Schwarz-Rot-Gold
und Grün-Weiß-Rot
Eine
Studentengeschichte
Mütze,
Band und Bierzipfel
wurden abgelegt, ein Hut aufgesetzt, der Rockkragen aufgeschlagen und,
womöglich im Schutze der Dunkelheit, zum Freunde geeilt.
Anfangs
teilten sie einander noch ihre
speziellen Verbindungserfahrungen mit, erheiterten sie sich gegenseitig
durch
die Wiedergabe jener Charakterisierungen, wie sie der Korpsstudent dem
Burschenschafter, der Burschenschafter dem Korpsstudenten angedeihen
läßt, aber
schließlich, als sie nun doch ihren Verbindungen endgültig angehörten,
ließen
sie das als unschicklich und eine
Art Hinterlist sein und begnügten sich damit, von Dingen zu reden und
zu
schwärmen, die ihnen beiden ganz gemeinsam waren, vor allem von ihren
Mädchen.
Denn
aus der Primanerpoussasche war bei
einem jeden eine rechte, feste Studentenliebe geworden, von der der
eine wie
der andere herzlich gewiß war, daß sie eine Liebe fürs Leben bleiben
werde.
Auch
unterlag es gar keinem Zweifel
mehr, daß die beiderseitigen Eltern einer späteren Verbindung der
Liebespaare
ihre Einwilligung geben würden.
Eine
Verlobung hatte, als zu früh
einerseits, anderseits aber auch als fürs erste überflüssig, nicht
stattgefunden. Es bestand aber ein stillschweigendes Einverständnis
aller
Beteiligten, wovon sich auch die Väter nicht ausschlossen.
Der
Rittmeister fand, daß der Burschenschafter
Franz sich ganz wie ein richtiger Korpsstudent ausnähme, und der Doktor
erklärte, daß der Korpsbursch Karl in seinem ganzen Gehaben einen so
frischen,
ungekünstelten, heiteren Eindruck machte, daß man ihn ebensogut für
einen
forschen Burschenschafter
hätte nehmen
können. Und so war, wie innerlich bei den Söhnen, so äußerlich bei den
Vätern
das schwarz-rot-gold dem grün-weiß-rot so nahe wie nur möglich
gekommen, und
die Alten trafen sich recht oft in dem Gedanken, wie närrisch es doch
eigentlich
von ihnen gewesen sei, jenen Unterschieden eine wesentliche Bedeutung
beizulegen: ”Zwei Strömungen im
deutschen Studentenleben, jede in ihrer Art gleich bewußt und sicher,
wenn auch
unterschiedlich in belanglosen Einzelheiten, demselben Ziele
zustrebend, aus
den jungen Leuten in einer heiteren, formvollen Freiheit tüchtige
Männer fürs
Leben zu bilden. Wirkliche Gegensätze bestehen eigentlich gar nicht
zwischen
ihnen. Und so kreuzen sie sich ja auch schon längst nicht mehr.“
Just
an demselben Abend und genau zur
selben Stunde, als die beiden Alten, die am nächsten Tag ihre Söhne zum
Ferienbesuch erwarteten, in diesem Sinne beim Wein miteinander redeten
und die
Gläser aneinander klingen ließen mit einem: Prost das Korps! Prost die
Burschenschaft! begab sich in einer
Bierwirtschaft der benachbarten Universitätsstadt, die von
Couleurstudenten nur
nach Schluß des Couleursemesters besucht werden durfte, folgendes:
In
dem überfüllten, vollgequalmten Raum,
in dem eine Biermusik einen greulichen Lärm verübte, saß nahe der Tür
eine
Schar angetrunkener Studenten, die das instrumentale Getöse der Kapelle
mit
nicht minder turbulenter Vokalmusik begleiteten. Da öffnete sich die
Tür, und
ein Schwarm anderer Studenten trat herein, nicht weniger betrunken als
die, an
deren Tische sie vorbei mußten.
Der
erste von den Eintretenden, dessen
Augenglas von der Hitze des geschlossenen Raumes angelaufen war, stieß
im
Vorbeiwanken an den zunächst stehenden Stuhl und schob sich ohne
Entschuldigung
weiter.
Da
wandte sich der, der mit dem Stuhle
auch einen Stoß erhalten hatte, halb um und rief, nach Art eines stark
Angetrunkenen etwas lallend: ”Kann der Prolet nicht Pardon sagen?“
Kaum,
daß diese Worte gefallen waren,
fühlte er auch schon die Hand des also Apostrophierten, der sich mit
einem Ruck umgewandt hatte, auf seiner Wange.
Seine
Kameraden sprangen auf, er stürzte
sich auf den, der ihn geschlagen hatte, aber dessen Begleiter warfen
ihn
zurück.
Eine
Weile Tumult, erhobene Arme,
Geschrei, Kreischen der Kellnerinnen, — dann wurden die eben
Angekommenen
auf die Straße geschoben, gefolgt von einem vom Tische des
Geohrfeigten, der
dessen Karte dem, der den Schlag geführt hatte, übergab und dafür
dessen Karte
erhielt.
”Na,
Karlemann, da hättest du dir ja noch vor Torschluß die obligate
Pistolenkiste bestellt,“ rief einer von dessen Begleitern, während
dieser die empfangene Karte
vor die noch immer undurchsichtigen Klemmergläser hielt.
”Spar
dir die Lektüre zum Frühstück, Jostchen! Wie der Mann heißt, dem
ein Loch in die Hose geschossen werden soll oder muß, ist ohnehin
gänzlich
irrelevant,“ bemerkte ein anderer.
Karl
Jost steckte die Karte in die
Westentasche. Die Gesellschaft entfernte sich unter Gelächter und dem
Gesange: ’Kauf dir, mein Freund, ein Pistolet!‘
Als
Karl am nächsten Morgen erwachte,
gab sein wirrer Kopf zunächst keine weitere Erinnerung her, als ein
wüstes
Durcheinander von unzusammenhängenden Einzelheiten und ein Gefühl, daß
irgend
etwas Dummes, ihm im höchsten Grade Fatales passiert sei.
Karl
Jost hatte sich bisher, so gut es
eben möglich gewesen war, auch vor dem Zuviel im Trinken gehütet, und
so
genierte ihn schon der Gedanke, besinnungslos betrunken gewesen zu
sein. ’Franz wird mir
eine nette Pauke halten,‘ dachte er sich, ’wenn ich's ihm berichte.
Aber
schließlich: Der erste Tag der Inaktivität!‘
Denn
es war der Abschied von den
Korpsbrüdern gewesen, den man, allerdings nicht ganz auf solenne
Manier,
gefeiert hatte, da Karl, mit Schluß des Semesters inaktiv geworden, im
nächsten
Semester eine andere Universität besuchen wollte.
Franz,
der im gleichen Falle war, würde
wohl auch entsprechend gesündigt haben,
tröstete er sich. Es war ja bisher fast immer so gewesen, wenn einer
dem
anderen was zu beichten gehabt hatte, daß der Beichtabnehmer an die
Absolution
selber auch eine Beichte fügen mußte.
Karl
stand auf und begrüßte, wie immer,
zuerst das Bild seiner Braut, das drüben auf dem Schreibtische stand.
Da fiel
ihm ein weißes Kärtchen in die Augen, das vor der Photographie lag, und
sofort
trat das Geschehene in lebhafter Erinnerung vor ihm hin.
Das
war ja die Karte des Menschen, den
er geohrfeigt hatte!
Was
für dumme Geschichten! Wie unwürdig
und widerwärtig!
Und
dazu die Konsequenzen, wenn der
Geschlagene ”honorig“ dachte, was ja durch die Auswechselung der Karten
wahrscheinlich erschien …
Karl
wurde ernst bei diesem Gedanken.
Er
hatte durchaus nichts vom Raufbold in
seiner Natur und hatte nie anders als auf Bestimmung mit Angehörigen
der
anderen Korps gefochten. Der Gedanke an
einen ernsthaften schweren Ehrenhandel war ihm, der jede
Herausforderung sowohl
wie jeden Anlaß, herausgefordert zu werden, immer vermieden hatte,
schon an
sich zuwider, aber nun gar die sichere Aussicht auf eine Pistolenmensur
mit
einem ihm ganz gleichgültigen Menschen, von dem er nicht einmal wußte,
wie er
aussah, und gegen den er sich tätlich vergangen hatte, ohne zu wissen,
was er
tat .…
Karl
hätte nicht der gesund empfindende
und verständig denkende Mensch sein müssen, der er war, wenn ihm das
ruchlos
Widersinnige einer solchen Notwendigkeit nicht schwer auf die Seele
gefallen
und als eine absurde Scheußlichkeit erschienen wäre. Trotzdem suchte er
auch
nicht eine Sekunde der Überzeugung auszuweichen, daß, wie nun einmal
der
Ehrenkodex in allen Fällen tätlicher Beleidigung bestimmte, nur ein
Austrag mit
der Pistole erfolgen konnte. Er wußte, daß der C., für den Fall, daß
jener andere einer solchen Austragung würde ausweichen wollen, ihn
sogar
moralisch dazu zu zwingen versuchen würde. An eine Möglichkeit für ihn,
Karl, die
Sache auf vernünftige Weise durch eine Erklärung des Bedauerns aus der
Welt zu
schaffen, war gar nicht zu denken, nach dem unumstößlichen Satze aus
der Logik
der Ehre: Eine Realavantage kann (und muß) man zwar immer bedauern,
aber
niemals zurücknehmen. Und auch der Umstand der beiderseitigen
Betrunkenheit
konnte nicht ”ziehen“, weil durch die Auswechselung der Karten ja
dokumentiert worden war,
daß beide die Tragweite des Geschehenen erkannt hatten.
Auch
jetzt, wie Karl alles dies mit
ernstem Bedauern bedachte, galt sein nächster Gedanke dem Freund: ’Was
wird Franz zu dieser heillosen Geschichte sagen! Und wenn es tausendmal
gegen den Komment verstößt: Das kann
ich nicht vor ihm geheimhalten!‘
Er
trat an den Schreibtisch und ergriff
die Visitenkarte. Aber im selben Augenblicke ließ er sie auch schon
wieder
fallen und griff sich mit beiden Händen nach der Stirn. Auf der Karte
stand:
Franz Zoller, stud. med. …
”Aber
um Gottes willen!“ rief er laut aus, das ist ja doch und tastete
nochmals nach der Karte.
Dann
fiel er auf einen Stuhl hin und
starrte ins Leere.
Es
war ihm unmöglich, einen Gedanken zu
fassen. Er fühlte nur immer wieder das eine: Wahnsinn! Wahnsinn!
Wahnsinn!
Da
klopfte es an die Türe. Er öffnete:
Im dunklen Flur stand Franz. Aber im nächsten Augenblicke war er auch
schon im
Zimmer und lag dem Freunde an der Brust.
Zum
ersten Male geschah, was nie
geschehen war bisher, sie küßten sich. Dabei rollten Karl die großen
Tränen
über die Backen.
Franz
aber lachte munter und sprach: ”Aber Karl! Tränen? Von
wegen ein paar Pistolen?“
Karl
riß die Augen auf und rief: ”Ja denkst du denn, wir sollen
uns wirklich . . .?“
”Aber
natürlich, Karl! Wir werden uns doch nicht exkludieren lassen und
am letzten Tage unserer großen Komödie aus der Rolle fallen?“
”Ich
begreife dich nicht. Die Sache ist, weiß Gott, zu ernst, um Witze
zu machen.“
”Die
Witze macht das Schicksal, nicht ich. Das Schicksal will, daß wir
unsere Komödie mit einem Knalleffekt schließen. Also: Knallen wir!“
”Franz,
ich bitte dich!“
”Du
scheinst mir einen netten Kater zu haben, mein Lieber, daß du
absolut nicht kapierst. Bitte, wozu ist die Natur da, wenn man nicht
ein paar
Löcher hineinschießen kann? — Na, siehst du wohl? —
Wirklich, es ist das Einfachste und
Schmerzloseste. Fordere ich dich nicht, werde ich exkludiert. Nimmst du
nicht
an, wirst du exkludiert. Sentimentalitäten — gilt nicht. Aber
Komödie spielen, das
gilt. Wer A sagt, muß B sagen. Sollen wir diese drei Semester so brav
bei der
Stange geblieben sein, um genau im letzten Augenblicke durchzugehen?
Unsinn!
Wir sind nicht die ersten, die mit ernsten Mienen die Atmosphäre
durchlöchert
haben. Die Pistole ist das harmloseste Instrument von der Welt, wenn
man einen
vernünftigen Gebrauch von ihr macht. Ich werde drei Meter hoch über
deine werte
Schädeldecke weg ins himmlische Blau zielen, und du wirst
die Blümlein auf der Au mit dem todbringenden Blei lädieren. Vorher
aber bitte
ich dich um eine Liebe.“
”Was
denn?“
”Bitte,
sage zu mir: Du alter, ekliger Prolet du!“
”Jetzt
bist aber wirklich verrückt, mein Junge.“
”Ach
so, du weißt wahrscheinlich gar nicht, daß ich dich einen Proleten
genannt habe?“
”Mein
Gott, das hast du? Gottvoll!“
”Allerdings,
das habe ich, und dafür muß ich gezüchtigt werden. Also,
los!“
”Na,
ja! Du alter, ekliger Prolet du!“
”So,
und jetzt gestatte, daß ich meinerseits, damit wir quitt werden,
dir eine kleine niedliche Ohrfeige verabreiche. Weißt du, nur, um mir
nicht
sagen lassen zu müssen, daß mich ein Korpsstudent ungestraft
gemaulschellt hat.“
”Aber
natürlich, bitte, bediene dich!“
Und
Franz gab dem Freund einen leisen
Patsch auf die Wange. Dann lachten beide recht herzlich und
verabschiedeten
sich, weil jeden Augenblick Franzens Korpsbrüder in der wichtigen
Mission bei
ihm erscheinen mußten, die ihnen nun der Komment
auferlegte.
Schon
am nächsten Morgen trafen sich die
beiden Parteien in einem Gehölze nahe der Stadt.
Die
Forderung war auf einmaligen
Kugelwechsel bei ziemlich weiter Entfernung gestellt und angenommen
worden, und
die Sekundanten suchten die Entfernung durch phantastisch große
Schritte beim
Abmessen noch zu vergrößern.
(”Diese
ganze Knallaktion geht ja nur vor sich, damit das Kind einen Namen
hat,“
meinte Franzens Sekundant, um zu kennzeichnen, daß die
Sache nicht gerade um Tod und Leben ging.)
Immerhin
merkte man allen Beteiligten
eine gewisse Aufregung an.
(”Kurios,“
meinte Karls Sekundant, ”was
so ein paar glatte Pistolenläufe für eine
Suggestion ausüben. So eine Pistolenchose macht sich doch immer recht
dekorativ.“)
Als
die Gegner einander gegenübertraten
und sich nach der Sitte mit einer Neigung des Kopfes begrüßten, hätte
ein genauer Beobachter bemerken können, was für ein
seltsames Leuchten in ihren Augen war.
Dieses
Leuchten sprach einen ganzen Satz
aus: ”Du alter lieber Kerl
drüben, gelt, du fühlst wie ich, daß wir diese Komödie nicht um ihrer
selbst
und aus einer frivolen Lust spielen, sondern, weil es uns nun einmal
von einem
wunderlichen Schicksal bestimmt ist, einen Mummenschanz zu treiben,
damit ein
paar gute alte Leute ihr Vergnügen haben. Dies aber, gottlob! ist die
letzte
Szene der Komödie.“
Das
Kommando fiel. Wie aus einer Pistole
geschossen krachten gleichzeitig zwei Schüsse.
Da, heiliger
Himmel, was ist das?…
Karl
sinkt in die Kniee, greift sich mit
beiden Händen an den Leib und: ”Karl! Karl!“ schreit Franz und stürzt
hinüber, dicht neben ihn hin, verzweifelten Antlitzes totenbleich dem
Freunde
in die Augen sehend, die mit einem fürchterlichen Ausdrucke von Schmerz
hin und
her irren und sich plötzlich verschleiern.
”Karl!
Karl! Ich . . . um Gottes willen . . . was
ist denn?. . . Doktor, Doktor!“
Karl,
hinten vom Doktor gestützt, läßt
den Kopf sinken.
”Tot?
Tot?“ Franz schreit, brüllt, ächzt
es. Sein Sekundant, in einem blöden
Nichtbegreifen, will ihm zureden, ihn wegziehen.
Er
stößt mit beiden Fäusten nach ihm und
starrt nur immer in das entseelte Auge des Freundes.
Wie
aus einer unendlichen Ferne hört er,
in einem seltsam höhnischen Tonfall, so scheint es ihm, die Worte des
Arztes: "Scheußlich! Die Kugel muß von einem Stein abgeprallt sein;
sie ist von unten, offenbar ganz
deformiert, in den Leib gedrungen; eine greuliche Fetzwunde. Hier ist
alles vorbei."
Franz
sinkt bewußtlos neben dem Freunde hin.
Die
Burschenschaften und die Korps
geleiteten zwei Tage später in einem Zug vereint die Leichen der beiden
Freunde
zu Grabe.
Franz
hatte sich noch am Abend des
Duelltags erschossen.
Die
beiden Alten nahmen ihre
Verbindungsbänder von der Wand weg. Auch in ihren Herzen
waren fortan nicht mehr die Farben schwarz-rot-gold und grün-weiß-rot.
Aber sie
schlossen sich noch enger aneinander, denn einem jeden von ihnen war
zumute,
als könne er keinen Weg mehr ohne Stütze gehen.
Und
die armen Frauen.
Die
Geschichte ist zu Ende.