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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium - Novellen
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Morphium - Seite 11

Er lachte höhnisch außer sich auf. «Also Du glaubst, daß es nichts schadet, wenn ein Mensch plötzlich aufhört, diejenigen Pflichten zu erfüllen, die ihm Gott für sein Leben zugetheilt hat? Es schadet wohl nichts, wenn eine Frau, anstatt ihren Mann glücklich zu machen und ihre Kinder zu pflegen, in zwecklosem Genießen nur noch körperlich fortvegetiert, ohne geistig auf ihrem Posten zu stehen? Steht nicht geschrieben: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen?»

«Nicht essen? — Lieber Arnold, muß ich Dich daran erinnern, daß ich kein armes Mädchen war, das geheirathet hat, um versorgt zu sein? Unsere Renten sind ungefähr gleich. Was giebt Dir denn das Recht mir vorzuhalten; daß ich ohne Gegenleistung dafür mir erlaube — — zu essen?»

«Nimm das nicht buchstäblich, spiele nicht mit Worten,» rief er außer sich, «es ist ein frivoles Spiel. Jeder Mensch hat sein Leben zu durchkämpfen, wenn es sein muß, zu durchleiden, um einen gewissen Kreis von Pflichten zu erfüllen, die ihm zugefallen sind. Nicht Jeder braucht um das tägliche Brot zu arbeiten. Mancher ist zu mehr, zu Besserem, zu Höherem berufen. Jedes Weib ist dem Himmel verantwortlich für die Seelen ihrer Kinder, die sie dem ewigen Heil zuführen muß. Man muß einen Lebenszweck haben, begreifst Du das nicht?»

Einen Lebenszweck — — wie eine Vision stand der Kirchhof vor ihrem inneren Auge; sie saß am Grabe ihrer Eltern, die rothen Sonnenstrahlen schimmerten auf dem schwarzen Marmor des Grabsteins. Neben ihr saß ein Mann, ein Freund, er verstand sie, und sie — sie liebte ihn.

Er war jetzt hinübergegangen zu den Todten, und von ferne, aus einer anderen Welt, jenseits des Grabes, aus der Welt der Erinnerung drangen Worte an ihr inneres Ohr — Worte, die er einstmals gesprochen, «der Genuß ist auch ein Lebenszweck, so gut wie die Arbeit; es kommt nur darauf an, daß man seine moralischen Begriffe damit in Einklang zu bringen versteht — — — — — — — — —» Mechanisch, halblaut, wie man nachspricht, was jemand vorsagt, sprach sie sie aus, diese Worte des Freundes.

Der erzürnte Mann vor ihr hatte diese Antwort doch nicht erwartet. Wie ein Schleier sank es ihm plötzlich von den Augen. Diese Frau mit dem irren, abwesenden, in’s Leere starrenden Blick konnte er nicht für die Worte verantwortlich machen, die so abgerissen und ausdruckslos von den bleichen, zuckenden Lippen fielen. Sie war krank, unzurechnungsfähig. — Mit furchtbarer Ahnung durchblitzte sein Hirn der Gedanke, sie könne wahnsinnig geworden sein durch die Verzweiflung, in die sein rücksichtsloses Vorgehen sie gestürzt hatte.

«Du mußt in eine Anstalt, nachher wird Alles besser werden,» und wie sie zusammenzuckte, fügte er noch mitleidig und traurig hinzu: «ich will Dich nicht quälen.»

Dann ging er hinaus. Wenn er gewünscht und gehofft hatte, seine Frau zu erschüttern, zu rühren und der Bereuenden vielleicht dann verzeihen zu können, so sah er sich bitter enttäuscht. Er hatte nichts erreicht, höchstens den Riß, den nach seiner Ansicht ihre Morphiumsucht in die Ehe gebracht hatte, unheilbar gemacht und endlos vergrößert. Seinem Auge bot sich kein Ausweg. Er wollte und mußte sie in eine Heilanstalt bringen, aber selbst wenn sie dort körperlich geheilt werden sollte, konnte er nicht hoffen, daß ihre Seele wieder gesund werden würde.

Er hatte sie geliebt, jetzt hatte er ihre Liebe verloren. Mit heißem Schmerze fühlte er, daß seine Liebe zu der Kranken, Unglücklichen unerschütterlich treu in seinem Herzen fortleben würde, so lange er lebte, vielleicht konnte diese Liebe noch wachsen und zunehmen, wenn sie jemals sich hülflos und verzweifelt an ihn anklammern würde, aber er fühlte, daß sie das, was ihm und auch ihr früher selbstverständlich erschienen wäre, nicht thun würde — nie wieder. — Es stand etwas zwischen ihnen, was er nicht aus dem Wege zu räumen vermochte, weil es überwältigend und unsagbar war, eine Leidenschaft — — Morphium. —

Er dachte auch einen Augenblick an den blutigen Schatten des todten Freundes. Nein, der stand nicht zwischen ihm und ihr, den hätte die Liebe des Mannes überwinden können; aber gegen den Dämon konnte er nicht kämpfen, der ihre Seele gefesselt hatte. Mit einem schweren Seufzer blieb er vor der Thür ihres Zimmers stehen. Dann ging er mit festen Schritten hinüber in’s Kinderzimmer. Nacheinander hob er beide Kinder zu sich empor, drückte sie fest an die Brust und küßte sie innig.

«Meine Frau ist schwer krank, Fräulein, die armen Kinder werden manches entbehren müssen,» sagte er ernst.

«Was ich thun kann, um den Kindern die Mutter, so lange es nöthig sein wird, zu ersetzen, soll geschehen,» antwortete Hedwig Wagner einfach und schlicht.

In ihren grauen Augen standen Thränen, treu und freimüthig legte sie ihr Versprechen ab. Der Geheimrath gab ihr die Hand. Dann verließ er die Kinder; es war ihm, als hätte er sie in die Obhut eines Schutzengels gegeben.

Um so schnell wie möglich die Unterbringung seiner kranken Frau in einer geeigneten Anstalt zu veranlassen, begab er sich gleich darauf zu Professor Schrödter.

Lydia war, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte träumend und regungslos stehen geblieben. Ein weißes, langes Kleid floß weich herab an ihrer schlanken Gestalt, der schöngeformte, hoch frisierte Kopf sah reizend und jugendlich aus, aber die Augen waren glanzlos, die vorher brennenden Wangen waren fahl geworden, und die Hände hingen schlaff und müde herab.
 
Sie fühlte, daß Alles zu Ende war zwischen ihrem Manne und ihr. Sie hatte, seit sie Morphinistin war, nicht darüber nachgedacht, ob sie ihn noch liebe oder nicht. Still und unmerklich war die Liebe eingeschlafen in ihrem Herzen. Ein zartes verständnißvolles Benehmen des Mannes hätte sie vielleicht leise und sanft wieder erwecken können wie ein Sonnenstrahl eine Blüthe, die ein Nachtfrost geschlossen hat, aber seine brutale Moral, sein schroffer correcter Ehrbegriff hatte die zarte, sterbende Blüthe zertreten.

Sie hatte aufgehört, ihn zu lieben und konnte ihn auch nicht wieder lieben, nie, im Leben nicht wieder.

In erbittertem Kampfe stand er ihr gegenüber. Verachtung hatte er ihr entgegen geschleudert.

Um ihr Laster auszurotten, wollte er sie in eine Heilanstatt bringen. Gegen sie, das zarte kranke Weib, rief er den rohen rücksichtslosen Arzt zu Hülfe, den sie verabscheute.
 
Es ist so leicht, einen wehrlosen, kranken Menschen zu peinigen und zu verfolgen. Darin liegt aber eine Gemeinheit, eine moralische Hoheit, die doch wohl eben so verächtlich ist, wie die Pflichtvergessenheit einer Kranken. Lydia wußte, was das Wort in sich schließt «eine Entziehungscur.» Professor Schrödter garantierte zwar für seine «Entziehungscuren ohne Qualen», aber nur ein Morphiumkranker kann  ermessen, wie groß die Lüge ist, die in dieser Vorspiegelung liegt.

Ein Opfer dieser Qualen aber sollte sie nun sein, um nach dem Willen ihres Mannes ihren Pflichten zurückgegeben zu werden.

Sie dachte an Turnau. Nicht mehr mit Liebe, sondern mit Neid gedachte sie des glücklichen Todten. Er hatte den Genuß, den das Morphium gewährt, auskosten dürfen bis zum Ende, ihr dagegen riß man den goldenen Kelch von den Lippen, jetzt wo sie noch durstig war — durstiger als je.

Ihre Seele lechzte nach Betäubung, um die Schmach zu vergessen, die ihr angethan worden war. Von ihrer Krankheit, von ihrer Verirrung sprach ihr Mann; die Ärzte, die Welt würde davon sprechen; Nachsicht und Mitleid würde man ihr zu Theil werden lassen — und Achtung, äußere Achtung vielleicht auch wieder, ja — das — —

Der T o d t e aber hatte sie besser gekannt, als alle lebenden Menschen. Er allein wußte, daß sie eine Schuldige — eine Ehrlose war.

«Der Tod ist der Sünde Sold», das war das letzte Wort, was er ihr zurief von seiner blutigen Bahre. In frivolem Spotte hatte er gespielt mit dem Gedanken an ewige Dinge, und als dann der Tod kam, klammerte er, der Freigeist, sich an die Verheißung des Christenthums von der Gnade Gottes und dem ewigen Leben in Christus.
 
O, wie sie sich schämte; in der Tiefe ihrer Seele verging sie in Scham und in Reue. «Der Tod ist der Sünde Sold.» Es war ihr plötzlich wie eine Offenbarung. Auf seinen Grabstein sollte man den Spruch setzen. Aber der Spruch war für sie. Wenn Menschen schweigen, so reden die Steine. Zu ihr, nur zu ihr sollte er sprechen, dieser Stein; nur für sie galt die furchtbare Mahnung: «Der Tod ist der Sünde Sold.»

Mit einem wilden Schrei griff sie nach ihren hämmernden Schläfen. Dann stürzte sie vorwärts und riß die Schnur von ihrem Halse, an der sie den Schlüssel verbarg zu ihren «Schätzen.» Sie kniete nieder an dem Schränkchen und schloß es mit zitternden Händen auf. Da standen sie alle, alle die kleinen Gläser, die sie bei dem Todten gefunden, es fehlte nicht eins.

Das erste beste ergriff sie und setzte es an die Lippen. Sie fühlte ein scharfes Brennen, aber sie wollte es überwinden, das Gläschen leer trinken. Da ging hinter ihr eine Thür auf. Hedwig Wagner trat ein, nahm ihr mit ruhiger Bestimmtheit das Gläschen vom Munde und verschloß den Schrank.

«Das geht nicht, gnädige Frau. Der Professor wird Ihnen so viel Morphium zutheilen, wie Sie bedürfen, um nicht zu leiden», sagte das Mädchen.

Lydia antwortete keine Silbe. Scheu und traurig begegnete ihr Blick dem der Bonne. Dann verließ sie das Zimmer. Sie stieg die Treppe hinauf, mit einer Hand hielt sie ihr Kleid, die andere lag an der Stirn. «Die Steine reden, die Steine rufen.» — Leise und stockend sagte sie das vor sich hin, wieder, immer wieder.

Sie ging die ganze Treppe hinauf, schritt über den Boden, noch eine kleine Treppe höher und stieg endlich durch eine Klappe auf das platte Dach des hohen Hauses. Ein niedriges Geländer umgab die Plattform. Lydia beugte sich darüber hinweg und starrte hinab auf das Steinpflaster des Hofes vor den Stallungen und Remisen.

Die Steine da unten schimmerten grau zu ihr empor. Ein röthlicher Sonnenstrahl glitt drüber hin.

Der Tod ist der Sünde Sold; — «die Steine reden, die Steine rufen.» Sie sah sich scheu um. Nein, es war ihr niemand gefolgt, sie war allein, frei, vielleicht zum letzten Male frei, ehe sie die Gefangenschaft des Irrenhauses umgab.

Wie wonnig ist doch die Freiheit, das edelste Menschenrecht — — — Sie hatte die Freiheit benutzt.

Ein Schrei, ein Fall — die Steine der Tiefe nahmen sie auf.

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