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Literatur


04


Gedichte - Sagenpoesien



Lindheimer
4. September 1811

Lindheimer liegt gefangen
Im tiefen Turme dort,
Soll auf dem Rad empfangen
Den Lohn für Raub und Mord.

„Es liegt mir auf dem Herzen
Ein Stein, viel Zentner schwer,
Er brennt mit Höllenschmerzen
Und trieft von Blute sehr.

Er drückt mich noch hinunter
Zum tiefsten Höllengrund;
Hätt’ ich den Stein herunter,
Ich würde noch gesund.“

Lindheimer hat gebeten,
Daß man ihn führ’ hinaus;
Man führet ihn in Ketten
In schwarzer Wälder Graus.

Allwo der Stein gelegen,
Im Boden eingesenkt,
Viel Zentner mag er wägen
Und ist mit Blut getränkt.

Lindheimer will nicht rasten,
Bis er den Stein ausgräbt,
Den Stein von großen Lasten
Er auf die Schulter hebt.

Trägt ihn von freien Stücken
Den steilen Berg hinan,
Es kracht ihm Knie und Rücken,
Kaum dass er atmen kann.

Lindheimer ohn’ Ermatten
Den Stein zum Gipfel trägt,
Zu einem Kirchlein hatten
Sie dort den Grund gelegt.

Den Stein, den er getragen,
Den wirft er auf den Grund,
Dass man in allen Tagen
Kein’ bessern Eckstein fund.

„Der Stein ist mir vom Herzen,
Er liegt in Gottes Gnad’.
Nun acht’ ich keiner Schmerzen,
Nun legt mich auf das Rad!“

Am Kirchlein unsrer Frauen
Der Stein noch heute steht,
Lindheimer drein gehauen,
Wie er belastet geht.

Ludwig Uhland

Der Messner zu Bamberg

Der Messner Jobst zu Bamberg ward
Gar gern geseh’n bei frohem Schmause:
Ihn lockte mehr der Zecher Art,
Als frommer Dienst im Gotteshause.

Und wenn des Nachts bei vollem Glas
Die heiße Wang’ ihm tät’ erglühen
Bei Wein und Minnesold, vergaß
Er leicht des Tages heil’ge Mühen.

So war er einst vom Weine spät
Nach Mitternacht zur Ruh gegangen,
Und ohn’ ein frommes Nachtgebet
Hat ihn der Schlummer bald umfangen.

Und hohl, wie aus dem Grabe tönt
Ein Pochen in des Domes Raume.
So dumpfen Tones nicht gewöhnt,
Erwachte Jobst aus schwerem Traume.

Und eilt voll Angst der Kirche zu,
Späht’ rings im Tempel gar verdrossen,
Was ihn gestört aus süßer Ruh’
Ob wohl ein Beter eingeschlossen.

Er schaute nichts, doch plötzlich stieß
Sein Fuß an eines Grabmals Kante,
Das prunklos diese Inschrift wies,
Die nicht des Frommen Namen nannte:

„Es leuchte hier ein ew’ges Licht
Zu meines Namens Angedenken,
Und täglich sei’s des Messners Pflicht,
Die Lampe frisch mit Oel zu tränken.“

„Schlaf’ still in deinem dunklen Haus,
Dir leuchten Gottes Sterne alle.““
So rief der Messner frevelnd aus,
Eilt brummend aus des Tempels Halle.

Still war’s. Der freche Spötter schlief.
Doch horch’! Welch’ schaurig Grabespochen
Jobst wieder aus dem Schlafe rief,
Dass ihm begann das Blut zu kochen.

„So schweige doch, du toter Mann!
Was willst du mir die Ruhe stehlen?
Nicht zünd’ ich dir die Lampe an,
Bis du mich suchst in meinen Pfählen.“

Es klirrt - erzittre Bösewicht! -
Es öffnet sich des Zimmers Türe.
Da steht der Geist. „Riefst du mir nicht?
Nun folge mir, wie ich dich führe.“

Zum Dome rauscht es hin im Flug,
Das Tor geht auf, der Geist bleibt stehen
Am Grab. „Nun Jobst die Hand zum Krug,
Und tue jetzt, was nicht geschehen!“

Der Messner tat nach dem Geheiß;
Der Geist versank in Grabesstille,
Jobst aber fror das Blut zu Eis,
Geschehen war des Frevlers Wille.

Siehst du im Dom den Beter knie’n?
Jobst ist’s, der Küster, frommergeben.
Der Herr hat ihm die Schuld verzieh’n,
Er führt ein bußgeweihtes Leben.

Philipp Will

Der kühne Rechberger

Der kühne Rechberger ritt einmal
Spät in der Nacht durchs tiefe Tal.
Eine alte Kirch’ erschaut er bald,
Die lag versteckt im dunkeln Wald.

Den Tag er hier zu warten denkt,
Über Stein und Dornen das Ross er lenkt.
Tritt in die alten Mauern ein,
Legt sich nieder auf einen Stein.

Und als es war nach Mitternacht
Hat er sich wieder aufs Ross gemacht.
Reitet des Wegs im dunkeln Wald,
Seinen Streithandschuh vermisst er bald.

„Gut Reutknecht mein, Du fauler Gesell!
Den Streithandschuh hol mir zur Stell!“
„Den Streithandschuh, den ließ ich fürwahr
In der Kirch auf einer Todenbahr“.

Der Knecht, der reitet voll Hast zurück,
Kehrt ohne den Handschuh mit großem Blick:
„O Herr! da drinnen, da sitzt fürwahr
Ein feurig Gespenst auf der Todenbahr,

Das hat Eure Handschuh angetan,
Streicht einen über den andern an“.
„Der Rechberger drauf erzürnet spricht:
Harre zur Stelle, Du feiger Wicht!“

Er lenkt das Ross über Dornen und Stein,
In die alte Kirche tritt er allein.
Da sitzt das Gespenst auf der Todenbahr,
Seine Handschuh an den Händen fürwahr.

Der Rechberger tritt keck an den Geist,
Die Handschuh ihm von den Händen reißt.
In die Todenbahre der Geist verschwand,
Der Rechberger sich nach dem Walde wand.

Justinus Kerner







oben
________________________________________
Gedicht: "Lindheimer", Ludwig Uhland, aus:
 dem Nachlass Walter P.H. Scheffler.
Erstellung: 4.9.1811, ED: 1963,
Verlag: J. F. Steinkopf, Stuttgart

Wikicource

Gedicht: "Der Messner zu Bamberg, Philipp Will.
 Aus: Alexander Schöppner, Bayrische Sagen,
 Sagenbuch der Bayerischen Lande, Band 1,
München 1852, S. 207-208 Nr. 212. ED: 1852, München

Wikisource

Gedicht: "Der kühne Rechberger", Justinus ,
Deutsche Sagen. Aus dem Nachlass von
Heinrich Köstlin hrsg. von Heinz Otto Burger,
Schwäbische Romantik, Stuttgart 1928, S. 141f.
Herausgeber: Heinz Otto Burger 1811.
ED: 1928- Verlag W. Kohlhammer

Wikisource

Logo 42: Der Tod und die Frau, Schiele Egon.
EJ: 1915, Österreichische Galerie, Wien, Gemeinfrei

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