|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
"Verzweiflung",
Ludwig Meidner
(Ausschnitt), 1914, "Ludwig
Meidner Archiv, Jüdisches
Museum der Stadt Frankfurt a. M.
04.3
Die Revolution
Georg Heym
Aus dem
dramatischen Nachlaß
Personen:
|
|
Friedrich
Hecker
|
|
Gustav
von Struve
|
|
Thomas
Möglich
|
Badische
Revolutionäre
|
Franz
Sigel
|
|
Weishaar
|
|
Willig
|
|
Bruche
|
|
Peter
|
|
Mariechen,
Möglichs Geliebte
|
|
Erster
Bürger (Lechli)
|
|
Zweiter
Bürger (Spetzger)
|
|
Zwei
Freischärler
|
|
Dieselbe Stube. Sigel. Weishaar. Bruche.
Willig. Struve.
Möglich. Peter. Dann Hecker.
Möglich
(singt)
Zu Konstanz auf der
Brücken
Da
stehen zwei und fiedeln
Da
stehen zwei und fiedeln
Die
ganze Nacht hindurch.
Sigel
(zu
Weishaar)
Fickler
ist verhaftet. Das ist ein
furchtbarer Schlag für die Freiheit. Damit ist das Unterland dem
Aufstand
verloren.
Weishaar
Aber Hecker ist uns
zurückgewonnen. Wir haben einen Bannerträger für
die gute Sache, um den sich jetzt das Volk sammeln wird.
Struves
Gesicht ist seit Heckers Ankunft noch gelber geworden. Er
wünschte ihn wahrhaftig zu allen Teufeln. Sieh ihn nur an, wie er mit
den
zusammengebissenen Lippen über seinen Plänen brütet.
Es
ist schlimm, daß wir mit Struve, Möglich und solchem Gelichter
zusammengehen müssen.
Sigel
Ein guter Feldherr
braucht alles, was ihm zuläuft. Robespierre
gebrauchte Danton, solange er seines Schutzes bedurfte. Als er allein
stark
genug war, jagte er ihn auf die Guillotine. Wir werden
Struve eine Zeitlang brauchen, bis wir ihn unter die Kugeln der
badischen Grenadiere jagen können.
Weishaar
Es ist nicht gut, eine
große Sache mit schlechten Waffen verteidigen.
Sigel
Es ist gut, jemanden zu
haben, der einen Fehlschlag vor den Augen der
Nachwelt erklärlich
macht.
Du
glaubst an kein Gelingen?
Ich
will niemandem seine Zuversicht rauben.
Hecker (auf
einem Tisch).
Täuschen wir uns nicht.
Wir sind am Ende der Dinge. Das Arsenal der
gesetzlichen Waffen ist ausgeräumt. Bahnten seine Schwerter uns nicht
den Weg
in die Freiheit, so laßt uns die roten Brandfackeln des Aufruhrs von
ihrem
Altar reißen. Als wir auf gesetzlichem Wege, im Sonntagsrock des
Spießbürgers
vor die Tyrannen Germanias traten, und so demütig um etwas Freiheit
baten, um
etwas Menschlichkeit, da war ein Hohnlachen ihre Antwort. Vielleicht
lernt ihre
Grimasse noch einmal das Zittern, wenn sie vom Fenster ihrer Paläste
statt der
gewohnten Bücklinge und der devotest heruntergerissenen Hüte das
tausendstimmige Schreien der Not und des blutigen Aufstandes hören,
wenn sie
die aufgerissenen Straßen, die drohenden Barrikaden sehen müssen und
ihre
Soldaten, unsere Brüder, in unseren Reihen. Ihre Kronen werden auf
ihrem
wackligen Kahlkopf herumtanzen, wie ein Brummkreisel, wenn sie vom
flammenden
Horizont das Wimmern der Sturmglocken aus allen Kirchtürmen hören.
Barrikaden.
Barrikaden. Welch ein Wort. Welch einen Sturm der Begeisterung facht es
an.
Wenn das Volk auf
sie die Banner der Freiheit pflanzt und sich um sie schart, sie zu
verteidigen mit Blut und Gut und Leben. O. Freiheit. Freiheit.
Friedrich
Hecker. Du hast eine gute Lunge. Man muß dich beruhigen,
sonst läuft das Volk zusammen und Konstanz würde es dir nie verzeihen,
wenn du
es aus seinem ruhigen Schlaf störtest.
Du
wolltest uns einen Bericht geben, Bürger Hecker, und du hältst uns
die Rede, die wir morgen auf dem Markt von dir erwarteten.
Wir
müssen in Ruhe überdenken, was Deutschland von uns zu hoffen hat.
Dürfen wir es wagen, den Aufstand zu predigen.
Daß
deiner Brust Begeisterung fremd ist, Struve, wußten wir. Aber auch
die Mönchskutte kannst du beiseite lassen. Wer könnte mehr gewinnen bei
einem
Aufstande wie du. Weiß doch ein jeder, daß um deinen Kopf die
Steckbriefe wie
die Raben fliegen. Ein Löffeldiebstahl macht noch keinen
Freiheitshelden. Dir
steht das Gewand des Grenadiers schlecht zu Gesicht.
Weishaar
Keinen Zank weiter.
*
Willig
Was für eine Lust ist
das, eine Revolution zu machen. Was für eine
Freude. Man fühlt sich wie neugeboren. Das ist wahrhaftig ein anderes
Vergnügen, als wenn man sich sonst im März auf seinen neuen Sommerrock
freute.
Man
liebäugelt mit allen Galgen. Man unterhält sich mit den Krähen und
Raben auf den kahlen Landstraßen und weist einem jeden eine Provinz in
seinem
Leibe zu. Man weiß nicht, von was leben, und ob man morgen noch frei
sein wird.
Ich
habe den ganzen Winter in den Wirtsstuben gelegen, mich faul auf
den Bänken geräkelt. Ich war wie ein Maulwurf, der vor Langeweile in
seinen
Winterschlaf gefallen ist.
Und
jetzt, Gefahr an jedem Morgen, man weiß nicht kommt man noch heil
zu Bette. Ich träume jede Nacht von Napoleon. Bin ich noch derselbe
Willig, der
ich im Jänner war. Ich war ein Schuljunge, der den Lackel fürchtet. Und
jetzt
bin ich ein Mann und das danke ich dir, Bruder Hecker.
Bis
nach Stockach hinaufwarten sie auf uns. Sie warten auf das Fanal,
das ihnen den Aufstand bringen soll.
In
allen Wirtshäusern haben sie mir zugejubelt, wenn ich ihnen aus den
Seeblättern vorlas. Alle Schubläden und Schränke haben sie leer gemacht
für die
Beute. Keiner will mehr arbeiten. Sie üben sich jeden Morgen mit ihren
Sensen
am Türpfosten. Noch einmal, es ist eine Lust und Freude, eine
Revolution zu
machen, an die reicht keine andere.
((Bericht
der anderen.
Heckers
Rede.
Möglichs Opposition: deine Freiheit ist nur eine andere Knechtschaft.
Struve sucht zu dämpfen.
Sigel nagelt ihn fest.
Weishaar mahnt zur Ruhe: Seine
Vorschläge.
Aussendung.))
((Markt.
Leute am Schaukasten.
Heckers Freiheitsrede.
Assignaten als Handgeld.
Der Bürger in seinem neuen
polnischen Schnürrock zieht mit der Löffelgarde auf.
Einer kommt mit einer
großen Markttasche zum Plündern.
Einer
nimmt seine Frau und Tochter mit.
Unter Gesang der Marseillaise Abzug der
Löffelgarde.
Eine alte Frau: Was will denn die Räuberbande?))
Zwei
Freischärler. Lechli.
Spetzger.
Lechli
Man würde sich unsern Aufzug gern bei Schmierenkomödianten ansehen und
herzlich darüber lachen. Es ist hier wie in Schillers Räubern. Hecker
unser
Karl und Struve unser Spiegelberg.
Spetzger
Und die deutsche Republik
ist die Amalia.
Mit
dem Unterschied daß Amalia eine Jungfer war, und die deutsche
Republik ist ein Frauenzimmer das auf allen Märkten feilgeboten wird.
Aber es
will niemand darauf anpreisen. Denn man sieht ihre Knochen durch ihre
Lumpen.
Und die Blinden, die meinen, sie hätte weiche Lenden, spießen sich an
ihren
Hüften auf.
Erster
Wo kommst du her, Kamerad.
Aus
Schievelbein in Pommern. Und wo bist du her?
Aus
dem Straßengraben zwischen Katholisch und Evangelisch.
Hast
du denn keinen Vater?
Erster
Im Gegenteil. Viele.
Meine Mutter hatte den Beruf, Väter zu machen.
Wer weiß, wer weiß, das Bein hier hat vielleicht ein Prinz
gemacht, und das ein Nachtwächter, den Arm ein Republikaner und den ein
Jesuit,
das Ohr ein Türke und das ... ach, was soll ich mich um meinen
Stammbaum
quälen. Das gäbe eine kosmopolitische Ahnenprobe. Ich könnte mich auf
allen
Jahrmärkten als das berühmte mixtum compositum oder perpetuum mobile
sehen
lassen.
Du
bist wohl weit in der Welt herumgekommen.
Ja
weiter, als bis hinter Euren Gartenzaun.
Mit
fünf Jahren in Hamburg wegen Notzucht zum Tode verurteilt, entlief
ich den Schergen, als sie mich zur schönen Aussicht vom Galgen
einluden. Ich
kroch zwischen ihren Beinen in die Freiheit. Dann schloß ich mich einer
Expedition zur Entdeckung des magnetischen Nordpols an, befreite
Franklin aus
den Händen der Südseeinsulaner, was mir den Orden des goldenen Vließes
eintrug,
und kehrte auf dem Äquator nach Hause zurück.
Hier
lebte ich einige Jahre ehrlich von Wegelagern, Pferdedieben,
Brandstiften, Kinder- und Engelmachen. Bis eines Tages die
Gesandtschaft des
Großchans von China, von der Moldau und der Walachei mich an seinen Hof
berief,
wo der Posten des Großsiegelbewahrers frei geworden war.
Ich
folgte dem Rufe, wobei ich die nordöstliche Landdurchfahrt und die
vier Phasen des Mondes entdeckte. Ich reiste danach vier Jahre, zwei
Tage und
drei Minuten durch die Wüste Sahara, kam an den gläsernen Berg, zu den
Sirenen,
den Cotophargen, den Feuerländern, durch das rote Meer, endlich an den
Thron
des Großchans, dieser war inzwischen gestorben, der heilige Geist, der
für ihn
lange regiert hatte setzte mich zum Erben ein. Ich heiratete seine
trostlose
Witwe, die Jungfrau Maria und lebte dort zehn Jahre herrlich und in
Freuden.
Aber auf die Dauer war auch das nichts. Denn es ist dort zu finster. Am
Tage
ist es Nacht und in der Nacht ist es Tag. In der Nacht scheint die
Sonne
und am Tage der Mond. Kurz, ich packte meine Sachen, und kam
noch zur rechten Zeit, um bei Hohenlohe Handgeld zu nehmen.
Was
es nicht alles gibt auf der Welt. Davon hat uns unser Lehrer gar
nichts erzählt.
Ja,
wie sagt doch Hamlet so schön im vierten Akt, dritte Szene,
siebenter Aufzug, "Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen
sich euer
Schullehrer nichts träumen läßt".
Ein
kurioser Hammel, unsere Hammel reden nicht.
Kamerad,
du gefällst mir. Es wird morgen wohl eine Bataille geben, es
haben um Mitternacht sieben Nordlichter auf der Erde getanzt. Als ich
sie sah,
rief ich Heureka, denn der Lehrsatz des Pythagoras war bewiesen.
Zweiter
Nordlichter, in Schievelbein nimmt mein Vater Schweinetalg zum
Lichtziehen.
Ja
und der Eskimo nimmt Lebertran. Die Bibel fängt von hinten an. Aber
deine Klugheit gefällt mir, es wäre schade, wenn die Nachwelt um deinen
Kopf
käme. Ich will dich kugelfest machen, Kamerad!
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|