Die
Weihnachts-Bowle
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”Hören Sie mir, bitte, von Engeln auf,“ ertönte
hier in schnellem
Einfall eine volle Männerstimme. ”Ich bin, glaube ich, neben
meiner Frau der einzige Mensch, der wirklich mit einem Engel in
fühlbare
Berührung gekommen ist, und ich denke, meine Frau ist in diesem Falle
einmal
meiner Meinung, wenn ich erkläre: Wir haben dabei die fatalsten
Erfahrungen
gemacht. Gelt, Eva?“
”Na, das will ich meinen,“
erwiderte eine
angenehme Frauenstimme: ”eine
Roheit war's. Mich hat er alleweil
mit seinem Säbel in den Rücken gepufft.“
”Aha,“ sagte der Graf. ”Adam und Eva werden auch
munter. Ich bin
doch gespannt, ob sie im Stile ihres neuen Herrn immer aneinander
vorbeireden
werden. (Die beiden Buchsbaumfiguren waren nämlich das Geschenk für
einen
Dichter, dessen Spezialität in einem Dialog bestand, dessen Gegenreden
sich nie
berührten, sondern einander wie zwei Parallelen erst im Unendlichen
trafen — worauf man aber im Verlaufe eines
Theaterabends nicht warten kann.)
”Ach, du lieber Gott,“ antwortete darauf der
schöne Adam, ”das
brauchten wir nicht erst von dem zu lernen. Das
ist bei uns vom Anfang an so gewesen. Denn, red' ich hüh, so red't sie
hott,
und sprech' ich von Kindererziehung, so spricht sie von einem neuen
Hut, und
bring' ich das Gespräch auf den bewußten Apfel, so biegt sie in das
Gebiet des
Frauenstudiums ab. Das ist sogar schon vor der Apfelspeise so gewesen.
Dazu war
nicht einmal der sogenannte Sündenfall nötig. Man sollte meinen, sie
wäre aus
der Rippe von jemand ganz anderem gemacht. Ich hab' so meine Gedanken
darüber.“
”Gedanken hat er!“ rief die rundliche Eva aus und
bewies damit, daß
sie doch auch auf Adams Worte einzugehen wußte, wenn's ihr gefiel.
”Gedanken!
Als ob ein Mann
jemals Gedanken hätte! Die Gedankenarbeit fängt überhaupt erst jetzt
an,
seitdem wir studieren dürfen. Ich schreibe jetzt an einer Geschichte
des
Paradieses, Herr Graf, und ich will nicht Eva heißen, wenn ich nicht
quellenmäßig
nachweise, daß dieser Tolpatsch da an dem ganzen Unglück schuld ist.
Nämlich,
wissen Sie, die Schlange und ich, wir hatten uns die Geschichte so
gedacht...“
”O Gott, o Gott, o Gott, jetzt fängt das wieder
an,“ rief Adam voller Schrecken. ”Ich bitte Sie, Herr Graf,
schenken Sie meiner Frau was Hübsches um den Hals, damit sie auf andere
Gedanken kommt, sonst kriegen wir ihre ganze Doktordissertation zu
hören.“
Der Graf, galant wie alle
seines illustren Hauses, erhob sich, so schwer es ihm auch wurde,
sogleich,
brachte das windschiefe Wrack seiner Leiblichkeit nach einigen
erfolglosen
Bemühungen schließlich wirklich in Bewegung, daß es in einem skurrilen
Zickzack zum Christbaum hinüber zu
kreuzen vermochte, und legte sein goldenes Armband um den Hals der
niedlichen
Eva, die von nun an ganz in der Betrachtung des Geschmeides aufging und
kein
Sterbenswörtchen mehr sprach.
Dafür bemerkte der Graf zu
Adam: ”Sie müssen ein guter Kunde für die Goldschmiede sein, Herr
von Adam!?“
”Ach Gott, ja,“ erwiderte der, ”die
Hauptsache aber sind doch
Goldschmiedeworte.
Sehen Sie: die Frauen, wir wollen es uns nur gestehen, sind doch das
Beste, was
wir auf dieser Erde haben, seitdem man es für richtig befunden hat, uns
aus dem
Paradiese auszuweisen — wo es übrigens, nebenbei bemerkt,
lange
nicht so amüsant war, wie sich das die Theologen vorstellen. Die
Frauen, fürs
Eskamotieren von Natur aus begabt, haben auch aus dem Paradiese das
Wertvollste
eskamotiert: so einen gewissen Abglanz, oder wie soll ich nur sagen:
eine Art
Versprechen und Zuversicht des Vollkommenen, Ursprünglichen,
Kindlichen. Wir
legen ihnen davon vielleicht etwas mehr unter, als
sie wirklich haben — aber etwas davon ist doch in ihnen.
Jedenfalls reizen sie uns immer, es in ihnen zu suchen und es durch die
Verbindung mit ihnen zu gewinnen. Aus diesem Reize kommt und in dieser
Verbindung ist aber die Liebe. Und dafür, Herr Graf, nicht wahr, für
diesen
ewigen, aller Wunder vollen Schatz müssen wir ihnen wohl viel
nachsehen, was
uns, weil wir ja so anders sind, als sie, manchmal an ihnen geniert,
und dafür
müssen wir ihnen mit dem danken, was ihnen das Wertvollste an uns
dünkt: mit
immer bereiter, nie ermüdender Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Gütigkeit.
Es ist
fast, als ob ihnen der äußere Ausdruck, das Zeigen der Liebe wertvoller
erschiene, als deren Vorhandensein selbst. Zu wissen, daß der Mann sie
liebt,
genügt der Frau nicht, sie will die Liebe fortwährend, und auch im
Kleinsten,
immer und immer wieder dokumentiert sehen. Wir können ja vielleicht
finden, daß
das etwas äußerlich ist, und wir sind manchmal geneigt, uns sehr
großartig
vorzukommen, weil wir es uns im Grunde am Bewußtsein der Liebe genügen
lassen,
aber eigentlich ist es doch sehr gut,
daß die Frauen so — äußerlich sind. Denn schließlich ist aus
dieser
weiblichen Art ein gut Teil unserer Gesittung entstanden.“
Der Graf, der, wie die
meisten Leute, die mehr Geist als ihre Umgebung haben, auf artiges
Zuhören
nicht trainiert war, bemerkte: ”Was muß
ich denn Ihnen
schenken, damit ich um Ihre Dissertation herumkomme?“
”Man sieht,“ erwiderte Adam, ”daß Sie ein
Junggeselle sind, denn sonst würden Sie sich mehr für diese goldenen
Grundregeln der andauernden Liebe interessieren. Überdies komme ich
aber jetzt
auf einen Punkt, der zu dem Feste, das Sie auf so absonderliche Art
feiern,
eine sehr nahe Beziehung hat. — Haben Sie sich schon
einmal überlegt, warum der Tag vor dem Christfeste Adam und Eva heißt?“
”Ich weiß nicht einmal, daß das so ist,“
antwortete der Graf etwas schläfrig.
Adam aber erwiderte: ”Und doch ist das ein sehr
glücklicher Einfall der Kirche, wenn wir ihm auch besser eine andere
Auslegung geben, als es
nach ihrem Wunsche sein mag. Sie, die überhaupt nicht gut auf uns zu
sprechen
ist, weil wir uns nicht haben kirchlich trauen lassen und bloß
ziviliter
verheiratet sind, meinte, mir und meiner Frau mit dieser Postierung vor
das
Christfest eins auszuwischen. Sie hat diese nämlich in dem Sinne
vorgenommen:
direkt vor die Erlösung das zu rücken, wovon, nach ihrer Meinung, die
Menschheit
zu erlösen war: die Erbsünde. Sie werden es mir nachfühlen, wenn ich
diesem
Gedankengange, der mich und meine Eva zu Schwerverbrechern stempelt, wo
wir
doch bloß taten, was ihr uns alle so gerne nachmacht, nicht gerne folge
und es
vorziehe, die Sache anders auszulegen. Nämlich so: Ich meine, es ist
damit ganz
einfach die irdische und die himmlische Liebe kalendarisch benachbart
worden
als ein Sinnbild dafür, daß der Mensch die eine so nötig hat wie die
andere.
Denn selbst Sie, Herr Graf, der Sie doch eigentlich nicht mehr ganz
komplett
sind, kommen ohne ein bißchen Erbsünde nicht aus, ganz zu geschweigen
von Ihren
Kameraden da, die in diesem Punkte allen Ansprüchen vollkommen genügen.
Ich
gönne es Ihnen und ihnen,
freue mich darüber und möchte nur wünschen, daß sie (und Sie!) auch
sonst mehr
nach mir geraten wären. Denn, abgesehen davon, wie Sie (und sie!)
aussehen, — das möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit
doch bemerken: Ich
habe niemals
Theaterstücke geschrieben und nie Leute ausgerichtet!“
”Weil du kein Talent dazu hast und keine Leute da
waren,“ warf Eva
schnippisch ein.
”Was?!“ rief Adam aus, ”ich kein Talent? Ich, der
ich täglich zwölf Gedichte auf dich gemacht habe, damals, als ich
noch nicht wußte, wie du dich auswachsen würdest? Und ”keine Leute?“
Ist
der liebe Gott
etwa nichts? Hätte ich nicht den lieben Gott ausrichten können und dich
und die
Schlange? Ich sage dir, mein Kind, diese Herrschaften hier würden, wenn
jeder
von ihnen allein auf der Welt lebte, ihren Stiefelknecht verleumden,
ihrer
Zahnbürste ein schmutziges Verhältnis mit ihrer Seifenschale andichten
und
ihrem Sacktuche unehrenhafte Handlungen nachsagen.“
Der Graf, weit entfernt
davon, Widerspruch
zu erheben, bemerkte seelenruhig: ”Sie sind von Ihrem Thema abgekommen,
Herr von Adam.“
”Richtig“, antwortete der, ”und das tut mir leid,
denn ich wollte von guten Dingen reden; und das wars, was
ich sagen wollte: Ihr solltet am heutigen Tage recht fleißig auch an
Adam und
Eva denken, und der Gedanke wäre, obwohl die Beiden, Gott sei Dank,
keine
Heilige waren, so wenig sündig wie der Gedanke an Raffael oder Mozart
oder
Goethe oder sonst einen der Herrlichen, die die Erde mit ihrem Leben
und
Schaffen geschmückt haben. Denn der Gedanke an uns leitet auch in
diesem Sinne
hinüber zu dem Gedanken an den, dessen Tag dem unseren
folgt, — nicht
wie der
Tag der Nacht, sondern wie ein Feiertag dem anderen Feiertag.“
Der
Graf war schon lange
eingeschlafen, als Adam sein letztes Wort sprach. Auch die Kerzen in
den
Wandleuchtern verlöschten. Die Dichter und
ihre Verleger und Theaterdirektoren schnarchten in einer Harmonie, die
sonst
selten zwischen ihnen bestand.
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