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Literatur


04.2


Gedichte
- Totentanz

 
Allgemein - Rainer Maria Rilke

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Totentanz



Sie brauchen kein Tanz-Orchester; 
sie hören in sich ein Geheule, 
als wären sie Eulennester. 
Ihr Ängsten näßt wie eine Beule, 
und der Vorgeruch ihrer Fäule 
ist noch ihr bester Geruch. 
  
Sie fassen den Tänzer fester, 
den rippenbetreßten Tänzer, 
den Galan, den echten Ergänzer 
zu einem ganzen Paar. 
Und er lockert der Ordensschwester 
über dem Haar das Tuch; 
sie tanzen ja unter Gleichen. 
Und er zieht der wachslichtbleichen 
leise die Lesezeichen 
aus ihrem Stunden-Buch. 
  
Bald wird ihnen allen zu heiß, 
sie sind zu reich gekleidet; 
beißender Schweiß verleidet 
ihnen Stirne und Steiß 
und Schauben und Hauben und Steine; 
sie wünschen, sie wären nackt 
wie ein Kind, ein Verrückter und Eine: 
die tanzen noch immer im Takt.


oben   

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Textgrundlage: “Totentanz”, Rainer Maria Rilke, 
aus: Der neuen Gedichte anderer Teil,
S. 25, ED: 1918,
 Verlag: Insel-Verlag, EO: Leipzig ED: 1918

Quelle: Österreichische Nationalbibliothek

wikisource

Logo 470: „Totentanz", Lundström, Johan Pehr, Entst.J: 19. Jh,
Stockholm,
SE, gemeinfrei
zeno.org

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