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Literatur


04.2

Der Todtentanz - Ein Gedicht

Ludwig Bechstein

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Die Königin



Dort, wo Sahars glühnder Sand
Sich weit erstreckt, der Pilger stand;
In Öden, still und trauervoll,
Wo labend keine Quelle quoll.
Wo kaum ein luftgenährtes Kraut
Der Beduine streifend schaut;
Kein Vogel singt, kein Heimchen zirpt,
In Öden, wo das Leben stirbt,
Da weilt er gern, als fänd‘  er dort
Den liebgewordnen Heimathort.
Beschleicht ihn dort Erinnerung
Aus einer Zeit, als er noch jung?
Träumt er auch von vergangnen Tagen?
Kein Sterblicher vermag’s zu sagen.
Dort weilet er, thürmt Hügel auf
Von lockerm Sand, und steigt dann drauf,
Und meint, er sitz‘ auf einer Gruft,
Und trinkt den glühnden Hauch der Luft.
 
Oft wird er furchtbar dort erschaut,
Sand wirbelt in der Windesbraut;
Die Karawane sieht’s erschreckt,
Und wird begraben, sandbedeckt.
Oft trifft ein flammender Orkan
Vernichtungswehend ihre Bahn;
Die Wüste gähnet voller Graus,
Und stösst den Feuerodem aus,
Und wer ihn athmet, muss vergehn,
Hat seinen letzten Tag gesehn. –
 
Es flog ein Drache giftgeschwellt
Aus seiner Wüste schwarzem Zelt,
Weit übers Land, weit übers Meer,
Ihn trugen Lüfte, heiss und schwer.
Dann wandelt‘ er vom Ort zum Ort,
Und hauchte hier, und hauchte dort
Den Odem aus, den er getrunken,
Da sind die Menschen hingesunken
Zum Opfer ihm und ihm zum Fest,
Sein Odem aber war – die Pest.
 
Der bleiche Schrecken senkte sich
Ins Land hernieder fürchterlich.
Kein Regen fiel, doch fahles Grau
Umschleierte des Äthers Blau.
Die Blätter sanken von den Zweigen,
Und Leichen häuften sich zu Leichen,
Die Krankheit würgte sich nicht satt,
Wer fliehen konnte, floh die Stadt.
 
Der König zog aufs Land hinaus,
Dort stand ein stolzgebautes Haus,
Gern für die dumpfe Stadt vertauscht,
Von Schattenhainen kühl umrauscht.
 
Die Königin, ein üppig Weib,
Erkor sich frohen Zeitvertreib
Mit Possenspiel und Mummenschanz,
Musik und manchem Reigentanz.
Es trübte nicht des Landes Schmerz
Ihr lustbegier’ges, eitles Herz.
 
Lustwandelnd ging die stolze Frau
Mit Herr’n und Damen um den Bau,
Da trat sie vor dem düstern Plan
Der schattenbleiche Pilger an.
Er schritt einher in Narrentracht,
Dass Jeder über ihn gelacht.
Die Schellen klingelten so sehr
Als naht ein ganzes Fastnachtheer;
Es kam, durch possenhaften Sprung
Erregend viel Bewunderung,
Der wunderliche Schalk gehüpft,
und ist zur Königin geschlüpft,
Und fasset an der Hand sie kühn.
Vergebens schlägt der Graf auf ihn,
Der Kavalier, der sie geführt,
Voll Wuth, dass sie der Narr berührt.
Vergebens ist ihr zorn’ges Schrei’n,
Das Klagen ihrer Hoffräulein.
Er zog sie fort, hielt in der Hand
Die Sanduhr hoch empor – und schwand.
Die Herrin sinkt, die Diener klagen,
Leblos wird sie hinweg getragen.

oben

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Textgrundlage und Bilder:  Der Todtentanz - Ein Gedicht von Ludwig Bechstein,
mit 48 Kupfern in treuen Conturen nach  Hans Holbein. Leipzig, herausgegeben bei
Friedrich Augus Leo, 1831, gedruckt bei J. B. Hirschfeld

Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek
Online-Ausgabe

Bilder: Holbein d.J.  und W. Hollar(1498-1543, gemeinfrei, aus der Todtentanz
wikimedia.org

Logo 465: „Dans Macabre“, Bernt Notke, gemeinfrei
wikimedia

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