Geschichten
Max Dauthendey
Häcksel
und die Bergwerkflöhe IV
Dem Häcksel wurde ganz
wohl, als er das hörte, und er schenkte dem Kutscher die Bierbrezeln
und bat,
ihn dafür zu jener Polizeistation zu fahren, da er seinen Ledergurt
wiederholen
wollte.
Der Kutscher tat das
auch.
Und Zinnoberchen, als es hörte, dass Häcksel freiwillig zum Haftlokal
fahren
wollte, war vergnügt und guter Dinge und vermisste ihren treulosen Floh
aus dem
Löwenfell nicht länger.
Aber auch Flöhe bekommen
nicht in allem ihren Willen. Häcksel wurde nicht ins Haftzimmer,
sondern nur in
die Polizeiwachtstube geführt. Dort fand die Flöhin gar nicht, was sie
wollte.
Man gab Häcksel seinen
Gurt zwar nicht zurück, aber man zeigte ihm denselben, und er erkannte
ihn als
den seinen.
Dann wurde ein Polizist
beauftragt, Häcksel in sein Heimatdorf zu begleiten und dort in
Erfahrung zu
bringen, wie Häcksel zu dem Silbergeld gekommen sei.
Häcksel
behauptete immer
noch, er habe es geerbt. So kam Häcksel auf Polizeikosten zurück in
sein
Heimatdorf. Nach langem Fragen
glaubte man endlich Häcksel, und man ließ ihn wieder seine
Bergwerkarbeit
antreten.
Zinnoberchen bekam
inzwischen viele Junge. Es waren Flohkinder, von ihm, der damals in der
Nacht
über den Plankenzaun in den Hühnerstall geflüchtet war. Die Flohmänner
waren
ihr unterwegs alle wieder abhanden gekommen. Sie kehrte einsam und nur
mit
vielen Kindern beschenkt mit Häcksel ins Bergwerk zurück.
Häcksel aber bekam zwar
jenen Geldgurt zurück, doch fand sich kein einziger Silbergulden mehr
in dem
Gurt. Die letzten waren auf der Polizei herausgerollt, und niemand
wusste
wohin.
Als Häcksel den leeren
Gurt umschnallte, wurde er schwermütig. Er fieberte täglich heftiger
und
heftiger und wollte doch nicht sterben, da ihn kein Begräbnis erster
Klasse
erwartete.
Häcksel hat sich dann im
Bergwerkpferdestall anstellen lassen und kam gar nicht mehr an die
Erdoberfläche. Davon, dass er überhaupt nicht mehr die Luft wechselte
und immer
in der durchwärmten Schachtluft wohlbeschützt dahinlebte, heilte seine
Lunge
aus, und
er genaß von seiner Schwindsucht und dem Fieber.
Aber eines Tages schlug
ihm ein Pferd, als er sich eben bückte, mit dem Hinterfuß vor den Kopf,
da
Häcksels Leibfloh das Pferd unsanfter als sonst in die Weichen gebissen
hatte.
Eine ganze Nacht lag
Häcksel in seinem Blut unter dem Pferd. Niemand war da, und nur die
Flöhe sahen
von allen Pferderücken herunter neugierig zu, wie so ein Menschenvieh
endlich
einmal stirbt. Sie lachten und kicherten, bissen in die Pferdeweichen
und
hatten es wunderschön, indessen Häcksel nochmals die Nacht durchlebte,
da er
alles Geld verloren hat. Der Teufel mit zwei Gesichtern setzte sich auf
eine
Pferdekrippe in die Stallecke, wo der rote Laternenschein den Stall
schwach
aufhellte, und von der Decke über dem Heu, wo die Spinnweben dick fest
hingen,
löste sich die Königin der Nacht los und krallte eine Hand in Häcksels
Kopfwunde, die ihm der Pferdehuf geschlagen hatte.
„Lass mich, lass mich,“
krächzte der Verwundete und wälzte sich zum Vergnügen der jungen Flöhe
hin und
her. Und er sah dann, wie der schwarzbärtige Andreas Hofer mit der
Königin der Nacht zu ringen begann. Es wurde im Stall heller, weil die
Nacht
von Andreas Hofer besiegt wurde.
Dann nahte der
vergißmeinnicht bekränzte Schutzengel und fragte Häcksel streng, ob er
noch
etwas zu gestehen hätte, er solle sich das Herz durch ein Geständnis
erleichtern.
Die Flöhe verfolgten von
den Pferderücken herunter dieses Theater im fiebernden Hirn des
Sterbenden mit
Spannung. Denn da sie ihr Lebenlang mit dem Menschenblut des Häcksels
aufgefüttert waren, verstanden sie dieses Blutes Sprache gut und sahen
alles,
was der Sterbende zu sehen vermeinte.
„Ich wette, er wird
nichts
gestehen,“ lachte der Jüngste der Flohbrut. „Gesteh nichts, sag nichts,
es ist
dein gutes Recht zu schweigen,“ rief er mit Eifer zu Häcksel herunter.
„Nein, sage es nur! Er
weiß es ja schon selber, dass du die Silbergulden aus dem blinden
Stollen
gestohlen hast,“ kreischte der Chor der andern frech und lustig.
Häcksel schwieg und
ächzte. Er schwieg auch, als alle Toten aus dem blinden Schacht mit
vorwurfsvollen
Gesichtern an ihm vorüberzogen.
Da winkte der Teufel in
der Ecke des Stalles,
und herein sprang der Höllenhund und stand wie ein großer Löwe mitten
im Stall
und schüttelte sich knurrend.
Aber zugleich kam auch
ein
Greis herein – das war Petrus – und fasste den Höllenhund an der Mähne,
sodass
er sich nicht auf Häcksel stürzen konnte.
„Gesteh, dass du das
Silbergeld nicht geerbt hast,“ drohte der glatzköpfige Petrus und griff
nach
der Stalllaterne und drohte, dass er das Lebenslicht in der Laterne,
das dem
Häcksel gehörte, ausblasen würde, sodass der Halsstarrige dann vom
finstern Höllenhund
verschlungen werden müsste.
„Bravo,“ lachten die
Flöhe
und höhnten, „siehst du, jetzt hast du dein erstklassiges Begräbnis im
Bauch
des Höllenhundes.“
„Ich habe das Geld – das
gar kein Geld war, von dem ich gar nichts ausgegeben habe, von dem ich
mir
nicht einmal ein Glas Bier bezahlt habe, – im Stollen ausgegraben und
nicht
geerbt,“ schrie Häcksel.
„Hier hast du ein Stück
Holzkohle aus dem Feuerbecken des Teufels. Mit diesem schreibe dein
Geständnis
an die Kalkwand des Stalles, damit die Leute dein Geständnis schwarz
auf weiß
haben.“
Dann,
als Häcksel geschrieben hatte, sagte Petrus und hob den Zeigefinger
drohend:
„Siehst du, mein lieber
Häcksel, du hast es erleben sollen, dass unehrlich angeeignetes Gut
nicht den
kleinsten Genuss bereitet. Und dass Diebstahl einem mehr Mühe, Schweiß
und
Ärger bereitet als die härteste ehrliche Arbeit, das weißt du jetzt.
Da du aber im Leben
bereits deine Tat gebüßt hast, will ich dir nun doch ein Begräbnis
erster
Klasse auf himmlische Staatskosten bereiten. Komm und steige in die
Himmelskutsche, die vor der Stalltüre steht. Mit dir wird aber auch
Zinnoberchen den Himmel und das Begräbnis erster Klasse teilen, denn
der
Pferdehuf hat sie auf deiner Stirn zertreten, als er dich traf.“
Da erst erfuhr die
Flohbrut den Tot ihrer Mutter. Und nun duckten sie sich alle vor
Schrecken. Und
das Pferdeblut und das Menschenblut in ihren Leibern wurde ganz blass,
und sie
sprangen für diese Nacht weit fort in das Bergwerk und kehrten erst
nach Tagen
in den Stall zurück, als man Häcksels Leichnam an die Erdoberfläche
gebracht
und dort wieder in die Erde gebettet hatte.
Dieses
ist die Geschichte
von Häcksel den Bergwerkflöhen. Und wenn die Flöhe inzwischen im
Bergwerk nicht
doch ausgestorben sind, so leben sie heute noch dort, so frech wie
damals.
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Textgrundlage: "Häcksel und Bergwerkflöhe" Max Dauthendrey,
aus: Geschichten aus
den Vier Winden",
Seite 77 - 128.
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