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Literatur


04.3



Geschichten
Otto Julius Bierbaum

aus
Das höllische Automobil



Der mutige Revierförster
Seite 2


Der Zeremonienmeister sah ein, daß dieser Mann, wenn nicht vorher der Himmel einfiel, binnen zwei Minuten das Unglaubliche zum Ereignis machen werde. Ihm ward zumute, als ob plötzlich der feste Boden unter ihm zu wanken begänne; eine grauslich hohe Woge hob ihn, senkte ihn und führte ihn aufs hohe Meer hinaus, einem ungewissen Schicksal entgegen, das irgendwo den Rachen aufsperrte, ihn zu verschlingen. Wie er bemerkte, daß der Revierförster sich in Bewegung setzte, fühlte er alle Schrecken der Seekrankheit in seinen Eingeweiden. Nur wie durch einen Schleier, einen gelbgrauen Nebel sah und hörte er, was sich nun begab.
 
Der Revierförster Meier ging gerade auf den König zu, sah ihn aus seinen katzengrauen Augen zutraulich von unten an, nahm seinen bis ins Zeiserlfarbene verschossenen, vor sehr langer Zeit einmal dunkelgrün gewesenen Hut ab und — machte eine Verbeugung. Sodann aber setzte er seinen Hut wieder auf und stand stramm.

Mit dem scharfen Blicke, der ihn stets auszeichnete, bemerkte König Leberecht, daß dieses durchaus reglementswidrige Gebaren seinen Grund in etwas Besonderem haben müsse, und er fragte mit dem huldvollen Tone, der das erste ist, was ein jeder richtige König sich anzueignen keine Mühe und Übung scheut:

”Na, Meier, was gibt's?“

(In diesem Augenblicke gab es dem Zeremonienmeister einen schmerzlichen Ruck, und er sah sich direkt vis-a-vis dem Rachen des Ungeheuers, das ihn verschlingen wollte. Sein Herzschlag setzte aus. Ein überlebensgroßer Knödel kroch in seiner Speiseröhre in einer unangenehm schlickernden Abart des Rollens empor und versetzte ihm auch den Atem. Sein letzter Gedanke war der Orden vom heiligen Kajetan, von dem er schon lange träumte. Dann: Nacht und Vernichtung.)

Meier aber trat einen Schritt vor und sprach mit der markig festen Stimme des deutschen Mannes, der keine Menschenfurcht kennt: ”Ich möchte bloß die hohen Herrschaften was fragen.“

Alles war starr. Keiner begriff. Auch König Leberecht nicht. Aber sein Ton war doch noch immer huldvollst, als er sagte: ”Fragen Sie nur zu, Meier.“

Und Meier ließ seine Stimme fröhlich erschallen und sprach: ”Wie wär's denn, meine Herrschaften, wenn wir alle miteinander unsere Hosentürln zumachten?“

Eine Reflexbewegung seiner Hände belehrte den König über den Sinn dieser rhetorischen Frage. Er richtete, was zu richten war, und lachte dann so herzlich laut auf, daß seine Umgebung überzeugt sein konnte, es sei durchaus im Sinne der Etikette gehandelt, wenn sie mitlachte. Und da es zugleich ein Lachen der Befreiung war, war es ein brausendes, dröhnendes, herzerfreuendes Lachen.

Selbst die Spechte, die die hohen Stämme der Fichten bepochten, hielten mit Hämmern inne und lachten mit.
 
Der Zeremonienmeister aber erwachte unter diesem Ensemblesatz des Vergnügens zu neuem Leben und fand sogleich, daß es unschicklich sei, in der allerhöchsten Nähe zu wiehern, wie unerzogene Rösser. Wäre ihm nicht gleichzeitig jener fatale Knödel gottlob zergangen und verschwunden, so daß er wieder frei atmen und sich im Vollbesitze seiner Kontenanz fühlen konnte, hätte er noch einen schlimmeren Vergleich gewählt.

König Leberecht aber sprach, indem er dem Revierförster eine Zigarre anbot (die dieser jetzt noch und mit der ausgesprochenen Absicht, daß sie bis ans Ende der Tage dort bleiben soll, in seinem Glaskasten aufbewahrt): ”Meier, Sie sind ein ganzer Kerl. Schade, daß ich Sie nicht in der Regierung verwenden kann. Ja, meine Herren,“ und damit wandte er sich zu den übrigen: ”das Volk, das Volk!. . . Es ist eine schöne Sache um das Volk!. . .“

Dann stieg er, langsamer, als es sonst seine Art war, in tiefes Sinnen versunken, den Berg hinab, an dessen Fuße ihn ein junges Mädchen in weißen, gestärkten Kleidern mit den Worten begrüßte: 







Wir jauchzen laut mit Herz und Mund
In dieser gnadenvollen Stund',
Wo uns das Glück geschieht,
Daß seinen König Leberecht
Das biedre Landvolk, treu und echt,
In seiner Nähe sieht.

Es steht sein hochberühmter Thron
Seit mehr als tausend Jahren schon
In unserer Mitte fest.
Drum lieben wir ihn auch so sehr,
Wie wenn er unser Vater wär',
Der keinen je verläßt.

Er weiß, daß in der Landwirtschaft
Beruht des Staates stärkste Kraft,
Drum liebt ihn für und für
Der schwergeprüfte Bauersmann
Und hält als treuer Untertan
Ihm offen jede Tür.

 


Bei diesen Worten stellte sich bei Seiner Majestät eine Ideenassoziation ein, die ein Lächeln des königlichen Mundes zur Folge hatte, woraus alle anwesenden Gemeindevorstände aufs neue die Überzeugung gewannen, daß der hohe Herr nach wie vor den Interessen des Nährstandes seine besondere Huld zuwendete.

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