Geschichten
Max Dauthendey
Auf
dem Weg zu den Eulenkäfigen III
Nie fehlen Blumen auf
ihrem Teetisch, nie geht
bürgerlich
langweilige Luft durch ihre Zimmer. Es ist Claudia ein Genuss,
wenigstens
äußerlich glücklich zu wirken – auf die nicht Eingeweihten, die nicht
in ihren
schwarzen Augen zu lesen verstehen.
Lange Zeit erschien sie
immer als glückliche
Gattin, die,
leicht die Achsel zuckend, die Lebensweise ihres Mannes hinzunehmen
schien. Und
viele mögen verblüfft gewesen sein, als Claudia plötzlich mit dem
Kaukasier
verschwand. Aber nicht einer hatte es ihr beim näheren Hinsehen
verdenken
können.
Und nun zurückgekehrt,
scheint sie die Rolle der
Glücklichen nicht mehr harmlos spielen zu können.
Dazu ist ihr Gesicht
doch zu
blass geworden, und ihre Züge sind wachsmaskenartig erstarrt. Ihre
Augen
funkeln nicht mehr lebenstrotzig. Der Trotz sieht versteinert aus und
steckt
als Kern in ihrem Herzen.
Am Weihnachtsabend, als
ich bei Claudia und Dagon
mit
einigen Gästen eingeladen war und jene Frau uns alle unter den
brennenden
Weihnachtsbäumen ihres Salons beschenkte, da schien es für Sekunden,
als könnte
doch vielleicht das Wachs ihres Gesichtes nochmals ]weich
werden und schmelzen. Dann aber, als es während des Abendessens
klingelte und
unter den Geschenken, die von Bekannten geschickt wurden, auch
Aufmerksamkeiten
von einigen Damen waren, deren Gunst Dagon in letzter Zeit errungen
hatte, da
sah ich, wie Claudia zu frieren begann. Trotzdem die Zimmer von der
Wärmeleitung und den Weihnachtskerzen heiß waren, bat sie, dass man die
Fenster
schließen möchte, das eine der eingeladenen Damen geöffnet hatte. Die
Gepeinigte fror von innen heraus. Ich glaube, sie muss ihr Herz in
diesem
Augenblick so schmerzend gefühlt haben, wie man in der Winternacht das
Eisen
einer Türklinke brennend kalt fühlt, wenn man die Hand darauf legt.
Dagon hat schon längst
keine Geheimnisse mehr vor
seiner
Frau. Das letzte Schamgefühl ist zwischen ihnen gefallen. Im Gegenteil,
er
will, dass Claudia nichts fühlen soll und nichts mit ihm teilen soll
als die
Lust, die ihm seine Abenteuer geben. Sie soll die Lust an dem
Verbrechen, das
er an ihrer Liebe begeht, sich selbst verleugnend mit ihm genießen.
Wieder haben jetzt beide
eine Wohnung, in der
kein Hauch
von Unglück zu spüren ist. Die hellen weißen
und himmelblauen Gemächer, mit gelbseiden verschleierten elektrischen
Lampen
und voll mit Bildern und Büchern und von zierlichen asiatischen Nippes
belebt,
sind wie eine irisierende Haut über einem Pfuhl von pechschwarzem
Wasser.
Aber die einzige tiefe
Empfindung, die man in
diesen
hellen und gefälligen Räumen erlebt, kommt nicht von den Büchern in den
Schränken und nicht von den Kunstwerken aus, sie geht aus von den
unglücksglänzenden schwarzen Augen Claudias; diese Augen, denen das
Weinen
schon längst kein Trost und keine Erlösung mehr ist, glänzen vor
Schmerzen.
Bald nach dem
Weihnachtsfest sah ich Claudia bei
einem
Besuch wieder. Sie stand an ihrem Teetisch und trug über dem schwarzen
Seidenrock eine goldgelbe Seidenjacke, die war von einem etwas
dunkleren
Goldgelb als die Schleier ihrer Lampen. Sie schien Ruhe und Wärme
auszuströmen,
und ich fragte mich erstaunt: was geht in ihr vor? Ihre Augen waren
entkräftet
und schienen außerhalb des Zimmers traumwandelnd herumzugehen. Ich
erfuhr dann,
dass sie krank sei, sie hustete, sie hatte Fieber. Es war eine rein
äußerliche
Krankheit, und Claudia trug diese Krankheit
wie ein Weihnachtsgeschenk des Himmels mit sich. Sie, die einstmals so
stark
war, dass sie nicht für den Tod geboren schien, freute sich, dass ihr
Fieber
täglich stieg, freute sich, dass ihre Augen erlöschen wollten.
Und wenn
man
sagte, dass sie sich pflegen müsste, lächelte sie nur. Sie erwartete
das Sterben
und freute sich.
Der Tod kam nicht. Die
Schwäche ging vorüber.
„Weshalb?“
fragte sie erschrocken.
Sie lebt jetzt immer noch
im selben Hause mit
dem, mit
dem sie einst gerungen und gekämpft hat. Sie lebt kampflos jetzt. Beide
sehen
sich täglich, aber sie sprechen sich wenig. Claudia weiß nie, wohin
Dagon geht,
wenn er abends seinen Frack anzieht. Sie will es auch gar nicht wissen.
Und er fragt nicht, wenn
Claudia ins Theater
fährt, wohin
sie geht. Und das ist vielleicht noch schmerzlicher für sie zu
ertragen, dass
er sie gehen lässt, wohin sie will.
Das Kind, ihre Tochter,
ist bald erwachsen und
sieht und
versteht und hört alles. Und das ist das aller Schmerzlichste für
Claudia.
Der selbstherrliche Mann
schont die beiden Frauen
nicht,
nicht die Tochter und nicht die Mutter. Er lächelt über sie hinweg, zu
den
beiden von seinen Erfolgen bei den Frauen, will, dass sie mit ihm über
die
Scherze, die er mit dem Liebesleben und seinem eigenen Herzen treibt,
lachen
sollen.
Und Dagon lächelt sein
alles verschlingendes
Lächeln,
wenn die beiden Frauen ihm ausweichen. Wenn die beiden Frauen anklagen,
lächelt
er und verschlingt ihre Anklagen. Wenn die beiden Frauen ihn morden
wollen,
lächelt er und verschlingt ihre Mordgedanken.
Er ist liebenswürdig,
spaßhaft; er ist nie
mürrisch. Er
ist nur launenhaft verschlossen, wo er sich fürchtet zu sprechen, weil
er sich
bei aller lächelnder Offenheit nie ganz offen gibt.
Seine lächelnde Offenheit
ist ein Abgrund, in den
er die
Offenheit der andern hineinlockt. Und er sieht lächelnd zu, wie
Menschen in
diesen stürzen, die er angelockt hat. Er lächelt und gleitet über die
Angstblicke, die er sehen müsste, hinweg.
Welches ist das
Schicksal, das ihn ereilen wird?
Wo ist
die Grenze, die seiner Unendlichkeit im Grausamsein gesetzt ist?
Seht, dieses sind die
Blicke, die als einziges
Leben aus
den Augen Claudias starren. Will sie sein Ende erleben, und ist sie
noch nicht
gestorben? fragte ich mich. Das ungeheuerliche Ende, die ungeheuerliche
Todesstunde, die in der Brust Dagons das lächelnde Herz voll
Ungeheuerlichkeiten töten wird, die ihm und sein alles verschlingendes
Lächeln
aus der Welt schaffen wird, – wartet Claudia darauf? –
Als wir zu den
Eulenkäfigen kamen, trug ich diese
letzte
Frage in mir. Da saßen wie seltsame weiße und graue Federgruppen die
Eulen,
diese weichen, lautlosen Nachtgeschöpfe, auf den Ästen abgestorbener
Bäume
hinter den Gitterstäben. Einige konnten die Köpfe ganz rund um den
Nacken
drehen. Andere spitzten die katzenartigen Ohren. Aber alle saßen da wie
ausgestopfte Federbälge. Die einen hatten wunderbar silberweißes
Gefieder, und
es wirkte jeder weiße Vogel wie eine einzige ungeheuerliche
Riesenschneeflocke.
Andere graue Eulen waren wie ein dicker Ballen Spinnweben. Und wenn sie
nicht
manchmal die Köpfe rundum gedreht hätten, sodass das Gesicht nicht auf
der
Brust, sondern plötzlich auf den Rücken stand, so hätte man in ihnen
kein Leben
vermutet.
So sahen die Eulen aus,
als wir von weitem an die
Käfige
kamen. Aber als wir nähertraten, da
verschwanden die Federkörper. Da standen nur in der Luft über den
abgestorbenen
Baumästen paarweise ungeheuerliche schwarze Augen. Augen, die so groß
und rund
in ihrer Schwärze starrten, als müssten sie alles und nichts sehen; als
könnten
sie die Tiefe des ganzen Weltalls umfassen, alle Schmerzen und alle
Trostlosigkeiten der Abgründe des Lebens.
Während sich alle meine
Freunde beim Näherkommen
über die
Federn, die Haltung, die Kopfwendungen der Eulen ereifert hatten,
wurden sie
jetzt stumm. Und nur Claudia, die vorher stumm gewesen war, als wir die
Eulen
zuerst erblickten, wurde jetzt vor den Eulenaugen laut und begeistert.
„Haben diese Vögel nicht
die schönsten Augen der
Welt? Da
sprechen die Menschen immer von glotzenden Eulenaugen, und ich finde,
es sind
die feierlichsten, ausdrucksvollsten, geheimnisreichsten und
schicksalsschwersten Blicke, mit denen nur je ein lebendes Wesen auf
die Welt
herabsehen kann.
Solche Augen möchte ich
haben,“ setzte Claudia hinzu.
„Wie ich
diese Tiere um ihre Augen beneide! Auf was warten sie nur, diese
Eulenaugen?“ –
Als wir uns später unter
dem schwerhölzernen,
blutroten
chinesischen Tor am Ausgang des Zoologischen Gartens trennten und der
Abend
schon über den Straßenschachten dunkelnd lag, die elektrischen Lampen
in den
Straßenfluchten aufleuchteten, ging ich einsam heim. Der Himmel wurde
immer
nachtdunkler, und als ich in den nachtschwarzen Äther sah, der noch
asternlos
über den Dächern der Häuser stand, erkannte ich in dem schwarzen
Himmelsabgrund, den Eulenaugen und Claudias Augen eine Einheit. In der
Nacht
und in jenen Augen war kein Blick mehr, den man hätte fühlen können.
Sie
schienen alles innere Leben hergegeben zu haben. Und nur ein Wille war
in ihrer
Finsternis. Der: Mit stummer Macht den Untergang der Lebenden, auf die
sie
herabsahen, zu erwarten.
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Geschichte: "Auf
dem Weg zu den Eulenkäfigen"
Max Dauthendrey, aus: Geschichten aus den
Vier Winden", Seite 143 - 171.
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Logo 184: "Waldmärchen", Margret Hofheinz-Döring, 1965,
Aufbewahrungsort: Galerie Brigitte Mauch, Göppingen,
Quelle: Peter Mauch
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