Der
mutige Revierförster
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Der
Zeremonienmeister sah
ein, daß dieser Mann, wenn nicht vorher der Himmel einfiel, binnen zwei
Minuten
das Unglaubliche zum Ereignis machen werde. Ihm ward zumute, als ob
plötzlich
der feste Boden unter ihm zu wanken begänne; eine grauslich hohe Woge
hob ihn,
senkte ihn und führte ihn aufs hohe Meer hinaus, einem ungewissen
Schicksal
entgegen, das irgendwo den Rachen aufsperrte, ihn zu verschlingen. Wie
er
bemerkte, daß der Revierförster sich in Bewegung setzte, fühlte er alle
Schrecken der Seekrankheit in seinen Eingeweiden. Nur wie durch einen
Schleier,
einen gelbgrauen Nebel sah und hörte er, was sich nun begab.
Der
Revierförster Meier
ging gerade auf den König zu, sah ihn aus seinen katzengrauen Augen
zutraulich
von unten an, nahm seinen bis ins Zeiserlfarbene verschossenen, vor
sehr langer
Zeit einmal dunkelgrün gewesenen Hut ab und — machte eine
Verbeugung.
Sodann aber
setzte er seinen Hut wieder auf und stand stramm.
Mit
dem scharfen Blicke,
der ihn stets auszeichnete, bemerkte König Leberecht, daß dieses
durchaus
reglementswidrige Gebaren seinen Grund in etwas Besonderem haben müsse,
und er
fragte mit dem huldvollen Tone, der das erste ist, was ein jeder
richtige König
sich anzueignen keine Mühe und Übung scheut:
”Na,
Meier, was gibt's?“
(In
diesem Augenblicke gab
es dem Zeremonienmeister einen schmerzlichen Ruck, und er sah sich
direkt
vis-a-vis dem Rachen des Ungeheuers, das ihn verschlingen wollte. Sein
Herzschlag setzte aus. Ein überlebensgroßer Knödel kroch in seiner
Speiseröhre
in einer unangenehm schlickernden Abart des Rollens empor und versetzte
ihm
auch den Atem. Sein letzter Gedanke war der Orden vom heiligen Kajetan,
von dem
er schon lange träumte. Dann: Nacht und Vernichtung.)
Meier
aber trat einen
Schritt vor und sprach mit der markig festen Stimme des deutschen
Mannes, der keine Menschenfurcht
kennt: ”Ich möchte bloß die hohen Herrschaften was fragen.“
Alles
war starr. Keiner
begriff. Auch König Leberecht nicht. Aber sein Ton war doch noch immer
huldvollst, als er sagte: ”Fragen Sie nur zu, Meier.“
Und
Meier ließ seine Stimme
fröhlich erschallen und sprach: ”Wie wär's denn, meine Herrschaften,
wenn wir alle miteinander unsere Hosentürln
zumachten?“
Eine
Reflexbewegung seiner
Hände belehrte den König über den Sinn dieser rhetorischen Frage. Er
richtete,
was zu richten war, und lachte dann so herzlich laut auf, daß seine
Umgebung
überzeugt sein konnte, es sei durchaus im Sinne der Etikette gehandelt,
wenn
sie mitlachte. Und da es zugleich ein Lachen der Befreiung war, war es
ein
brausendes, dröhnendes, herzerfreuendes Lachen.
Selbst
die Spechte, die die
hohen Stämme der Fichten bepochten, hielten mit Hämmern inne und
lachten mit.
Der
Zeremonienmeister aber
erwachte unter diesem Ensemblesatz des Vergnügens zu neuem Leben und fand
sogleich, daß es
unschicklich sei, in der allerhöchsten Nähe zu wiehern, wie unerzogene
Rösser.
Wäre ihm nicht gleichzeitig jener fatale Knödel gottlob zergangen und
verschwunden, so daß er wieder frei atmen und sich im Vollbesitze
seiner
Kontenanz fühlen konnte, hätte er noch einen schlimmeren Vergleich
gewählt.
König
Leberecht aber
sprach, indem er dem Revierförster eine Zigarre anbot (die dieser jetzt
noch
und mit der ausgesprochenen Absicht, daß sie bis ans Ende der Tage dort
bleiben
soll, in seinem Glaskasten aufbewahrt): ”Meier, Sie sind ein ganzer
Kerl. Schade, daß ich Sie nicht in der Regierung verwenden
kann. Ja, meine Herren,“ und damit wandte er sich zu den
übrigen: ”das Volk, das Volk!. . . Es ist eine schöne Sache um das
Volk!. . .“
Dann
stieg er, langsamer,
als es sonst seine Art war, in tiefes Sinnen versunken, den Berg hinab,
an
dessen Fuße ihn ein junges Mädchen in weißen, gestärkten Kleidern mit
den
Worten begrüßte:
Wir
jauchzen laut mit Herz und Mund
In
dieser gnadenvollen Stund',
Wo
uns das
Glück geschieht,
Daß
seinen König Leberecht
Das
biedre Landvolk, treu und
echt,
In
seiner Nähe sieht.
Es
steht sein hochberühmter Thron
Seit
mehr als tausend Jahren schon
In
unserer Mitte fest.
Drum
lieben wir ihn auch so sehr,
Wie
wenn er unser
Vater wär',
Der
keinen je verläßt.
Er
weiß, daß in der Landwirtschaft
Beruht
des Staates stärkste Kraft,
Drum
liebt ihn für und für
Der
schwergeprüfte Bauersmann
Und
hält als treuer
Untertan
Ihm offen jede Tür.
Bei
diesen Worten stellte
sich bei Seiner Majestät eine Ideenassoziation ein, die ein Lächeln des
königlichen Mundes zur Folge hatte, woraus alle anwesenden
Gemeindevorstände
aufs neue die Überzeugung gewannen,
daß der hohe Herr nach wie vor den Interessen des Nährstandes seine
besondere Huld zuwendete.