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Literatur


04.3



Geschichten

Max Dauthendey




 Häcksel und die Bergwerkflöhe IV


Dem Häcksel wurde ganz wohl, als er das hörte, und er schenkte dem Kutscher die Bierbrezeln und bat, ihn dafür zu jener Polizeistation zu fahren, da er seinen Ledergurt wiederholen wollte.

Der Kutscher tat das auch. Und Zinnoberchen, als es hörte, dass Häcksel freiwillig zum Haftlokal fahren wollte, war vergnügt und guter Dinge und vermisste ihren treulosen Floh aus dem Löwenfell nicht länger.

Aber auch Flöhe bekommen nicht in allem ihren Willen. Häcksel wurde nicht ins Haftzimmer, sondern nur in die Polizeiwachtstube geführt. Dort fand die Flöhin gar nicht, was sie wollte.

Man gab Häcksel seinen Gurt zwar nicht zurück, aber man zeigte ihm denselben, und er erkannte ihn als den seinen.

Dann wurde ein Polizist beauftragt, Häcksel in sein Heimatdorf zu begleiten und dort in Erfahrung zu bringen, wie Häcksel zu dem Silbergeld gekommen sei.

Häcksel behauptete immer noch, er habe es geerbt. So kam Häcksel auf Polizeikosten zurück in sein Heimatdorf. Nach langem Fragen glaubte man endlich Häcksel, und man ließ ihn wieder seine Bergwerkarbeit antreten.

Zinnoberchen bekam inzwischen viele Junge. Es waren Flohkinder, von ihm, der damals in der Nacht über den Plankenzaun in den Hühnerstall geflüchtet war. Die Flohmänner waren ihr unterwegs alle wieder abhanden gekommen. Sie kehrte einsam und nur mit vielen Kindern beschenkt mit Häcksel ins Bergwerk zurück.

Häcksel aber bekam zwar jenen Geldgurt zurück, doch fand sich kein einziger Silbergulden mehr in dem Gurt. Die letzten waren auf der Polizei herausgerollt, und niemand wusste wohin.

Als Häcksel den leeren Gurt umschnallte, wurde er schwermütig. Er fieberte täglich heftiger und heftiger und wollte doch nicht sterben, da ihn kein Begräbnis erster Klasse erwartete.

Häcksel hat sich dann im Bergwerkpferdestall anstellen lassen und kam gar nicht mehr an die Erdoberfläche. Davon, dass er überhaupt nicht mehr die Luft wechselte und immer in der durchwärmten Schachtluft wohlbeschützt dahinlebte, heilte seine Lunge aus,  und er genaß von seiner Schwindsucht und dem Fieber.

Aber eines Tages schlug ihm ein Pferd, als er sich eben bückte, mit dem Hinterfuß vor den Kopf, da Häcksels Leibfloh das Pferd unsanfter als sonst in die Weichen gebissen hatte.

Eine ganze Nacht lag Häcksel in seinem Blut unter dem Pferd. Niemand war da, und nur die Flöhe sahen von allen Pferderücken herunter neugierig zu, wie so ein Menschenvieh endlich einmal stirbt. Sie lachten und kicherten, bissen in die Pferdeweichen und hatten es wunderschön, indessen Häcksel nochmals die Nacht durchlebte, da er alles Geld verloren hat. Der Teufel mit zwei Gesichtern setzte sich auf eine Pferdekrippe in die Stallecke, wo der rote Laternenschein den Stall schwach aufhellte, und von der Decke über dem Heu, wo die Spinnweben dick fest hingen, löste sich die Königin der Nacht los und krallte eine Hand in Häcksels Kopfwunde, die ihm der Pferdehuf geschlagen hatte.

„Lass mich, lass mich,“ krächzte der Verwundete und wälzte sich zum Vergnügen der jungen Flöhe hin und her. Und er sah dann, wie der schwarzbärtige Andreas Hofer mit der Königin der Nacht zu ringen begann. Es wurde im Stall heller, weil die Nacht von Andreas Hofer besiegt wurde.

Dann nahte der vergißmeinnicht bekränzte Schutzengel und fragte Häcksel streng, ob er noch etwas zu gestehen hätte, er solle sich das Herz durch ein Geständnis erleichtern.

Die Flöhe verfolgten von den Pferderücken herunter dieses Theater im fiebernden Hirn des Sterbenden mit Spannung. Denn da sie ihr Lebenlang mit dem Menschenblut des Häcksels aufgefüttert waren, verstanden sie dieses Blutes Sprache gut und sahen alles, was der Sterbende zu sehen vermeinte.
„Ich wette, er wird nichts gestehen,“ lachte der Jüngste der Flohbrut. „Gesteh nichts, sag nichts, es ist dein gutes Recht zu schweigen,“ rief er mit Eifer zu Häcksel herunter.

„Nein, sage es nur! Er weiß es ja schon selber, dass du die Silbergulden aus dem blinden Stollen gestohlen hast,“ kreischte der Chor der andern frech und lustig.

Häcksel schwieg und ächzte. Er schwieg auch, als alle Toten aus dem blinden Schacht mit vorwurfsvollen Gesichtern an ihm vorüberzogen.

Da winkte der Teufel in der Ecke des Stalles, und herein sprang der Höllenhund und stand wie ein großer Löwe mitten im Stall und schüttelte sich knurrend.

Aber zugleich kam auch ein Greis herein – das war Petrus – und fasste den Höllenhund an der Mähne, sodass er sich nicht auf Häcksel stürzen konnte.

„Gesteh, dass du das Silbergeld nicht geerbt hast,“ drohte der glatzköpfige Petrus und griff nach der Stalllaterne und drohte, dass er das Lebenslicht in der Laterne, das dem Häcksel gehörte, ausblasen würde, sodass der Halsstarrige dann vom finstern Höllenhund verschlungen werden müsste.

„Bravo,“ lachten die Flöhe und höhnten, „siehst du, jetzt hast du dein erstklassiges Begräbnis im Bauch des Höllenhundes.“

„Ich habe das Geld – das gar kein Geld war, von dem ich gar nichts ausgegeben habe, von dem ich mir nicht einmal ein Glas Bier bezahlt habe, – im Stollen ausgegraben und nicht geerbt,“ schrie Häcksel.

„Hier hast du ein Stück Holzkohle aus dem Feuerbecken des Teufels. Mit diesem schreibe dein Geständnis an die Kalkwand des Stalles, damit die Leute dein Geständnis schwarz auf weiß haben.“

Dann, als Häcksel geschrieben hatte, sagte Petrus und hob den Zeigefinger drohend:

„Siehst du, mein lieber Häcksel, du hast es erleben sollen, dass unehrlich angeeignetes Gut nicht den kleinsten Genuss bereitet. Und dass Diebstahl einem mehr Mühe, Schweiß und Ärger bereitet als die härteste ehrliche Arbeit, das weißt du jetzt.

Da du aber im Leben bereits deine Tat gebüßt hast, will ich dir nun doch ein Begräbnis erster Klasse auf himmlische Staatskosten bereiten. Komm und steige in die Himmelskutsche, die vor der Stalltüre steht. Mit dir wird aber auch Zinnoberchen den Himmel und das Begräbnis erster Klasse teilen, denn der Pferdehuf hat sie auf deiner Stirn zertreten, als er dich traf.“

Da erst erfuhr die Flohbrut den Tot ihrer Mutter. Und nun duckten sie sich alle vor Schrecken. Und das Pferdeblut und das Menschenblut in ihren Leibern wurde ganz blass, und sie sprangen für diese Nacht weit fort in das Bergwerk und kehrten erst nach Tagen in den Stall zurück, als man Häcksels Leichnam an die Erdoberfläche gebracht und dort wieder in die Erde gebettet hatte.

Dieses ist die Geschichte von Häcksel den Bergwerkflöhen. Und wenn die Flöhe inzwischen im Bergwerk nicht doch ausgestorben sind, so leben sie heute noch dort, so frech wie damals.

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Textgrundlage: "Häcksel und Bergwerkflöhe" Max Dauthendrey,
aus: Geschichten aus den Vier Winden",
Seite 77 - 128.

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