lifedays-seite

moment in time

 

Literatur


04.3



Geschichten

Otto Julius Bierbaum

________________________



Die Weihnachts-Bowle
Seite 2


”Hören Sie mir, bitte, von Engeln auf,“ ertönte hier in schnellem Einfall eine volle Männerstimme. ”Ich bin, glaube ich, neben meiner Frau der einzige Mensch, der wirklich mit einem Engel in fühlbare Berührung gekommen ist, und ich denke, meine Frau ist in diesem Falle einmal meiner Meinung, wenn ich erkläre: Wir haben dabei die fatalsten Erfahrungen gemacht. Gelt, Eva?“

”Na, das will ich meinen,“

erwiderte eine angenehme Frauenstimme: ”eine Roheit war's. Mich hat er alleweil mit seinem Säbel in den Rücken gepufft.“

”Aha,“ sagte der Graf. ”Adam und Eva werden auch munter. Ich bin doch gespannt, ob sie im Stile ihres neuen Herrn immer aneinander vorbeireden werden. (Die beiden Buchsbaumfiguren waren nämlich das Geschenk für einen Dichter, dessen Spezialität in einem Dialog bestand, dessen Gegenreden sich nie berührten, sondern einander wie zwei Parallelen erst im Unendlichen trafen — worauf man aber im Verlaufe eines Theaterabends nicht warten kann.)

”Ach, du lieber Gott,“ antwortete darauf der schöne Adam, ”das brauchten wir nicht erst von dem zu lernen. Das ist bei uns vom Anfang an so gewesen. Denn, red' ich hüh, so red't sie hott, und sprech' ich von Kindererziehung, so spricht sie von einem neuen Hut, und bring' ich das Gespräch auf den bewußten Apfel, so biegt sie in das Gebiet des Frauenstudiums ab. Das ist sogar schon vor der Apfelspeise so gewesen. Dazu war nicht einmal der sogenannte Sündenfall nötig. Man sollte meinen, sie wäre aus der Rippe von jemand ganz anderem gemacht. Ich hab' so meine Gedanken darüber.“

”Gedanken hat er!“ rief die rundliche Eva aus und bewies damit, daß sie doch auch auf Adams Worte einzugehen wußte, wenn's ihr gefiel. ”Gedanken! Als ob ein Mann jemals Gedanken hätte! Die Gedankenarbeit fängt überhaupt erst jetzt an, seitdem wir studieren dürfen. Ich schreibe jetzt an einer Geschichte des Paradieses, Herr Graf, und ich will nicht Eva heißen, wenn ich nicht quellenmäßig nachweise, daß dieser Tolpatsch da an dem ganzen Unglück schuld ist. Nämlich, wissen Sie, die Schlange und ich, wir hatten uns die Geschichte so gedacht...“

”O Gott, o Gott, o Gott, jetzt fängt das wieder an,“ rief Adam voller Schrecken. ”Ich bitte Sie, Herr Graf, schenken Sie meiner Frau was Hübsches um den Hals, damit sie auf andere Gedanken kommt, sonst kriegen wir ihre ganze Doktordissertation zu hören.“

Der Graf, galant wie alle seines illustren Hauses, erhob sich, so schwer es ihm auch wurde, sogleich, brachte das windschiefe Wrack seiner Leiblichkeit nach einigen erfolglosen Bemühungen schließlich wirklich in Bewegung, daß es in einem skurrilen Zickzack zum Christbaum hinüber zu kreuzen vermochte, und legte sein goldenes Armband um den Hals der niedlichen Eva, die von nun an ganz in der Betrachtung des Geschmeides aufging und kein Sterbenswörtchen mehr sprach.

Dafür bemerkte der Graf zu Adam: ”Sie müssen ein guter Kunde für die Goldschmiede sein, Herr von Adam!?“

”Ach Gott, ja,“ erwiderte der, ”die Hauptsache aber sind doch Goldschmiedeworte. Sehen Sie: die Frauen, wir wollen es uns nur gestehen, sind doch das Beste, was wir auf dieser Erde haben, seitdem man es für richtig befunden hat, uns aus dem Paradiese auszuweisen — wo es übrigens, nebenbei bemerkt, lange nicht so amüsant war, wie sich das die Theologen vorstellen. Die Frauen, fürs Eskamotieren von Natur aus begabt, haben auch aus dem Paradiese das Wertvollste eskamotiert: so einen gewissen Abglanz, oder wie soll ich nur sagen: eine Art Versprechen und Zuversicht des Vollkommenen, Ursprünglichen, Kindlichen. Wir legen ihnen davon vielleicht etwas mehr unter, als sie wirklich haben — aber etwas davon ist doch in ihnen. Jedenfalls reizen sie uns immer, es in ihnen zu suchen und es durch die Verbindung mit ihnen zu gewinnen. Aus diesem Reize kommt und in dieser Verbindung ist aber die Liebe. Und dafür, Herr Graf, nicht wahr, für diesen ewigen, aller Wunder vollen Schatz müssen wir ihnen wohl viel nachsehen, was uns, weil wir ja so anders sind, als sie, manchmal an ihnen geniert, und dafür müssen wir ihnen mit dem danken, was ihnen das Wertvollste an uns dünkt: mit immer bereiter, nie ermüdender Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Gütigkeit. Es ist fast, als ob ihnen der äußere Ausdruck, das Zeigen der Liebe wertvoller erschiene, als deren Vorhandensein selbst. Zu wissen, daß der Mann sie liebt, genügt der Frau nicht, sie will die Liebe fortwährend, und auch im Kleinsten, immer und immer wieder dokumentiert sehen. Wir können ja vielleicht finden, daß das etwas äußerlich ist, und wir sind manchmal geneigt, uns sehr großartig vorzukommen, weil wir es uns im Grunde am Bewußtsein der Liebe genügen lassen, aber eigentlich ist es doch sehr gut, daß die Frauen so — äußerlich sind. Denn schließlich ist aus dieser weiblichen Art ein gut Teil unserer Gesittung entstanden.“

Der Graf, der, wie die meisten Leute, die mehr Geist als ihre Umgebung haben, auf artiges Zuhören nicht trainiert war, bemerkte: ”Was muß ich denn Ihnen schenken, damit ich um Ihre Dissertation herumkomme?“

”Man sieht,“ erwiderte Adam, ”daß Sie ein Junggeselle sind, denn sonst würden Sie sich mehr für diese goldenen Grundregeln der andauernden Liebe interessieren. Überdies komme ich aber jetzt auf einen Punkt, der zu dem Feste, das Sie auf so absonderliche Art feiern, eine sehr nahe Beziehung hat. — Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum der Tag vor dem Christfeste Adam und Eva heißt?“

”Ich weiß nicht einmal, daß das so ist,“ antwortete der Graf etwas schläfrig.

Adam aber erwiderte: ”Und doch ist das ein sehr glücklicher Einfall der Kirche, wenn wir ihm auch besser eine andere Auslegung geben, als es nach ihrem Wunsche sein mag. Sie, die überhaupt nicht gut auf uns zu sprechen ist, weil wir uns nicht haben kirchlich trauen lassen und bloß ziviliter verheiratet sind, meinte, mir und meiner Frau mit dieser Postierung vor das Christfest eins auszuwischen. Sie hat diese nämlich in dem Sinne vorgenommen: direkt vor die Erlösung das zu rücken, wovon, nach ihrer Meinung, die Menschheit zu erlösen war: die Erbsünde. Sie werden es mir nachfühlen, wenn ich diesem Gedankengange, der mich und meine Eva zu Schwerverbrechern stempelt, wo wir doch bloß taten, was ihr uns alle so gerne nachmacht, nicht gerne folge und es vorziehe, die Sache anders auszulegen. Nämlich so: Ich meine, es ist damit ganz einfach die irdische und die himmlische Liebe kalendarisch benachbart worden als ein Sinnbild dafür, daß der Mensch die eine so nötig hat wie die andere. Denn selbst Sie, Herr Graf, der Sie doch eigentlich nicht mehr ganz komplett sind, kommen ohne ein bißchen Erbsünde nicht aus, ganz zu geschweigen von Ihren Kameraden da, die in diesem Punkte allen Ansprüchen vollkommen genügen. Ich gönne es Ihnen und ihnen, freue mich darüber und möchte nur wünschen, daß sie (und Sie!) auch sonst mehr nach mir geraten wären. Denn, abgesehen davon, wie Sie (und sie!) aussehen, — das möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit doch bemerken: Ich habe niemals Theaterstücke geschrieben und nie Leute ausgerichtet!“

”Weil du kein Talent dazu hast und keine Leute da waren,“ warf Eva schnippisch ein.

”Was?!“ rief Adam aus, ”ich kein Talent? Ich, der ich täglich zwölf Gedichte auf dich gemacht habe, damals, als ich noch nicht wußte, wie du dich auswachsen würdest? Und ”keine Leute?“ Ist der liebe Gott etwa nichts? Hätte ich nicht den lieben Gott ausrichten können und dich und die Schlange? Ich sage dir, mein Kind, diese Herrschaften hier würden, wenn jeder von ihnen allein auf der Welt lebte, ihren Stiefelknecht verleumden, ihrer Zahnbürste ein schmutziges Verhältnis mit ihrer Seifenschale andichten und ihrem Sacktuche unehrenhafte Handlungen nachsagen.“

Der Graf, weit entfernt davon, Widerspruch zu erheben, bemerkte seelenruhig: ”Sie sind von Ihrem Thema abgekommen, Herr von Adam.“

”Richtig“, antwortete der, ”und das tut mir leid, denn ich wollte von guten Dingen reden; und das wars, was ich sagen wollte: Ihr solltet am heutigen Tage recht fleißig auch an Adam und Eva denken, und der Gedanke wäre, obwohl die Beiden, Gott sei Dank, keine Heilige waren, so wenig sündig wie der Gedanke an Raffael oder Mozart oder Goethe oder sonst einen der Herrlichen, die die Erde mit ihrem Leben und Schaffen geschmückt haben. Denn der Gedanke an uns leitet auch in diesem Sinne hinüber zu dem Gedanken an den, dessen Tag dem unseren folgt, — nicht wie der Tag der Nacht, sondern wie ein Feiertag dem anderen Feiertag.“


Der Graf war schon lange eingeschlafen, als Adam sein letztes Wort sprach. Auch die Kerzen in den Wandleuchtern verlöschten. Die Dichter und ihre Verleger und Theaterdirektoren schnarchten in einer Harmonie, die sonst selten zwischen ihnen bestand.


oben

____________________



  lifedays-seite - moment in time