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Literatur


04.2

Der Todten Tanz

wie derselbe in der löbl. u. Welt berühmten

Stadt Basel

als ein Spiegel menschlicher Beschaffenheit
künstlich gemahlet und zu sehen war
Nach  dem Original in Kupfer gebracht, Basel
Verlag von J. L. Fuchs  Co.
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 Vorwort





Ich bin nicht wie die andern Menschen.
Luc. 18



Ich bin reich, wohlhäbig, und bedarf
keines Menschen.
Offenb. 3



Eine Reihe bald herber, bald kräftiger, bald tiefer Vorstellungen drängen sich um den Gedanken an den Tod, und selbst unsere ernstesten Forschungen knüpfen sich auf irgend eine Art an denselben an. Er ist der unsichtbare Punkt, um den sich die wichtigsten Fragen drehen; die dunkle Aufgabe, die wir in dem großen Räthsel des Lebens zu lösen streben; die Schwierigkeit, deren befriedigende Hebung Ordnung, Zusammenhang und Klarheit in den Gang unserer Gedanken wie in die Entwicklung unserer Thätigkeit bringen würde.

Die Bekenner einer blos sinnlichen Philosophie mühen sich vergebens ab, vor diesem undurchdringlichen Schleier, hinter dem sich entweder ein bodenloser Abgrund gräbt, oder ein grenzenloser Raum ausdehnt. Unvermögend diesen Schleier zu lüften und nicht geneigt dem Glauben den Kummer der Seele zu vertrauen, bemühen sich die Einen zu beweisen, daß man sich gar nicht beschäftigen müsse mit dem Gedanken, der das Gemüth nur nieder drückt; während die Andern den Geist mit der Stunde des Todes vertraut zu machen streben, und in allem Ernste den platten Witz irgend einer Theaterperson anpreisen: Sterben ist an sich nichts! – es ist blos die letzte Stunde unsers Daseins! – Noch Andere endlich, vernünftiger zwar, aber darum nicht glücklicher als die Ersten, stellen alle diese vergeblichen Bemühungen als höchst lächerlich vor, und behaupten, es lebe niemand auf dem ganzen Erdenrunde, der nicht Furcht habe vor dem Tode. Alle, ohne Ausnahme, zeigen übrigens, durch die Sorgfalt, mit der sie diesen Gegenstand entwicklen, daß er für sie selbst eben so ernst und wichtig ist, als für alle übrigen Erdenkinder; und Alle sind unglücklich, weil sie nicht kennen die Stimme Desjenigen, der die höchste Gewißheit gegeben hat dem Leben und der Unsterblichkeit! –

Unter den mühevollen und zum Theil ängstigenden Vorstellungen, welche die Erinnerung an den Tod erzeugt, ist jedoch eine, welche die meisten Menschen tröstet, und die der Arme und Unglückliche mit einer gewissen, boshaften Freude aufnimmt: der Gedanke nämlich, daß durch den Tod die ursprüngliche Gleichheit der Menschen wieder hergestellt wird. Dieser Gedanke war von jeher dem Volke lieb, und mußte es besonders zu einer Zeit sein, wo die gesammte Menschheit in zwei große Klassen getheilt schien, die der Unterdrücker und der Unterdrückten. Und wenn dann je zuweilen im Mittelalter eine jener physischen Landplagen, die mit der zunehmenden Versittlichung gewichen zu sein scheinen, ihren menschmordenden Tribut mit großer Unpartheilichkeit unter allen Klassen der ungeheuren Menschenmasse erhob, die damals, in Ermangelung besserer bürgerlicher Einrichtungen, durch das Band der Feudalverfassung zusammengehalten wurde: so gefiel sich gleichsam das gemeine Volk, trotz des Verlustes, den es selbst dabei erlitt, in der Betrachtung eines gemeinsamen Übels, das wieder eine gewisse Gleichheit zwischen ihm und seinen Unterdrückern herstellte, indem es das Unglück mit unpartheiischer Hand vertheilte; und dieses Gefühl einer geheimen Schadenfreude, verbunden mit den strengen Grundsätzen der Religion und der düstern Denkart der Mönche, gab Veranlassung zur Entstehung jener sonderbaren Kunsterzeugnisse, die unter dem Namen „Todtentänze“ bekannt sind, und unter welchen sichd erjenige vortheilhaft auszeichnet, dessen treue Abbildung wir hiermit dem Publikum vor Augen legen.

Lange wurde geglaubt, dieser Todtentanz rühre von Holbein her, wie denn überhaupt die öffentliche Meinung der damaligen Zeit sich darin gefiel, diesem berühmten Künstler alles zuzueignen, was seine Vaterstad Ausgezeichnetes im Fache der Malerei besaß; und zum Beweis, wie groß die Macht einer vorgefaßten Meinung ist, wurde dieser Irrthum die Quelle eines andern. Man glaubte nämlich in diesen Abbildungen die charakteristischen Züge und das seltene Verdienst seines Pinsels wieder zu finden, und bedachte nicht, daß, unabhängig von der anerkannten Geringfügigkeit dieser Gemälde, die Kleidertrachten und mehrere andere Umstände auf ein weit früheres Zeitalter zurückweisen. Inzwischen walten darüber heut zu Tage keine Zweifel mehr ob, und kaum gesteht man Holbein die Ehre zu, diese Gemälde vielleicht einmal aufgefrischt zu haben – eine Ehre, deren sein Ruhm nicht bedarf! – Holbein hat aber auch einen Todtentanz erdacht und gezeichnet, der in Duodez-Format sehr schön in Holz geschnitten worden ist, wahrscheinlich durch Hans Lutzelburger, genannt Frank. Er ist in mehreren Auflagen herausgekommen, die alle sehr selten geworden sind, und sich auf der Universitätsbibliothek in Basel finden: so wie noch ein zweiter Todtentanz, dessen Figuren in den Anfangsbuchstaben des Alphabets angebracht und von dem gleichen Künstler mit ungemeiner Zartheit in Holz geschnitten sind.

Aus den Forschungen mehrerer  Kunstverständigen ergibt sich, daß die Sitte, an den Mauern der Klöster und in den Hallen oder Gängen der Grabstätten eine Reihe von Gemälden abzubilden, die den Tod vorstellen, wie er Menschen aus allen Ständen hinrafft, daß diese Sitte schon im vierzehnten Jahrhundert und vielleicht noch viel früher üblich gewesen ist. Nach Einigen soll der Gedanke zu solchen Gemälden von ähnlichen Vermummungen entlehnt worden sein, die zur Zeit des Karnevals statt  zu finden pfegten. Andere dagegen wollen die Veranlassung zu diesen sonderbaren Gebilden in der Entvölkerung suchen, welche damals so häufig in Europa durch die Pest verursacht wurde. Welche von diesen Behauptungen man übrigens annehme, so viel scheint gewiß, daß der ungewöhnliche Anblick einer übergroßen Sterblichkeit, den jener traurige Zeitabschnitt des Mittelalters leider nur zu oft gewährte, mittelbar oder unmittelbar  zur Entstehung solcher Gemälde beigetragen hat, und es lohnt sich kaum die Mühe zu untersuchen, ob man mit den persönlichen Vorstellungen oder mit den Gemälden angefangen habe.

Als zur Zeit des Conciliums in Basel die Pest diese Stadt verheerte, ließen die Dominikanermönche, und nach Andern sogar die Väter des Conciliums selbst, zu einer lehrreichen und erbaulichen Erinnerung an jene Tage der Trübsal, auf die innere Kirchhofmauer der St. Johann-Kirche einen Todtentanz malen, vielleicht nur eine Nachahmung desjenigen, welcher schon früher im Frauenkloster im Kleinbasel, dem heutigen Klingenthal, zu sehen war. Der Name des Malers ist unbekannt, und man weiß blos, daß Hans Hug Klauber im Jahr 1568 beauftragt wurde, dieses Gemälde wieder auszubessern, dessen Farben zu erbleichen angefangen hatten. Da er noch einige leere Stellen fand, so malte er am Anfang jener Bilderreihe, den damals noch lebenden Reformator Dekolumpadius, wie er über den Tod und das jüngste Gericht predigt, vor einer Menge Menschen aus allen Ständen; und am Ende dieses Trauerzuges bildete er noch sich selbst ab, wie der Tod ihn erinnert, daß er nun unverzüglich denen folgen müsse, deren Bildnisse er eben aufgefrischt habe. Das letzte gleichfalls von ihm herrührende Bild zeigt seine Frau und sein Kind, an welche der Tod die gleiche Einladung ergehen läßt.

Auch wurden damals erst, wie man behauptet, jene Reime gedichtet, die man über und unter jedem Gemälde liest. Und in der That, wie dürfte man glauben, daß diese Verse aus der Zeit des Conciliums herrührten?! Es war schon viel, die Großen der Erde und die Fürsten der Kirche als Schlachtopfer des Todes darzustellen, der sie ohne Unterschied und mit den geringsten Sterblichen vermischt dahinrafft. Dieser Geiselhieb der Satyre ist gewiß nicht der unbedeutendste, aber er trifft nicht unmittelbar; da hingegen der in den Reimen enthaltene Spott viel zu bestimmt und offenkundig ist, als daß sich annehmen ließe, sie seien zur Zeit des Conciliums und gleichsam unter den Augen desselben gedichtet worden. Zwar wurden die großen Würdenträger der Kirche in den litterarischen Produkten der damaligen Zeit keineswegs geschont, wie dies die Fabliaux zur Genüge beweisen: aber mit Recht wird gezweifelt, daß eine Versammlung von Kardinälen und Bischöfen erlaubt hätte, und daß Dominikaner-Mönche sogar befohlen haben sollen, diesen Spott gewissermaßen feierlich und unvergänglich zu machen. Darum ist es weit natürlicher anzunehmen, daß diese Reime, die wenig Dichtungsgabe verrathen, in einem sehr beschränkten Ideenkreise; oder sie wiederholen vielmehr immer den gleichen Gedanken, den sie dem Stande und der jedesmaligen Lage der Person anpassen. Wir haben sie in französische und englische Verse übertragen lassen, die, so viel möglich, den Hauptinhalt jeder Stanze ausdrücken.

Nachdem diese Gemälde noch einigemal ausgebessert worden waren,*) fanden sie sich im Anfange dieses Jahrhunderts dermaßen beschädigt, daß die Mauer, auf der sie angebracht waren, des Platzes nicht mehr werth schien, auf dem sie stand: man trug sie also 1805 ab, nachdem man eine kleine Anzahl der am besten erhaltenen Stücke zu retten gesucht hatte, von denen sich noch einige in dem Conciliumssaale des Münsters im Basel finden; der Platz selbst, auf welchem der Todtentanz stund, wurde in einen angenehmen Spaziergang umgeschaffen, der von seiner alten Berühmtheit noch den traurigen Namen beibehielt. Gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatte Matheus Merian, ein geschickter Kupferstecher, die 42 Gemälde des Todtentanzes in einer Reihe von Zeichnungen wieder abgebildert und herausgegeben, mit einer umständlichen Sammlung historischer Belege, erbaulicher Betrachtungen und religiöser Lieder begleitet, wie sie eben zu jedem besondern Gemälde paßten. Im Jahr 1744 und 1786 veranstaltete man 2 Ausgaben von diesen Kupferstichen, und es sind die gleichen Platten, deren wir uns jetzt bedienen; **) auch besitzen wir die gleichen Kupferstiche sorgfältig illuminirt, nach einer den Originalgemälden entnommenen Zeichnung. Genau nach diesen letztern haben wir überdies noch einen Todtentanz in plastischen Figuren anferigen lassen, der in jeder Beziehung als gelungen empfohlen werden darf; nicht nur sind die einzelnen Figuren ähnlich und richtig dargestellt, sondern auch der Ausdruck in den Gesichtern des Todes und seiner Opfer ist vortrefflich wiedergegeben; auch ist das ursprüngliche Colorit genau beibehalten. Eine ausführliche Anzeige findet sich am Ende dieses Werks. – Um den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts malte Niklaus Manuel auf die Mauern des Dominikanerklosters zu Bern einen Todtentanz, der sich durch Originalität der Gedanken und Lebhaftigkeit der Farben auszeichnet, und in neuern Zeiten lithographirt erschienen ist.

Nur ein barbarisches Zeitalter, in welchem die Wahrheiten des Evangeliums durch Aberglauben entstellt waren, durfte den Tod unter der scheußlichen Gestalt abbilden, in der wir ihn auf diesen Gemälden erblicken. Die Alten, welche überhaupt sehr selten Skelette malten, weil solche Gerippe nicht zu Gegenständen für die schönen Künste taugten, haben nie daran gedacht, die abstrakte Idee des Todes auf eine so widerliche Art zu versinnlichen ***); ein Genius, der seine Fackel löschte, eine in tiefen Schlaf versunkene Gestalt: dies sind die Züge, unter denen sie jenes feierliche und letzte Ereigniß des menschlichen Lebens abbildeten. Und hätten sie dramatisch darstellen wollen, wie die Seelen hinab zum Schattenreich ziehen: so würden sie Merkur den Boten der Götter gezeichnet haben, statt des sonst gewöhnlichen Caduceus einen elfenbeinernen Stab tragend, und im Begriff, auf Jupiters Geheiß, des Gottes der Lebenden, die Seelen seinem Brudner, dem Herrscher der Todten, zu übergeben.  Wir haben dagegen die rohe Einbildungskraft unserer Vorfahren zur Richtschnur genommen, oder vielmehr sie hat unsere eigene eingeengt; denn ein Gerippe ist das einzige Bild, unter dem wir den Tod vorstellen; und finden wir diesen Anblick zu widerlich, so verzichten wir lieber auf jede Abbildung desselben. Und doch dünkt uns, die Verehrer einer Offenbarung, die dem Tod seinen Stachel, dem Grab seinen Sieg entrissen hat, sollten unter edlern Zügen und auf eine rührendere Art jenes ernste Geschenk des Gottes der Lebendgen darstellen können, der die harten und entscheidenden Prüfungen seines Geschöpfes mit einem Schlage endigt, um es plötzlich aus dem Orte seiner Verweisung in die Wonnen der Ewigkeit zu versetzen. Ein Engel von ernster mitleidvoller Gestalt, der in der einen Hand eine gelöschte Fackel, in der andern eine zweite hält, die er eben im Himmel angezündet hat; eine solche Gestalt würde dem Christen den Tod mit mehr Treue und Wahrheit vorstellen, als jene scheußlichen Bilder, die nur einen todten Körper, und nicht den Tod bezeichnen.

Wie man indessen auch über diesen Gegenstand urtheilen mag, so wird man doch eingestehen müssen, daß die vorliegende Ausführung desselben keineswegs ohne Verdienst ist. Der Verfasser dieser Gemälde war ohne Zweifel ein Mann von Geist, und es gebrach ihm nicht an einem gewissen poetischen Schwung. Bemerkenswerth ist der Ausdruck, den der Künstler in diese entfleischten Gesichter zu legen gewußt hat. Die Mannigfaltigkeit der Stellung und Bewegung aller dieser Todesbilder, die gute Art, mit der er den Tod seine Rolle bei mehreren seiner Schlachtopfer spielen läßt, wie z. B. bei dem Mönche, bei der Herzogin, beim Blinden, beim Lahmen und bei dem Arzte, dem er als völlig fleischloses Geripp erscheint, gleichsam als wollte er ihm den letzten anatomischen Genuß gewähren; und endlich bei der jungen Frau, die er in einem prophetischen Spiegel ihre bevorstehende Umwandlung erblicken läßt: alle diese Einzelheiten zeugen von Erfindungsgabe und poetischer Begeisterung; und selbst die Bilder der Sterblichen, wenn sie auch gleich nicht das nämliche Verdienst komischer Anspielung und Bezeichnung haben, sind hoch oft mit einem sehr wahren und treffenden Ausdruck gezeichnet.
 
Wenn also gleich der neuere Kunstfreund die Bewunderung nicht theilen kann, mit welcher diese Gemälde von unsern Vorfahren betrachtet wurden: so wird er sie doch einer billigen Aufmerksamkeit nicht unwerth finden, und geneigt sein, ein Unternehmen zu unterstützen, das zur Absicht hat ein Denkmal wieder in Erinnerung zu bringen und zu verbreiten, welches den Geist des Mittelalters auf eine so sprechende Weise bezeichnet.


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*)   Im Jahr 1616 und 1658
**) Über die Geschichte des Todtentanzes finden sich anziehende Nachrichten im Conservateur suisse,
T. VI. p. 354, und in den  Alpenrosen, Jahrgang 1825, p. 63. -
***) Man vergleiche Millin, Dietionnaire de la Fable, art. Mort, und Winkelmann, Versuch über die Allegorie, Kap., 3.






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Textgrundlage und Bilder: Todtentanz der Stadt Basel. In Kupfer
gestochen nach den Frescogemälden an der ehemaligen Kirchhofmauer
der Predigerkirche. Verlag von J. L. Fuchs 
Online-Ausgabe- Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek

Bilder vom Todentanz der Stadt Basel, farbig, Verlag Felix Schneider
Uni-Düsseldorf


Logo 469: „Baseler Todtentanz" , Johann Rudolf Feyerabend:
Der Prediger Totentanz, Aquarellkopie von 1806, gemeinfrei

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