lifedays-seite

moment in time

 

Literatur


04.3



Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Das höllische Automobil

Ein Märchen
für sämtliche Alters- und Rangklassen nach einer Idee Alf Bachmanns


Das höllische Automobil
Seite 3


Von diesen Bemerkungen ward es dem Riesen in seinem dürftigen Gehirne schwindelig, und er sagte, um nicht weiter denken zu müssen: ”Also ja, meinetwegen, lassen wir ihn für hundert gelten. —“

Am nächsten Sonntag machte Frechdachs aus dem Pfarrer ein schönes Ragout, das er, da er den Geschmack des Teufels kannte, sehr stark pfefferte. Rumbo aß nichts davon, weil er sich den Geschmack nicht verderben wollte, denn, sagte er sich, ein schlechter Pfarrer ist zwar ein Teufelsbraten, aber der Teufel selber ist doch noch eine größere Delikatesse.
 
Punkt zwölf Uhr kam der Teufel in einem feuerroten Automobil angefahren, das aber nicht mit Benzin betrieben wurde, sondern mit der Speiwut verleumderischer Menschen, deren Seelen im Kraftbehälter eingesperrt waren und einander gegenseitig zum Explodieren brachten.

Infolgedessen lief das Automobil in der Stunde tausend Kilometer, doch stank es dafür auch noch hundertmal mehr als ein gewöhnlicher Motorwagen. Es hatte vorn eine große und etwas weiter hinten an der Seite zwei etwas kleinere Laternen. Die vordere brannte so entsetzlich stechend grün und grell, daß alle Blumen, die ihr Schein traf, verwelkten. Es war nicht Azetylen, was darin leuchtete, sondern der Neid. Die rechte Seitenlaterne hatte ein rotes zuckendes Licht, das eine große fressende Hitze ausstrahlte. Es war der Haß, der in ihr brannte. Die linke Seitenlaterne gab ein fahles, blaues, kaltes Licht, in dem alles tot, erbärmlich, winzig aussah. Dieses Licht war die Verkleinerungssucht. —

Als Bremsleder hatte der Teufel unzählige übereinandergepreßte Häute von solchen Menschen verwendet, die, auf kein anderes Recht fußend, als das der Majorität der herrschsüchtigen Dummköpfe, Zeit ihres Lebens mit Erfolg bestrebt gewesen waren, die Arbeit heller und heiterer Köpfe zu stören. Diese Bremsleder funktionierten mit unfehlbarer Sicherheit; doch hatten sie einen Nachteil: sie schnurrten und brummten entsetzlich, wenn sie in Tätigkeit waren. —

Luftschläuche verwandte der Teufel an den Rädern seines Automobiles nicht. Er hatte sich aus den Gehirnen von Höflingen und Demagogen eine Masse konstruiert, die so elastisch und nachgiebig war, daß sie jeden Stoß aufhob. —

Die Laufmäntel aber waren aus einer Paste geknetet, die im wesentlichen aus dem Rückenmark von Menschen bestand, die während ihres Lebens keine höhere Wollust gekannt hatten, als sich aus trotzigem Eigensinn beharrlich gegen jede bessere Einsicht zu sperren. Es war eine überaus zähe Paste, mit der man ruhig über Granitsplitter fahren konnte. — Als Polster auf den Sitzen seines Laufwagens verwandte der Teufel Luftkissen, die aber nicht mit gewöhnlicher Luft, sondern mit dem blauen Dunste utopistischer Ideen gefüllt waren. Besonders bequem saß es sich auf dem einen Kissen, das der Teufel das Egalité-Kissen nannte.

Der höllische Baron sah in seinem Chauffeurkostüm sehr schick, also sehr scheußlich aus. Er trug, das Fell nach außen, einen zottigen, rostroten Gorillapelz als Joppe und schwarze Bockslederhosen, die unten von Elchledergamaschen umschnürt waren. Seine Fahrbrille hatte natürlich rote Gläser, und in seiner Mütze waren zwei Löcher für die Hörner angebracht, welche sich für das Automobilfahren als besonders praktisch erwiesen, weil sie ein Sturmband ersetzten.

Statt der Hubbe benützte der Herr Baron von Pechheim auf Schwefelhausen eine der Posaunen des jüngsten Gerichtes, die bei ihm in Versatz gegeben sind bis zu dem Augenblick, wo man ihrer benötigt.

”All Unheil!“ rief der Teufel, als er angekommen war, ”da bin ich! Ich komme direkt aus der Mandschurei, wo ich jetzt los bin. Viel Zeit habe ich nicht; da oben gibt's jetzt alle Hände voll für mich zu tun. — Aber zuerst was zu essen, wenn ich bitten darf; dann will ich gleich den Menschendörrapparat aufstellen. Übrigens haben die Menschen schon selber genug solcher Apparate konstruiert, in Fabriken, Bureaus, Schulen und so fort, aber ich sehe ein, Sie brauchen einen, der schneller arbeitet. — Also schnell, schnell, einen Happen-Pappen!“

Frechdachs rannte in die Küche und trug, die Serviette unterm Arm, das klerikale Ragout auf.

”Was ist das, wenn ich fragen darf?“ sagte der Teufel.

”Ein kleines Ragout fin aux fines herbes pastorales als Vorspeise,“ antwortete, die Schüssel präsentierend, Frechdachs, während Rumbo, auf dem Bauche liegend, den Teufel so mit seinen Blicken verschlang, als genösse er ihn in der Phantasie bereits leibhaft.

Die ganze Szene war von Frechdachs so arrangiert, daß Rumbo in der Tat bloß zuzuschnappen brauchte, — wohlgemerkt, wenn der Teufel vorher gefesselt war, und zwar kreuzweis, denn so lange der Teufel nicht das Zeichen des Kreuzes in fester Verknüpfung von hanfenen Seilen an sich spürt, ist er von niemand zu fassen und zu fangen. ’Ihn kreuzweise zu fesseln,‘ dachte sich Frechdachs aber, ’wird nicht weiter schwer sein, wenn erst das Magenweh nach genossenem filet de curé eingetreten ist. Der Teufel wird sich an den Leib fassen, sobald ihm von dem geweihten Fleische übel wird, und in diesem Augenblick der Schwäche werde ich ihm kreuzweise die Schlinge über Hände und Bauch werfen. Und dann, hurra! hinein mit dem Schwefelfritzen in den offenen Rumborachen.‘ (Denn die Tafel stand direkt vor dem Maule Rumbos, mit der angenehmsten Aussicht auf das Dolomitenpanorama der Zähne des Riesen.)

Man sieht, alles fußte auf der Voraussetzung, daß den Teufel, da er ja kirchlich Geweihtes durchaus nicht vertragen kann, vom Fleische des Pfarrers Übligkeit und Schwäche anwandeln werde. (Ist es ja doch bekannt, daß allein der Wind, der durch das Umblättern eines Meßbuches entsteht, ihn tausend Meilen weit wegzutreiben vermag, und wenn er sich gleich in einen zwei Zentner schweren Viehhändler verwandelt hätte!)

Indessen: Frechdachs hatte eines vergessen: daß nämlich der von ihm erschlagene Pfarrer ein ganz gottloser und schlechter Pfarrer war, bei dem die Weihe lediglich am priesterlichen Gewande, nicht aber an der Person haftete. So kam es, daß der Teufel das Ragout bis auf den letzten Rest verspeiste, ohne das mindeste Bauchweh zu verspüren. Wischte sich mit Behagen den Mund und sprach: ”Gut gewesen, das Ragoutchen; ein bißchen weichlich zwar und mit einem ganz leisen, etwas widerlichen Geschmacke wie Weihrauch, aber sonst: mein Kompliment! Nun, bitte, die nächste Platte!“

Frechdachs stand fassungslos hinter des Teufels Stuhle, das Seil, zum Wurf bereit, in der Hand, und stammelte: ”Gleich, Herr, gleich . . . ich . . .“

”So wirf doch,“ brüllte Rumbo, ”wirf doch! Ich halt's nicht mehr aus.“ Und er klappte seine Kiefer zu, daß es nur so krachte; riß sie aber gleich wieder auseinander in höchster Freßbegierde.
 
’Holla!‘ dachte sich der Teufel, ’da ist was los!‘ drehte sich um, sah Frechdachs hinter sich mit dem Seil stehen, und lachte: ”Gucke mal an! Das Bürschchen da wollte den Teufel fangen. Respekt! Und das große Maul da wollte ihn vermutlich fressen? Ausgezeichnete Idee! Ihr zweie gefallt mir. Ihr sollt der Ehre gewürdigt sein, auf eine noch nie dagewesene Manier von mir geholt zu werden. — Na? Ihr bettelt ja gar nicht?“

”Wenn es einige Aussicht auf Erfolg hätte, würde ich es gewiß tun,“ sagte Frechdachs, der schon wieder seine Fassung gewonnen hatte. ”Aber so weit bin ich denn doch in die Geheimnisse der Dämonologie vorgedrungen, daß ich weiß: Betteln hilft nicht bei Seiner höllischen Majestät; es macht ihm zwar Vergnügen, es anzuhören, aber er steckt einen doch in seinen Wurstkessel. Bitte sich zu bedienen! Ich stehe dem Herrn Baron zur Verfügung. Bin neugierig, auf was für eine neumodische Manier er mich holen wird.“

Diese Frechheit imponierte dem Teufel.

”Du gefällst mir, Halunke!“ sprach er. ”Deine Seele ist so ausgepicht, daß es mir schwer fallen dürfte, dir höllische Überraschungen zu bereiten. Du hast ganz das Zeug dazu, ein Dienstteufel zu werden. Ich mache dich zu meinem Leibchauffeur. Einige Unbequemlichkeiten sind mit dem Amte ja immerhin verbunden, denn mein Verfluchter-Seelenmotor hat manchmal seine Mucken, und du wirst beim Umdrehen oft genug Gelegenheit haben, zu bereuen, daß du dich bei Lebzeiten zu schlecht aufgeführt hast, als daß du nach dem Tode der bequemen Ehre hättest gewürdigt werden können, als Tugendtenor in der himmlischen Vokalmusik mitzuwirken.“ —

Damit gab er Frechdachs einen Tritt in die Magengegend. Frechdachs stöhnte: ”Verdammt nochmal!“ und war tot.

Der Umstand, daß er nicht oben, sondern unten die Probe auf das Exempel der Unsterblichkeit machen sollte, äußerte sich darin, daß seine Seele ihren Ausweg nicht durch ein oberes, sondern durch ein unteres Körperventil suchte und fand, und daß sie dem entsprechend nicht nach Lilien duftete, wie es der Fall beim letzten Entweichen tugendhafter Seelen ist. Der Teufel machte eine Bewegung, als finge er eine Fliege in der Luft, und da hatte er die Frechdachsische Seele auch schon. Statt sie aber in sein Portemonnaie zu stecken, wie er sonst zu tun pflegte, rieb er die Leiche des verschiedenen Frechdachs in der Nabelgegend damit ein, worauf dort wie in blauer Tätowierung das Monogramm des Teufels (er benutzt neuerdings eines in van de Veldescher Unleserlichkeit) erschien und Frechdachs als Dienstteufel zu einem neuen Leben erwachte. Es war ihm in den paar Minuten auch schon ein niedliches Hörnerpaar aus der Stirnwand gesprossen, was sich gar nicht übel ausnahm, und hinten wackelte dienstbeflissen schmeichlerisch ein kleines, recht artiges Schwänzchen, das den Hosenboden offenbar ohne viel Mühe perforiert hatte. In einem Dialekte, der wie englisch ausgesprochenes Latein klang, aber das Höllenvolapük war, sprach er: ”Befehlen Eure Satanität, daß ich den Motor andrehe?“

”Ja, tu das, mein Sohn,“ antwortete der Teufel durchaus freundlich, ”aber erst sag mir mal: Was ist denn mit diesem Rumbo los, daß er immer noch mit offenem Maule daliegt? Hat er etwa auch keine Angst?“

”Aber Meister!“ sprach Frechdachs, ”seid Ihr wirklich ein so schlechter Psychologe? Ihr solltet Euch auf Seelen doch von Berufs wegen verstehen. So dumme Kerle haben natürlich nie Angst. Die Stupidität ist durch passive Courage vor allen anderen Lebewesen ausgezeichnet.“

”Bei meinem Schwanz! Das hatt' ich ganz vergessen,“ sagte der Teufel. ”Und es ist doch, weißderhole, eine Wahrheit von vielen Karaten. Indessen soll dieser Held der Dämligkeit einmal keinen Orden kriegen für seinen heroischen Mangel an Einsicht, sondern in seinem letzten Stündchen doch noch lernen, daß Kreaturen nicht zum Vergnügen auf der Welt sind. Wir wollen in seinem Rachen ein bißchen Automobil fahren.“

Rumbo hatte in der Tat durchaus nicht begriffen, was los war. Die Einbildung, daß er dazu auserlesen sei, den Teufel als Pille einzunehmen, hatte so fest von ihm Besitz ergriffen, daß ein anderer Gedanke jetzt unter keinen Umständen bei ihm Eingang finden wollte. Er lag also noch immer auf dem Bauche, das Maul weit aufgerissen, die Zunge lechzend lang heraushangend.
 
Diesen Umstand machte sich der Teufel zunutze.

”Jetzt paß auf,“ sagte er zu Frechdachs, der den Motor nach dreitausendsechshundertund- fünfundachtzig Kurbelumdrehungen endlich zum Laufen gebracht hatte (wobei auch sein Schweiß, sowie sein Zungenwerk ins Laufen geriet, denn er triefte und fluchte dabei erklecklich) ”jetzt paß auf: Du sollst gleich das erstemal ein kleines Meisterstückchen im Fahren leisten dürfen. Du siehst diese von zu vegetarischer Kost etwas belegte und infolge von Appetitsphantasmagorien reichliche Feuchtigkeit absondernde Zunge des gewaltigen Hohlkopfes aus dem Rumbonischen Maule gleich einer Zugbrücke auf das Erdreich niederhangen. Diese glitschige, aber sonst keineswegs glatte, vielmehr von unzähligen Furchen durchzogene Brücke müssen wir hinauffahren. Es ist keine kleine Sache, Frechdachs, denn die Steigung ist beträchtlich; und sie wird, weil das Terrain, wie ich schon bemerkte, feucht und uneben ist, doppelt schwer zu nehmen sein. Es wird sich nur mit der kleinsten Geschwindigkeit machen lassen, und du darfst ja nicht vergessen, beide Rücklaufstreben hinunter zu tun, sonst rutschen wir womöglich rückwärts, und das wäre, Gott verdamme mich noch einmal, nicht bloß gefährlich, sondern auch blamabel.“

”Machen wir!“ rief Frechdachs, trat den Gehhebel nieder, und töff — töff, sauste die Explosionskarre los, scharf auf die Zungenspitze Rumbos zu. —

’Ah! Ich soll alle zweie haben?‘ dachte sich der und bekam vor unaussprechlicher Wollust butterig glänzende und gleich riesigen Kirschen heraustretende Augen.

Indessen fuhr des Teufels Laufwagen unter angestrengtem Gekeuche des Motors, dem in der Tat ein bißchen sehr viel zugemutet wurde, die Zunge hinauf, daß der Speichelsaft des Riesen rechts und links nur so wegspritzte. Frechdachs hatte alle Hände und Füße voll zu tun, da er bald einer Furche auszuweichen bald ein Ausglitschen zu parieren, bald eine andere Geschwindigkeit einzuschalten hatte, aber es ging ganz gut, — bis zu dem Augenblick, wo sie schon ganz nahe am Zäpfchen Rumbos waren, das gleich einem umgekehrten Kirchturm herabhing und den Eingang zum Schlund versperrte. Dort aber war der Motor am Ende seiner Kräfte angelangt. Er hustete, rasselte, rumpelte noch, vermochte jedoch den Wagen weder weiter zu ziehen, noch auch nur auf der erreichten Höhe festzuhalten. Kein Zweifel, daß das höllische Automobil sofort zurückgerutscht wäre, wenn sich jetzt nicht die beiden riesigen eisernen Rücklaufstreben mit ihren ankerscharfen Widerhaken tief ins Zungenfleisch des Riesen gebohrt hätten, der seinerseits bisher nur deshalb nicht zugeschnappt hatte, weil er felsenfest glaubte, das Automobil werde von selbst seine Insassen in seinem Magen abladen. Wie er aber die beiden eisernen Haken in seiner Zunge spürte, brüllte er tobend auf: ”Das kratzt ja!“ und schnappte in sinnloser Wut zu.

Darauf hatte der Teufel nur gewartet. In diesem Augenblick suggerierte er den im Bassin befindlichen Neider- und Verleumder-Seelen, sämtliche Parlamente der Welt hätten beschlossen, die Unanständigkeit der üblen Nachrede mit Prügelstrafe zu belegen, und brachte sie dadurch in eine solche Wut, daß sie, einander überrasend, eine Gesamtexplosion aller Niedertrachtsgase erzeugten. Diesem Knalleffekte war auch das Interieur und die knochige Umwandung des Rumbomaules nicht gewachsen: Es platzte. Gleichzeitig fuhren sämtliche schuftige Seelen in den Magen des Riesen und erfüllten ihn so mit Gift und Stank, daß auch er entzweiging. — Rumbo war tot.

Seinem linken Nasenloche entstieg der Teufel, dem rechten Frechdachs. Sie waren über und über voll von Ruß und fanden, daß das ihnen sehr gut stünde.

’Schade, daß das Automobilchen mit hin ist,‘ meinte der Teufel, ’aber ein guter Spaß ist's doch gewesen. Ich werde mir jetzt eins mit einem Konfessionszankmotor made in Germany konstruieren. Der wird noch rasender gehen. — Fürs erste wollen wir jetzt nur noch schnell die Seele des großen Lümmels fangen. Da bei ihm alles langsam vonstatten gegangen ist, wird sie eine gute Weile zum Entweichen brauchen.‘

Es dauerte auch noch richtig eine Viertelstunde, bis sich aus der Gegend von Rumbos Hinterquartier eine Art gelben Staubdunstes erhob, wie von einem zertretenen Bovist.

Der Teufel fing das Zeug in die hohle Hand, betrachtete es aufmerksam, roch daran und sprach:

 ”Zu schlecht für meine Domäne.“ Dann blies er es von seiner Hand weg mit den Worten: ”Nichts als Dummheit, Gefräßigkeit und blöder Dünkel, aber guter Kunstdünger für künftige Ernten an Bosheit und Niedertracht. Sie sind mir sicher.“

Der gelbe Dunst flog nach allen vier Windrichtungen auseinander.

___________________________



  lifedays-seite - moment in time