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Literatur


04.3


Geschichten
Otto Julius Bierbaum

Der Negerkomiker



Der Negerkomiker - 3

Statt einer Antwort von ihm kam der Brief mit einer Aufschrift des Alten zurück: „van Staanen, stud. phil. Leipzig, Hainstr. 5.“ Nanu? Dort eben hatte man ja die Nachricht bekommen, er sei nach Amerika?
 
Jetzt wurde die Sache verdächtig. Also doch die dürre Grete wieder? Sie war fort von Leipzig, nach Halle abgemeldet. Der Leibbursch des kleinen Amerikaners begab sich von der Höhe seiner Burschenwürde herab und fragte bei ihr brieflich an, wo Herr van Staanen sei.
 
Die Antwort lautete auf einer Postkarte sehr kurz: „Woher soll ich denn das wissen?“
 
Also verschollen. . . ? Nein aber der Bankier mußte doch wissen! Also zum Bankier: ob Herr van Staanen noch seinen Wechsel behebe? Ja freilich: pünktlich, per Brief aus Halle!
 
Verfluchtes Weibsbild, also doch! Und Stilpe und der Leibbursch fuhren nach Halle.

Grete Köner trat unter einem anderen Namen in einem Tingeltangel nahe dem Bahnhof auf. Stilpe kannte natürlich ein paar ihrer Kolleginnen, die er vorher sondierte. Aber sie schien wirklich nichts mehr mit dem kleinen Yankee zu haben, denn sie lebte mit einem Kollegen, mit einem Negerimitator.
 
Ja, nun sollte man sich da herausfinden! Auf der Polizei war van Staanen nicht angemeldet. Aber da war er ja! Also würde man ihn sicher abends in der Vorstellung finden.
 
Stilpe natürlich vorn an der Rampe, aber so sehr er mit dem Leibburschen den Zuschauerraum durchmusterte: vom kleinen Yankee keine Spur. Auf dem Zettel figurierte auch der neue Liebhaber Gretes: Master Bell, – „na ick danke, 'n netter Nachfolger für den kleenen Yankee“, sagte Stilpe, als der auftrat und mit seinen langen Schuhen im Negertanze den Boden zu bearbeiten begann. „jut gefärbt is er, und Donnerwetter, so ne Lippenwülste! Prosit Onkel Tom!“ Und er hob sein Glas zu dem Tänzer. „Mann? Der blieb ja plötzlich stehen? Und was starrte er denn so. . .? Herrgott nein, – wirklich!!? Staanen!?. . .“
 
Der Klavierspieler paukte wütend weiter, und der schwarze Tänzer stand noch immer. Das Publikum ulkte, eine Stimme rief: „Na man rüstig, oller Junge“, – aber plötzlich lief Master Bell davon, von hinter den Kulissen her hörte man lauten Wortwechsel, eine kreischende Frauenstimme immer als Oberton, dann einen schweren Fall und lauten Schrei.
 
„Herrgott, Herrgott! Was is passiert!?“ im Publikum.
 
Stilpe und der Leibbursch über die Rampe hinter die Kulissen.
 
Da kniete van Staanen, der Negerkomiker, über Grete Köner und würgte sie, zwei englische Grotesktänzer in Froschmasken, ein unendlich dürrer und ein monströs dicker suchten ihn von hinten wegzuzerren, Chansonetten, halb angekleidet, liefen aufgeregt hin und her, der „Direktor“ pustete hilflos und wimmerte: „De Vorstellung! De Vorstellung!“
 
Stilpe und der Leibbursch brachten van Staanen von der Sängerin ab. Er stammelte: „Nehmt mich fort! Nehmt mich fort!“ Grete Köner spuckte aus und schrie: „Schmeißt doch das Aas da raus! Holt doch die Polizei! Der Hund, der!“
 
Stilpe, der völlig ruhig geblieben war, schob sie bei Seite und sagte: „Stille biste, Bestie, – oder willste dich noch mausig machen?“
 
Sie brachten van Staanen in ihr Hotel.
 
Der kleine Amerikaner wurde schwer krank. Zwei Monate lag er in der Leipziger Klinik. Aber als er entlassen wurde, schien er ganz gesund.

„Erst Grete Köner und dann 's Nervenfieber überstanden, – ne gute Natur!“ sagte Stilpe.
 
Van Staanen wurde wieder aktiv, nachdem man erfahren hatte, daß seine kurze Thätigkeit als Negerkomiker in Halle nicht bekannt geworden war. Er war ernst und blasiert geworden, trank unmäßig und „lebte Selbstmord“, wie Stilpe urteilte, aber im Ganzen war Alles im Gleise.
 
Da, eines Tages, erschien er nicht zum Burschenkonvent. Aengstlich, wie man bei ihm nun war, ging man auf seine Wohnung. Da lag er – tot, vergiftet. Ein Zettel neben ihm. Auf dem stand: „Fragt meinen Bankier. Mit 200 Mark monatlich kann ich nicht leben.“
 
Atemlos zum Bankier. Was ist? Warum hat sich van Staanen vergiftet?
 
Vergiftet?
 
Ja! Da: der Zettel!
 
Da sank der alte Geldmann schier verzweifelt in seinen Lederstuhl. „Mein Gott! Mein Gott! Es war ja nur Notlüge, um ihn zu retten! van Staanen in New York hat ja gar nicht Bankerott gemacht! Es war ja nur vorgegeben, um den jungen Mann zu größerer Sparsamkeit. . . Mein Gott! Mein Gott! Was wird der Alte sagen! Der Alte!“
 
„So 'ne unvorsichtige Pädagogik!“ meinte der erste Chargierte.
  
Zwei Tage darauf wurde van Staanen begraben. Die Chargierten der Verbindungen in Wichs am Grabe. Die Fahne seiner Verbindung umflort.
 
Am Abend Kneipe mit Trauersalamander.
 
Stilpe ging nicht hin. „Solche Geschichten muß man nicht mit ausgeleiertem Pathos verhunzen, sondern in tragischer Beschaulichkeit nachgenießen.“
 
Aus diesem Grunde wohl ging er in's „Pologne“.
 
Just als er eintrat, erschien die eben wieder engagierte Grete Köner (jetzt Lili Consky genannt) auf dem Podium, lachte wie ein Gassenjunge, hob, wie zur Umarmung die dürren Arme und sang ihr Leiblied „Kann ich dafür? Kann ich dafür?“
 
„Pfuiteufel!“sagte Stilpe, drehte sich um und ging nun wirklich zum Trauersalamander für den kleinen Amerikaner.


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