für sein irrendes Volk in den
Wüsten;
Wie
jenem, ist es vielleicht ihm versagt, dort, wo er säte, zu
ernten,
Wie
dieser, blickt er sterbend vielleicht nach Gefilden, weit noch
entfernten –
Doch
– ist es noch nicht errungen ganz, wofür er
kämpfte und lebte,
Und
schwebt es noch in den Lüften halb, das Deutschland, das er
erstrebte,
So
gönnet ihm doch, nicht wolkenverhüllt, nicht
umdräut von finsterem Grauen,
Nein,
winkend in rosigen Zukunftslicht es mit brechendem Auge zu schauen.
Robert
Hamerling
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