DER
DIEB
Motto: Aux sots je
préfère les fous
Dont je suis, chose, hélas! certaine.
Baudelaire.
,,Gott,
ich schwöre dir, ich werde deinen Willen tun. Denn du bist der Herr,
Herr, und
ich bin dein Werkzeug für und für, von nun an bis in Ewigkeit. Amen.
Das heißt,
ja, ja, es soll also geschehen. Ich habe dich auf den Knien gebeten, du
weißt
es, Nacht für Nacht, hier in dem Gethsemane dieser Dachstube: ist es
möglich,
Herr, so lasse diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht mein,
sondern dein
Wille geschehe. Und nun will ich mich gürten und ausfahren, wie weiland
E l i a
gegen die falschen Priester, oder wie Mose, der gegen den Reigen der
Tänzer
anschritt. Nicht eine mehr dieser
Nächte, Herr, sonst bringst du mich um meinen Verstand, und ich brauche
ihn,
denn du hast ein großes Werk auf meine Schultern gelegt.“
Er
fiel nieder und verbeugte sich vor dem Engel des Herrn, der hinter dem
Ofen
stand, da, wo der Paletot hing, dort, wo er jetzt immer zu erscheinen
pflegte.
Dann
stand er auf, nahm das Paket und ging.
Er
wußte nicht, wie es angefangen hatte. Seit einigen Jahren hatte er sich
von
seinen Freunden zurückgezogen in einem Anfall plötzlichen Ekels. Er war
bald
vergessen worden.
Seine Freunde wußten nichts mehr von seinem Leben. Sah ihn zufällig mal
einer
im Vorübergehen, so erkannte er ihn nicht mehr.
Er
hatte seine Zeit mit allerlei Studien verbracht, um die Qualen seiner
Melancholie zu heilen. Er war der Reihe nach Biologe, Astronom,
Archäologe
gewesen, alles hatte er
wieder fallen lassen. Nichts hatte ihn befriedigt. Alles hatte ihn nur
mit
größerer Leere erfüllt. Und nun lebte er in einer großen Pension,
vergraben in
sein kleines Mansardenzimmer, einsam, von niemand gekannt, einer unter
den vielen
Einsamen dieser großen Stadt.
Die
Abende verbrachte er damit, daß er in den Tiefen seines Lehnstuhles dem
schwindenden
Lichte nachsah und den Schiffen der Wolken, die sommers mit ihrem
rötlichen Kiel
nach Westen reisen auf der Fahrt nach neuen, geheimnisvollen
Ländern.
Oder im Spätsommer, wenn die Tage des Nordwestwindes beginnen mit den
großen
und seltsamen Gebilden am Himmel, damit, daß er den himmlischen Tieren,
die der Herbst über die grünen Weiden sandte, zusah, den großen
Walfischen, den
riesigen Dromedaren und dem Geschwader unzähliger kleiner Fische, die
über den
Ozeanen des Himmels im unendlichen Blauen verschwanden.
Über
alle merkwürdigen Erscheinungen machte er sich Aufzeichnungen. So sah
er einmal
vor einem weinroten Grunde den Teufel über einem Haufen von schwarzen
Leibern, die
ihn anbeteten; ein andermal sah er eine ungeheure Fledermaus, die mit
ausgespannten Flügeln an den Himmel angeschlagen zu sein schien, wie
sie von
den Bauern an die Türen der Scheunen genagelt wird, oder einen riesigen
Dreimaster, oder
Bäume auf Bergen, oder gewaltige Löwen, ungeheuere Schlangen, die um
die
Schultern des Himmels gelegt waren, oder einen riesigen Mönch in einer
schleppenden
Soutane, oder Männer mit seltsamen langen Profilen, und einmal einen
feurigen
Engel, der mit einer großen Fackel über die Treppen des Äthers stieg.
Manchmal
war alles erfüllt mit einer seltsamen, fast unhörbaren Musik, wie das
Brausen
der Ozeane in der Dunkelheit endloser Grotten und unterirdischer Dome.
Die
Wolken waren sein letztes Studium gewesen, die letzte Verlockung, das
gefährlichste Werk des Teufels.
Eines
Abends hatte er das Buch verbrannt, und wenn er nun den Sturm hörte,
der abends
den purpurnen Buzentaur einer Wolke über den Horizont trieb, dann
schloß er die
Läden, verhängte sie innen noch mit schwarzen Tüchern und versenkte
sich ganz
in das Dunkel und in das Schweigen.
Und
damals hatten die Stimmen angefangen, von fern aus einem Winkel, wie
aus Röhren
herauf, gedämpft und müde wie die Klagen der Toten, die unten in den
Adern der
Erde herumschwimmen.
Er
hatte sie in den ersten Wochen nicht verstanden, aber allmählich lernte
er ihre
Sprache, je mehr die Stimmen über ihn Macht gewannen. Und nachdem er
einmal
vier Tage gefastet und vier Nächte gewacht hatte, war ihm die erste
Erscheinung
zuteil geworden, und da zum ersten Male hatte er jenes Gefühl
unendlicher
Seligkeit und unermeßlicher Qualen empfunden.
Langsam,
wie Christus, der zwei Jahre in den Schrecken der Wüste ausharren
mußte, war er
auf seine große Fahrt vorbereitet worden. Welche Leiden, welche
Schrecken, welche
schlaflosen Nächte, aber auch welche Hoffnungen, welche Ekstasen,
welche
Visionen. Nachdem sein Leib sich ganz des Fleisches entwöhnt hatte und
nachdem
endlich der letzte Rest animalischer Stoffe aus seinem Blute geläutert
war,
erfuhr er endlich in einer Nacht von einer Stimme, die über dem Meere
aufging
wie ein Gedonner, seine Botschaft.
Ja,
das Weib war das ursprüngliche Böse. Christi Werk war umsonst gewesen.
Denn wie
sollte er die Menschen erlöst haben, wenn sie immer wieder zurückfallen
mußten in
die Sünde aus Notwendigkeit, wie ein Stein zurückfällt, und wäre er bis
über
die Wolken geschleudert worden. Wahrhaftig glichen sie den armseligen
Fliegen,
die aus einem
Honigtopfe heraus wollen, sie zappeln und krabbeln, aber sie kommen
nicht weit,
sie müssen immer wieder herunter unten in die Sünde, in das Süße. Und
er las
laut bei Markus im fünfzehnten Kapitel am 34. Vers:
,,Und
um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach:
Eli,
Eli, Lama Asabtani. Das ist verdolmetscht: mein
Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Vers
37: ,,Aber Jesus schrie laut und verschied!“
"Mein
Gott, warum hast du mich verlassen.“ Das also war das letzte Wort
Christi
gewesen, und damit begrub er seine ganze Herrlichkeit. Im Grauen des
Todes
hatte er die letzte Wahrheit erkannt. Sein Werk war umsonst gewesen,
sein
Einzug in Jerusalem, seine blutige Geißelung, seine Schmerzen, der
Leidensweg
und die langen Stunden am dunkeln Holz. Gott hatte ihn verlassen, und
sein Werk
war umsonst gewesen.
Und
das Dunkelwerden des Himmels, das Zerreißen des Tempelvorhanges, das
Heraufkommen der Toten aus den Gräbern, es war nichts gewesen als die
armseligen Requisiten einer schlechten und sinnlosen Komödie.
Ja,
und "er schrie laut auf und verschied“.
Und
er las weiter das 17. Kapitel der Offenbarung Johannis:
1.
"Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen
hatten, redete
mit mir, und sprach zu mir: ich will dir zeigen das Urteil der großen
Hure, die
da auf vielen Wassern sitzet.
2.
Mit welcher gehuret haben die Könige auf Erden, und die da wohnen auf
Erden,
trunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei.
3.
Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sähe das Weib sitzen
auf
einem rosinfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte
sieben Häupter
und zehn Hörner.
4.
Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosinfarbe; und übergoldet
mit
Golde und Edelgesteinen und Perlen; und hatte einen goldenen Becher in
der Hand voll
Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei.
8.
Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht, und wird
wiederkommen
aus dem Abgrund, und wird fahren in die Verdammnis, und werden sich
verwundern, die
auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben steht in dem Buche des
Lebens
vom Anfang der Welt, wenn sie sehen das Tier, das gewesen ist, und
nicht ist,
wie wohl es doch ist.“
"Das
Tier, das gewesen ist, und nicht ist, wie wohl es doch ist.“ Und der
Tiefsinn
dieser Worte machte ihn erschrecken.
Er
sah vor sich den Hals des teuflischen Tieres in schrecklicher
Traurigkeit, und
über seinen Hörnern hängend das Gesicht des Weibes, über ihrer Stirn
das Siegel
des Todes,
und um ihren Mund ein furchtbares und herzzerreißendes Lächeln wie den
Widerschein des höllischen Abgrundes.
So
mußte also alles noch einmal getan werden, denn das Tier war noch nicht
bezwungen.
Das
Übel mußte bei der Wurzel gepackt werden.
Adam
war gut, solange er allein war, aber als Satan sich in den Traum Gottes
schlich
und ihn das Weib schaffen hieß, war die Stunde der Sünde schon in die
Zukunft
der Geschlechter
gesetzt. W a n n der Mann fallen mußte, ob durch das erste Weib oder
erst durch
ihre Töchter, war nicht bestimmt; daß er fallen mußte, war gewiß.
Und
an dem Weibe war der Messias vorübergegangen. Darum hatte ihn Gott in
der
letzten Stunde verlassen.
Ein
Symbol gab es; da versammelten sich die Weiber immer, oder sie gingen
auch nur
an ihm vorüber und sogen aus ihm eine neue Kraft, wie die Schlangen,
die manchmal
in ihre geheimnisvollen, unterirdischen Städte zurückkehren, um sich
neue Gifte
zu holen.
Und
dieses Symbol hing da, die Straße hinunter, zwei Straßen weiter, in
seinem
Tempel, und alles andere, was da noch aufgehängt war, war nur da, um
das Zeichen
zu verstecken und den Männern das Geheimnis zu verbergen. Ja, ja, darum
lachten
die Frauen auch immer so, wenn sie ihre Regenschirme in der Garderobe
abgaben,
Gott hatte es ihm selber gesagt.
Das
erstemal hatte er sie in den Stunden des Vormittags besucht, wo sie von
den
vielen umringt war, die alle ihre Herzen auf dem Altar der Teufelin
opfern
wollten. Da konnte sie auf ihn nicht so aufpassen, ihren Feind nicht
gleich
herauskennen. Und so konnte er sich langsam an ihre Augen gewöhnen.
Jeden Tag
blieb er etwas länger, jeden
Tag wurde er geduldiger und kräftigte sich mehr für den letzten Kampf
mit dem
Drachen, gleich jenem Mithridates, der täglich größere Dosen der Gifte
nahm, um
sein Blut abzuhärten.
Im
Anfang hatte er noch die mannigfachen Schutzmittel gegen den bösen
Blick
angewendet, daß er beim Betreten des Saales den Daumen der linken Hand
durch
Zeige- und Mittelfinger steckte oder daß er einen silbernen Phallus bei
sich
trug. Aber allmählich konnte er ihrer entbehren und dem Weib ohne
Gefahr in die
Augen schauen.
Und
eines Tages hatte sie gemerkt, wen sie vor sich hatte. Über ihr Gesicht
war es
plötzlich gelaufen wie der weiße Schatten der Erkenntnis. Einen
Augenblick
hatte sie
sich abgewendet, aber dann hatte sie den Kampf mit ihm aufgenommen.
Durch alle
die Menschen hindurch hatte sie nur ihn angesehen in seiner Ecke. Ihre
Augen waren
sich im Raume begegnet wie zwei Dolche, die ineinanderfahren, oder wie
zwei
große Schlünde eines leeren Weltalls, die einander auffressen wollen.
Wer wird
den andern
verschlingen, welche Ewigkeit wird größer sein, die andere zu
verzehren?
Wer
hier siegte, hatte den letzten Sieg erfochten, er hatte keinen Feind
mehr, und
rings um den Sieger waren entweder die unermeßliche Helle des Lichtes
und die
Choräle der Sonnen oder schwarze Himmel voll trostlosem Schweigen und
über
Haufen von Särgen der schwarze Thron Belials und die riesigen Fahnen
der Hölle.
Und
so kämpfte er im vollen Saale die erste Schlacht, den ersten stummen
Kampf,
niemand sah ihn, niemand beachtete ihn, niemand bewunderte ihn. Von
diesen
erbärmlichen Narren wußte niemand, was hier getan wurde, was hier
geschah und
welche Schicksale der Menschheit auf diesem furchtbaren blutlosen
Schlachtfelde
entschieden wurden. Hätte er Zeit gehabt im Kampfe, er hätte sie alle
zum
Tempel hinausgetrieben, diese Wucherer und Götzendiener. Aber er durfte
sich
nicht fortwenden.
Die
Augen begannen ihn zu schmerzen, er sah das Weib nur noch wie durch ein
rotes
Feuer, ihm war, als sollte er umsinken. Er mußte sich auf einen Stuhl
stützen,
aber er hielt
aus.
Und
langsam kam ihm das Gefühl, daß er siegen würde. Ihre Augen waren nicht
mehr so
hart, nicht mehr so groß, nicht mehr so siegesgewiß. Es ging wie ein
Schatten
über ihre Stirn, und er sah, wie sie müde wurde und langsam nachließ.
Sie
schien allmählich aus dem Vordergrunde zu verschwinden, ihre Umrisse
wurden
dunkel, ihr Gesicht wurde kleiner. Und es war ihm, als tauchte sie in
die
geheimnisvolle Landschaft hinter ihr zurück wie in den Schleier eines
grünen
und stillen Wassers.
Und
auf einmal war sie nur die gewöhnliche Monna Lisa Gioconda, an der
täglich die
Horden der Engländer und Amerikaner wie eine Herde Schweine
vorübergetrieben wurden.
Die
erste Schlacht des himmlischen Krieges war gewonnen. Er fiel in einen
Sessel.
Später
im Fortgehen drehte er sich von der Tür aus noch einmal nach ihr um.
Ihre Augen
begegneten sich ein letztes Mal, und er fing einen Blick auf, der
spöttisch sein
sollte, aber nur wie eine dünne Schicht über Meeren der Wut stand. Und
noch
einmal zwang er sie und scheuchte sie zurück in ihre felsige Einöde.
Als er
durch die Tür ging, wußte er, daß sie ihm nachsah, und er hatte das
Gefühl, als
ob ein Meuchelmörder hinter seinem Rücken stände. Aber er stach nicht
zu, er
hatte den Mut verloren.
Er
war draußen im Glanz der Straßen, und er mußte an sich halten, sonst
hätte er
getanzt und gesungen und seine Glückseligkeit in die dämmernde Hitze
des
Himmels geschrien.
Am
Nachmittag belustigte er sich damit, aus seinem Fenster zu liegen und
den
Menschen unten zuzusehen. Dabei aß er eine Tüte Pflaumen und warf die
Kerne
nach den
winzigen Köpfen der Leute. Wenn sie wüßten, dachte er dabei, diese
verdammten
Spießbürger, wenn diese Idioten doch wüßten, und sein struppiger
Vollbart wurde
von einem lauten Lachen geschüttelt.
Von
da an begann er seine Feindin auch in Stunden zu besuchen, wo es leer
im Louvre
war, wenn die Bilder aus dem Schlafe des Tages erwachen, gegen Abend,
in den
geheimnisvollen Stunden, wo das Licht den Nachmittag verläßt und in dem
Halbdunkel der verlassenen Säle jeder Kopf in dem Gefängnis seines
Rahmens
tiefer und fremder wird.
Er
hatte die Gewohnheit angenommen, sie von fern zu belauschen, wenn sie
sich
unbeobachtet glaubte, und dann erst pflegte er vorzutreten.
Niemals
war sie so schön, als wenn die Feuer der untergehenden Sonne im Staube
des
Zimmers zitternd auf ihrer Stirn lagen und ihre dunklen Haare zu
leuchten
begannen wie von eigenem Licht. Dann schien sie aus dem dunklen
Hintergrunde
herauszuwachsen. Fleisch zu werden und sich in dem Lichte ihrer eigenen
Schamlosigkeit zu sonnen. Vielleicht war das gerade die Stunde gewesen,
in der
die Seele
jenes verworfenen Künstlers dereinst dem Teufel offen gestanden hatte,
sie zu
empfangen. Denn auf ihrem Gesicht lag es manchmal wie die Erinnerung an
eine
ferne, entlegene Stunde voll geheimnisvoller Wollust.
Ja,
jeder andere wäre auf sie hineingefallen, und manchmal wäre auch er
schwach
geworden, aber dann rief er im Geiste zu dem Herrn, und der Herr füllte
sein
Herz mit
Haß und himmlischem Zorne.
Und
dann trat er vor. Er fühlte ihr Erschrecken, er sah, wie ihr kalt wurde
und wie
der Widerwillen vor ihm auf ihre Stirn trat. Und dann begann wieder der
Kampf.
Lautlos
und stumm, Tag um Tag. Manchmal glaubte er schon, sie so weit zu haben,
daß sie
den Kampf gar nicht mehr aufzunehmen wagte. Sie hing dann in ihrem
Rahmen wie
ein gewöhnliches Bild, ihre Augen waren ohne Licht, über ihr lag es wie
ein
tiefer Dunst von Wehmut und Reue. Dann hatte er Mitleid mit ihr, er
quälte sie
nicht mehr. Er betrachtete sie dann mit den Augen eines Arztes, der
gekommen
war, sie zu retten. Man würde einen großen Schnitt machen müssen, ohne
Zweifel
eine Operation auf Tod und Leben, man würde sie blenden müssen, aber
wenn sie
dabei draufging, vielleicht fand sie Gnade vor Gott; man mußte sie
wenigstens
zur Buße zwingen, denn es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder,
der Buße
tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Aber
auf einmal lachte sie wieder, und er mußte sehen, daß sie ihn nur
verhöhnt hatte,
daß alles nur freche Verstellung gewesen war.
Die
Wärter achteten nicht mehr auf ihn.
Sie
machten über den Verrückten Witze, und sonst kümmerten sie sich nicht
sonderlich um ihn. Er begrüßte sie immer sehr höflich, und ab und zu
bekamen
sie ein gutes Trinkgeld, wenn er länger bleiben wollte, als es das
Reglement
zuließ. Dann ließ ihn einer der Wärter zu einer Hintertür hinaus.
Im
August gab es mehrere Selbstmorde junger Leute. Die Zeitungen gaben in
allen
Fällen Liebeskummer als Motiv an. Offenbar hatte Gott das gelesen. Denn
er nahm das
zum Anlaß, energischer vorzugehen.
Der
Engel, der die himmlischen Botschaften zu vermitteln pflegte, hatte ihm
seit
mehreren Tagen schon angedeutet, daß die Stunde der Tat nahe sei, und
heute
sagte er
ihm, daß der 17. August von dem himmlischen Rat festgesetzt sei.
Er
war einen Tag lang nicht hingegangen, um sie unruhig zu machen, um
durch den
Stoß, den er gegen ihre Gewohnheit führte, ihre Gedanken zu verwirren.
Er befolgte
eine gute Taktik, wenigstens versuchte er, sich das einzureden. In
Wirklichkeit
war mit einem Male über ihn die Angst hergefallen, nachdem ihm der
Engel die
Botschaft gebracht
hatte. Er war aus seiner Wohnung fortgelaufen, um unter Menschen zu
kommen, er
wollte sich vor Gott verstecken. Aber Gott war hinter ihm her. Überall
sah
er ihn zwischen den Omnibussen, unter den Menschen. Überall, wo er
hinlief, auf
den Schildern der Häuser, auf den Straßenbahnen, fortwährend traf er
die Zahl
17, gerade die, die er so gern aus allen Zahlen herausgestrichen hätte.
Er war
sicher, wenn er die Augen hob, er würde eine 17 sehen, und er sah sie.
Er
hörte hinter sich ein paar abgerissene Worte eines Gespräches: ,,Wenn
der Trompeter
aus dem Tore heraustritt“ "aber das wäre ja schon morgen", "ach ja,
morgen ist
ja der 17."
Damit
war es entschieden. Der liebe Gott schickte seine Polizisten ihm
überall nach,
er würde ihm doch nicht entgehen können. Die Worte fielen ihm ein:
"Und käme ich
ans äußerste Meer, so wärest du doch da." Ja, man konnte sich vor
Gottes Angesicht
nirgends verstecken, es sei denn, man kröche in die feurige Kehle
Satans.
Das
mit der Trompete war deutlich eine Anspielung auf das Jüngste Gericht
und die
Strafe, die seinem Ungehorsam bestimmt war. Und er kehrte um und ergab
sich seinem
Schicksal.
Den
Nachmittag, die Nacht und den Morgen verbrachte er in Gebeten. Er lag
vor Gott
im Staube, er demütigte sich, er riß seine ganze Seele auseinander und
ließ
Gott hineinströmen
wie einen Rauch, wie ein Fluidum. Um Mitternacht erlosch seine Lampe.
Er betete
im Dunkel weiter. Und auf den Spitzen seiner Hände, die er im Dunkel
schwang, erglänzte ein schwaches blaues Licht wie ein Sankt Elmsfeuer,
als
führe die Kraft Gottes wie ein Strom in ihn hinein, ihn mit Entzücken
zu
erfüllen.
Wie
ein Krieger schwoll er vor Stärke, er hätte eine ganze Stadt
hypnotisieren
können, er hätte die nächtlichen Horizonte vor sich auf ihre schwarzen
Knie
zwingen können,
und den dunkeln Ozean hätte er wie einen riesigen stürmenden Mantel
hinter sich
hergezogen, wenn er von hier gegangen wäre.
Je
mehr er sich Gott unterwarf, um so feuriger wurde sein Verlangen, sich
mit den
Fürsten der Hölle, den Beelzebub und riesigen Leviatanen des Abgrundes
zu
messen.
Denn
natürlich, auch sie trafen ihre Vorbereitungen.
Vielleicht
lauerten sie schon zu Hunderttausenden hinter dem Bilde, vielleicht
hatten sie
durch die rätselhaften Berge in dem Rücken der Göttin ungeheuere
Stollen
heraufgebohrt, in denen sie saßen in feurigen Harnischen, über ihn
herzufallen,
wenn er das Bild anfassen wollte. Dann würden die Heerscharen der Hölle
mit
Geschrei, Gestank, Nacht und Flammen hervorbrechen, die Kohorten des
Satans, die
kamen, ihn, das Louvre, Paris, Frankreich, die Welt, alles zu
verbrennen und zu
verschlingen.
Und
morgen um diese Zeit würde hier vielleicht wieder das Chaos sein,
sternlose
Himmel, und ein großer gesättigter Drache würde auf der Spitze seines
Schwanzes über
den Flammen tanzen.
Und
nun war die Stunde gekommen.
Es
gab keinen Weg mehr zurück.
Gott
hatte gesprochen.
Er
stand unten an der Tür, seine Knie zitterten so furchtbar, er war so
wenig Herr
seiner Nerven, daß er sich an die Mauer lehnen mußte.
Um
alles noch einmal zu überdenken, um sich zu beruhigen, wollte er erst
noch
etwas Spazierengehen. Und so verlor er sich durch ein paar Straßen voll
Menschen. Aber es gelang ihm nicht, unterzutauchen. Denn in ihrer
Fülle, in
ihrer Ziellosigkeit und Vergänglichkeit strahlte seine Größe und
Einsamkeit
immer heraus gleich dem Feuer einer ewigen Lampe oder gleich dem
Schritt eines unsichtbaren
Gottes, der durch die Straßen der Städte wandert. Manche Leute sahen
ihn an.
Sie schienen sich über ihn zu wundern. Aber er hatte seine Augen unter
einer
großen Brille verborgen, um ihren Glanz nicht zu verraten. Seine Lippen
bewegten sich in Gebeten. Die ausgefransten Schöße seines schwarzen
Rockes
flogen hinter ihm her, und sein großer Hut rutschte ihm bei jedem
Schritt mehr
in die Stirn. Als er einen Straßendamm kreuzte, sah ihm ein Schutzmann
nach.
Unten
an der Seine schon sollte die Schlacht beginnen, denn die Hölle hatte
ihre
Vorposten weit vorgeschoben. Ein Mann sägte Äste von einem Baume ab,
einer fiel
ihm gerade auf den Kopf. Er sah hinauf, und da sah er den ganzen Himmel
mit
Dämonen erfüllt. Hundert und aber Hundert reitend auf roten Wolken,
Teufel mit
einem großen Horn auf der Stirn, andere mit Posaunen, gewaltige Rosse
bäumten
sich in den Himmel, riesige Lanzen wurden geschwungen, und ein
gewaltiger
Schrei erfüllte den nordwestlichen Himmel weit über das Dach des Louvre
hinaus.
Das Blut schwand ihm aus dem Gesicht. Trotz der Hitze des Nachmittags
überfiel
seinen Leib eine schreckliche Kälte. Seine Adern waren wie
verschrumpfte
Wurzeln, und sein Gehirn drehte sich wie ein Kreisel in der Enge seines
Schädels herum.
In
seiner Angst begann er laut zu beten. Ein paar Kinder, die auf der
Straße
spielten, liefen hinter ihm her. Er versuchte, seine Selbstbeherrschung
zurückzugewinnen, trat an eine Selterbude, verlangte eine Limonade.
Dann setzte
er ruhig und gefaßt seinen Weg fort. Die Kinder verloren sich.
Das
war seine letzte Schwäche gewesen, von nun an war Gott bei ihm.
Er
trat in den Louvre ein mit seinem Paket unter dem Arm. Der Portier
begrüßte
ihn, er gab ihm ein Trinkgeld. Oben in den Sälen war es schon leer, und
nur das
bedrückende Schweigen all der Bilder war in den dämmernden Sälen wie
von
Leuten, die über jemand gesprochen haben. Er kam heran, sie wurden
plötzlich
stumm. Aber die bösen Gespräche dieser niederen Teufel, dieser Schatten
und
Toten schienen noch in dem Raum zu schwingen und in seinen Ohren
fortzuklingen.
Ein
Wärter schlief auf einem Stuhl im Zwielicht. Als er Schritte hörte,
erwachte
er; er sah nach der Uhr, es war Zeit, zu schließen.
Der
Irre trat zu ihm, gab ihm ein Fünffrankenstück und sagte ihm, er sollte
ihn in
zwei Stunden holen und ihn hinauslassen. Der Wärter nahm das Trinkgeld
und ging laut
gähnend davon.
Nun
war er ganz allein, ein Einsamer auf den entlegensten Vorgebirgen des
Lebens,
unter den Schrecken der letzten und unsichtbaren Geheimnisse. All die
toten Augen der
Menschen entschwundener Jahrhunderte sahen ihn hochmütig aus dem Dunkel
ihrer
Rahmen an, als er an ihnen vorüberging. Und hinten hörte er immer ein
Rascheln und
Wispern, als warteten sie nur, bis er vorbei wäre, um sich über ihn
lustig zu
machen. In allen Ecken schien jemand auf ihn zu warten, etwas Großes
und
Dunkles, und wenn er herankam, ging es davon, ihm voraus. Er hörte
einen
Schritt hinter sich, was war das? Er blieb stehen. Die Schritte
verstummten. Er
ging weiter, es war wieder da. Plötzlich merkte er, daß es nur der
ferne
Widerhall seiner eigenen Schritte gewesen war.
Es
wurde dunkler, am Himmel schien ein Gewitter heraufzuziehen. Ein
gewaltiges
Brausen erfüllte draußen die Luft. Und vor einem der Fenster trieb oben
ein
Haufe Blätter
und Staub vorbei. Fern irgendwo in den Sälen erhob sich ein Säuseln,
der Wind
hatte sich irgendwo hereingefunden, es war wie ein Wimmern, und das
Blut in den
Adern erstarrte ihm vor Entsetzen.
Hinter
dem Eingang zu dem Zimmer der Gioconda stand ein großer Sessel. Er ließ
sich
auf die Hände hinunter, und so kroch er auf allen vieren wie ein Tier
durch den
Vorraum, schnell durch die Tür, und verbarg sich hinter der breiten
Lehne des
Sessels.
Er
hatte allen Mut verloren, und die Furcht schüttelte ihn hin und her mit
ihrer
riesigen Faust. Am liebsten wäre er umgekehrt. Aber wenn er jetzt
schwach war,
fielen die Teufel sicher über ihn her, in zwei Sekunden war ihm der
Hals
umgedreht. Er blieb hier liegen wie ein ausgeleerter Sack, und die
Menschen
mußten wieder Jahrtausende auf die Erlösung warten. Er versuchte, zu
überlegen,
er wollte sich aus den Fingern der Angst befreien. Er gab sich Mühe,
sich zu
beherrschen. Er versuchte, an irgend etwas Gleichgültiges zu denken. Er
zählte
die Fransen des Sessels, er begann zu beten, und endlich, da niemand
kam,
begann sich seine Erregung zu verlieren. "Dein Wille geschehe" — sagte
er noch
einmal leise, und dann steckte er vorsichtig seinen Kopf hinter dem
Sessel
hervor.
Und
da hing sie.
Sie
sah ihn, sie blieb ruhig, sie erschrak nicht einmal. Sie war also schon
benachrichtigt, vielleicht hatte sie ihn schon hereinkriechen sehen.
In
dem Dunkel des wolkenverhangenen Himmels schien ihr Gesicht dreifach zu
leuchten vor Lüge und Bosheit. Woran lag es nur, daß sie so böse
aussah? Es war
doch kaum eine Falte in ihrem Gesicht. Doch war es schrecklicher
anzusehen, als
wenn es ganz von den Runzeln der Wut zerrissen gewesen wäre. Und
plötzlich
konnte er sie ganz ruhig betrachten. Er maß sie ab von ihrer reinen
Stirn, die
unter einem Heiligenschein zu leuchten schien, bis herab an ihre Hände,
die von
jedem Laster der Unzucht, von jedem Verrat, vom Spiel mit spitzigen
Dolchen und
vom Mischen weißer, unschuldiger Gifte wußten. Er untersuchte ihr
Gesicht. Er
wollte heraushaben, wo eigentlich ihre Gemeinheit saß, aber er bekam
keine
Antwort.
Er
erhob sich hinter seinem Sessel und wartete. Ihm war, als zitterten
ihre Lippen
von leisen Worten gleich Schmetterlingen über einer abendlichen Wiese.
Teufel,
sie war sehr schön in ihrer Verworfenheit.
War
sie stumm, sprach sie? Oh, er hätte sich bessere Ohren gewünscht, um
alle ihre
Gemeinheiten erfahren zu können, und sie dann mit doppelter
Gerechtigkeit zu
verdammen.
Welche
Weisheiten des Abgrundes, welche Gedanken der Hölle mochten hinter
ihrer Stirn
wohnen. In welche Tiefen hätte man geschaut, wenn man die silberne
Pforte dieser
Schläfe aufgestoßen hätte. O Gott.
Und
die Stille ließ das Blut in seinem Kopfe brausen, er hörte es wie ein
unterirdisches Wasser an seinen Ohren vorbeirauschen in der weiten
Stille
dieser Säle, in der vielleicht noch einige Worte aus jenem Munde
verzitterten,
wie Tropfen, die in ein silbernes Becken gefallen sind.
Ein
Schatten lief über ihr Gesicht wie eine Trauer. Ihr Mund schien sich zu
schließen, und sie schwieg.
Aber
das Schweigen, das von ihr ausging, war wie ein ewiger Gang, wie das
Brausen
ferner blauer und unermeßlicher Meere.
Der
Sturm draußen war vorüber. Nur ab und zu ging noch ein verlorener
Windstoß in
den hohen Bäumen. Die Abendsonne warf eine feurige Fackel herein, und
die
tiefen lombardischen
Farben des Bildnisses belebten sich in Purpur, das Gewand rauschte und
flammte
auf, das rote Licht ging über ihr Gesicht herauf und verfing sich in
den
goldigen Netzen ihres leisen Gelächters. Und langsam schien sie sich in
der
Dämmerung aufzulösen wie ein Duft, wie ein Hauch, die Berge hinter ihr,
ihre
Stirn, ihre Haare, alles wollte langsam in blauen Schatten vergehen,
aber ihr Lächeln
blieb schwimmend im Licht, leise wie der silberne Schall einer
höllischen Harfe,
ihr Lächeln wie der tiefe und goldene Abglanz der Küsse Arimans, das
große
Insiegel Satans,
das das Feuer seiner Umarmungen für ewig in ihre Lippen gegraben hatte.
Und
nun mußte sie untergehen. Ja, sie mußte, es war ihm befohlen. Und
schließlich
durfte er Gott nicht trotzen. Denn Gott hatte ja keinen andern als ihn.
Sie
mußte zerschmettert werden. Ja, Teufel, sie war sehr schön. Es half
alles
nichts, ihre Stunde hatte geschlagen. Und die letzte Schlacht mußte
beginnen.
Er
drehte sich um, kniete sich auf die Erde, holte seine Bibel hervor und
las noch
einmal die Worte der Apokalypse:
„Und
ich sähe das Weib sitzen auf einem rosinfarbenen Tiere, das war voll
Namen der
Lästerung, und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.
Und
das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosinfarbe, und übergoldet mit
Golde
und Edelgesteinen und Perlen, und hatte einen goldenen Becher in der
Hand voll
Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei."
Ja,
voll Greuels . . .
Seine
haarige graue Mähne war über sein Gesicht gefallen, seine Brille war
ihm über
seine graue Nase gerutscht, und, wie er da kniete, glich er einem
uralten
Affen, der am Ende seiner dunklen Höhle über seinem Fräße hockt.
Und
er las weiter das sechste Kapitel des Briefes an die Hebräer, am
vierten Verse:
"Denn
es ist unmöglich, daß die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt
haben die
himmlische Gabe, und teilhaftig geworden sind des heiligen Geistes, und
geschmeckt haben
das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie
abfallen und
wiederum ihn selbst, den Sohn Gottes, kreuzigen, und für Spott halten,
daß sie
sollten wiederum erneuet werden zur Buße."
Ja,
wenn er abfiel, wenn er, der den Himmel offen gesehen hatte, Gott den
Gehorsam
aufsagte, so machte er sich selbst zum Spott und kreuzigte sich selbst,
sich,
den wahren Messias und Boten Gottes. Und er kam unten zu liegen, in den
tiefsten Abgrund und die Eingeweide der Hölle. Da gab es doch keine
Wahl.
Er
versteckte das Buch, stand auf, ging noch einmal durch alle Säle, alles
war
leer.
Er
ging zurück, stellte sich noch einmal hinter seinen Sessel, sammelte
noch
einmal alle seine Kraft.
Würde
er siegen, würde er zerrissen werden? Aber er war ruhig, er hatte keine
Furcht
mehr. Mochte sie schon über ihn herfallen und ihn zerreißen. Er
verbeugte sich noch
einmal nach dem oberen Fenster vor Gott, er befahl ihm seine Seele,
dann ging
er langsam vorwärts, bei jedem Schritte laut den Beistand des Himmels
herabrufend.
Er
kam bis nahe an das Bild. Niemand rührte sich. Er sah sich nach allen
Seiten
um. Nur im Dunkel der Dämmerung eines Winkels schien es zu schwanken
wie ein riesiger
formloser Schatten.
Er
wagte noch nicht, sie zu berühren. Aber er stand ihr dicht gegenüber
und sah
sie an. Er tauchte seine Augen zur letzten Schlacht in die ihren. Und
sie antwortete.
Die Hölle hatte die Herausforderung angenommen.
Und
da standen sie sich gegenüber, der Irre und das Weib, ein zerrissener
Sturm und
eine ewige Stille.
Sein
Gesicht war dunkel wie eine sterbende Kerze, aber über der Stirn des
Weibes
stand es wie die fahle Morgendämmerung einer zeitlosen Ewigkeit. Und
während
sich sein
Gesicht fortwährend zu verändern schien, selbst in der Starre des
Krampfes, wie
ein wolkenschwangerer Himmel über einem stürmischen Meer, war das ihre
wie ein
Brunnen, darüber viele Schatten und Bilder ziehen, aber das Wasser
bleibt ewig
in Ruhe.
Es
kam nichts. Niemand kam. Und die Zeit ging dahin. Endlich mußte etwas
getan
werden, sonst war es zu spät. Man mußte endlich das letzte tun, sie
anfassen.
Und in der
nächsten Sekunde mochte das Dunkel kommen und die Erde aufstehen und
der Himmel
einbrechen, Nachtgeschrei, Feuer und Lärm, und der Ozean wie ein
rasender Sturm
über den Abend hinaufsteigen und die Lichter der Sterne verlöschen.
Vielleicht
hielten sie schon ihre Hand über ihn. Und er sah noch einmal verstohlen
hinauf.
Dann
bewegte er seine linke Hand mit gespreizten Fingern
langsam gegen das Bild vor, während er die Rechte zum
Kampfe geballt hielt.
Er
berührte ihre Hände, nichts rührte sich. Er faßte ihren Kopf an,
nichts, gar
nichts.
Er
berührte sie auch mit der rechten Hand, niemand rührte sich, alles
blieb still,
alles blieb dunkel.
Da
faßte er das Bild an dem Rahmen, hob es aus den Scharnieren, legte es
auf den
Boden, umwickelte es mit dem Papier des Paketes, das er mitgebracht
hatte, und
nun sah
es so aus wie das Paket selbst. Einen Augenblick lehnte er sich gegen
die Wand.
Dann nahm er das Bild unter den Arm und ging hinunter. Der Wärter
schloß ihm
auf, sie wünschten sich einen guten Abend, und er verschwand in die
Nacht.
Am
nächsten Morgen wußten schon alle Zeitungen vom Diebstahl der Monna
Lisa
Gioconda.
Man
nahm sofort die Wärter ins Gebet, aber sie hüteten sich
natürlich, ihre eigene Nachlässigkeit zu verraten. Sie hatten
einfach nichts gesehen, sie wußten gar nichts.
Hunderte
von Protokollen wurden aufgenommen, ganze Scharen armseliger Strolche
wurden
auf allen Landstraßen Frankreichs aufgegriffen und peinlichen Verhören
unterzogen. Riesige Schwärme von Detektivs nisteten auf jedem
Ozeandampfer,
Hunderttausende von Polizisten liefen hinter hunderttausend
verschiedenen
Spuren her. Alle Mörder und Diebe hatten gute Tage, und alle
Kunsthistoriker
begannen in rasendem Tempo zu verdienen. Ganz Paris geriet in einen
wilden
Taumel, und jeder Vorstadtbudiker mußte ein Bild der Monna Lisa über
seinem
Bette haben. —
Eine
florentinische Frühlingsnacht. Über den runden und dunklen etrurischen
Bergen
unten am schwarzen Himmel zitterte ein sanftes Licht wie eine
Dämmerung.
Und
der Mond ging über ihnen herauf.
Plötzlich
lagen alle Straßen, die von den Bergen herunterkamen, in seinem weißen
Licht,
und alle Dächer und Türme der Stadt unter ihm tauchten aus der Nacht,
aufgelöst, ohne Umrisse, wie die Städte eines träumerischen
Königreiches. Die
silbernen Vierecke des Flusses lagen glänzend zwischen dem Dunkel der
Brücken.
Er
drehte sich um, da hing ein Strahl des Mondes in ihren Augen wie ein
goldener
Tropfen.
Sie
war undeutlich zu sehen, der Schatten des Vorhanges bewegte sich über
ihrem
Gesicht. Nur ein Streifen vom Kinn bis zu der Stirn war frei und
leuchtete im
Mondlicht. Vielleicht weinte sie?
Ach
wenn sie geweint hätte, nur einen einzigen Tropfen, eine einzige Träne
der
Reue.
Er
riß den Vorhang ganz vom Fenster zurück, ehe sie auf seine Bewegungen
achtgeben
konnte. Er hatte schon richtig vermutet, ihr fiel gar nicht ein, zu
weinen. Auf
diese Stirn voll Laster wagte sich kein Gedanke der Reue herauf. Sie
blühte
noch immer in ihrer Frechheit, die erst die Hand des Todes von ihrem
Munde herunterjagen
würde.
Sie
hatte sich um nichts gebessert, seitdem er sie hier eingesperrt hatte,
sie war
nur noch böser geworden, diese Hure da. Vielleicht war der Satan jede
Nacht bei
ihr gewesen, während er durch die halbe Welt geflohen war, um seine
Liebe zu
ihr zu vergessen.
Wieviel
verweinte Nächte, Teufel, Monna Lisa Gioconda, Gott.
Als
er nach Florenz gekommen war, hatte er dieses kleine Haus über der
Stadt
gemietet. Und gleich in der ersten Nacht hatte er sie umbringen wollen.
Ja,
damals vor
drei Jahren, da war er noch stark gewesen. Ach ja, und jetzt? Alle
Leute auf
der Straße lachten ihm ins Gesicht.
Er
hatte schon einmal das Messer an ihren Augen gehabt, aber er hatte
nicht
zustoßen können. Denn eine bittere Erkenntnis hatte ihn schwach
gemacht, er
hatte plötzlich
gewußt, daß er sie liebte. O mein Herrgott, das war das Furchtbarste,
diese
verzweifelten Kämpfe, die damals begonnen hatten, wochenlang. In jeder
Nacht,
wenn er ihre Augen nicht zu fürchten hatte, hatte die Spitze des
Messers über
ihrem Gesicht gestanden, aber jedesmal hatte er seinen Arm wieder
sinken
lassen, und dort in dem Winkel hat er dann immer gesessen, in sich
gekrochen wie
ein geprügelter Hund, und er hatte nicht mehr gewagt, sie anzuschauen.
Eines
Tages hatte er sie hier versteckt und eingeschlossen. Und dann war er
fort, wer
weiß durch wie viele Städte vom Orkan seiner Liebe immer herumgejagt um
Florenz, durch Spanien, Tunis, Griechenland, über die Alpen fort, immer
im
Kreise wie ein kleiner Komet, der sich nicht mehr aus der Sphäre einer
übermächtigen Sonne herausreißen kann. Endlich konnte er nicht mehr.
Gott hatte
ihn verlassen. Und nun lag er hier wie ein Wrack vom Sturm auf die
Riffe
geworfen.
Gott
war fort. Vielleicht war Gott gestorben und war irgendwo im Himmel
beerdigt.
Auf seinem Stuhl saßen jetzt vielleicht ganz andere Götter.
Nur
einen letzten Versuch wollte er noch machen, denn er wollte keine
Geliebte, die
sich heute dem und morgen dem anhängt. Wenn sie ihre Falschheit lassen
wollte, wenn
sie aufhören wollte zu lachen, gut, er wollte sich um diesen Preis auf
der
Stelle dem Teufel verschreiben, und eine Ewigkeit der Hölle immer zu
ihren
Füßen sitzen wie ein kleiner Dämon oder wie ein kleiner geflügelter
Schmetterling ewig über den riesigen Gärten ihres Halses.
Der
Mond kam ganz in die Stube.
Alle
Gegenstände rückten zurück und schrumpften ein in seinem blauen Licht.
Aber
das Gesicht der Monna Lisa wurde weit wie ein See.
Er
ging auf sie zu und sagte: "Ich will dir verzeihen, ich will dich
lieben, aber
du mußt nicht mehr lachen." Und um ihr Zeit zu lassen, ihr Gesicht zu
verändern, drehte er sich um.
Auf
einem Stuhle sah er seine Bibel. Er warf sie heraus aus dem Fenster und
er
hörte, wie sie unten aufklatschte. Dann ging er ans Fenster und
streckte gegen
Gott seinemZunge
heraus.
Als
er sich wieder zu ihr kehrte, war es noch um kein Haar besser. Er
beschloß, stärkere
Mittel anzuwenden, denn vor dem Eigensinn einer Frau durfte er sich
nicht schwach
zeigen.
Und
auf einmal erkannte er, auf dem Munde eines Mannes war dieses Lachen
eine
Blasphemie, eine Unmöglichkeit.
Ach
er verachtete sie, aber er liebte sie. Und er verachtete sich selber,
daß er
sie liebte, diese Hure, die es verstanden hatte, ihn, den Heiligen
Gottes, in
den Schlamm
herunterzuziehen.
Aber
nun war alles ganz egal, er liebte sie eben, und dagegen war nichts
mehr zu
machen. Aber das Lachen mußte weg, dieses verfluchte Gelächter, das war
ja
schon nicht mehr zum Aushalten. Und er begann seine Beschwörung.
Wie
ein Satan sprang er gegen das Bild vor, drei Sätze vor und drei Sätze
zurück,
seine Arme ruderten in der Luft, seine gekrümmten Hände standen wie ein
paar
Schnäbel über seinem Kopfe, und seine langen und verwüsteten Haare
tanzten auf
seinen dünnen Schultern. Bei jedem Sprunge knickte er etwas mit seinen
Knien
zusammen, und sein großer schwarzer Schatten tanzte neben ihm her an
der Wand
immer, drei Sätze vor und drei Sätze zurück, wie ein riesiges Känguruh.
Aber
es half nichts.
So,
dachte er endlich, du willst nicht, na, ich werde dir schon auf die
Beine
helfen. Du denkst wohl, ich bin dein Idiot. Na, ich werde dir die Sache
schon
beibringen.
Er
zündete das Licht vor ihr an und hielt es ihr unter die Nase, um sie
ein
bißchen zu kitzeln. Vielleicht würde sie nun endlich einmal schreien.
Und sie
schien auch ihr Gesicht
etwas zu verziehen, aber nur, als wenn sie ihre Lippen zu einem
doppelten Grinsen
auseinander zöge, das seine vergebliche Anstrengung nur noch mehr
verhöhnte.
Auf
einmal warf er das Licht wieder fort. Was habe ich getan, dachte er,
und er
fiel vor ihr auf die Knie, er weinte vor ihr, und das Schluchzen
schüttelte
seine Schultern hin und her.
Und
da auf einmal hörte er sie ganz laut lachen.
Und
das verträgt kein Mann.
Seine
ganze Liebe war weg. Er war plötzlich wie ein Stein. Er stand auf,
suchte sich
das Licht wieder hervor, und die kleine Flamme mit der Hand schützend,
stieg er die
Treppe herunter. Der Widerschein lief über sein Gesicht, es war rot und
starr.
In
der Küche unten suchte er sich ein großes Messer lang und breit, so ein
richtiges zum Fleischschneiden. Und dann ging er wieder hinauf. Als er
in die
Tür der Bodenkammer trat, hielt er die Kerze hoch in der Hand und ließ
den
Schein über ihr Gesicht hinlaufen.
Mit
Bedacht suchte er sich eine Stelle, wo er ansetzen konnte. Die Augen
waren das
Böseste, sicher. Man konnte ja auch das Herz nehmen, sie gleich töten,
aber das
war nicht
genug Rache.
Er
trat an sie heran und setzte die Spitze des Messers auf den inneren
Winkel des
rechten Auges, stach das Messer etwas herein und begann das Auge
herauszuschneiden.
Er hatte dabei zu tun, denn die alte Leinwand war hart und steif.
Schließlich
hing es nur noch an einem Faden. Er riß es heraus und trat es mit dem
Fuße aus,
als es noch zitterte.
Mit
dem linken Auge tat er ebenso, aber es war noch fester, es wollte nicht
mit, als
er es herausriß. Und als er es endlich losbekam, hing noch ein großer
Fetzen
der Stirn daran.
Damit
war es aber noch nicht ganz getan. Jetzt kam der Mund an die Reihe. Er
konnte
es sich nicht versagen, ihn noch einmal zu streicheln, einmal noch
leise mit
dem Zeigefinger über diese Lippen zu fahren.
Dann,
da wo das Lachen am bösesten saß, an dem rechten Mundwinkel, stach er
herein.
Er
schnitt den Mund oben und unten bis zur Mitte fort und hob den Fetzen
heraus.
Und dann ging er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk wie
ein Künstler.
Er mußte lachen, zum erstenmal seit einer Ewigkeit. Er machte sich mit
dem
Schneiden keine Arbeit mehr, er packte den Lappen mit der Faust an und
riß ihn
heraus, quer über das ganze Gesicht, während er sich vor Lachen den
Bauch
hielt.
Er
war fürchterlich anzuschauen, dieser Kopf, aus dem plötzlich der Tod
von innen
heraus gebrochen war wie ein Gefangener aus seinem Loche. Der Kopf mit
diesen ungeheuren
Augenhöhlen, wie mehrere Fenster, hinter denen das Dunkel saß. Und
dieser
große, leere Mund, der wirklich nicht mehr lächelte, aber sich zu dem
furchtbaren Lachen des Todes auseinandergezerrt hatte, einem Lachen
unhörbar und
doch laut, unsichtbar und doch da, alt und dunkel wie die Jahrtausende.
Und
plötzlich konnte er, als er seine Tat übersah, das Wesen der Dinge
erkennen,
und er wußte, daß nichts war, kein Leben, kein Sein, keine Welt,
nichts, nur
ein großer schwarzer
Schatten um ihn herum. Und er war ganz allein oben auf einem Felsen.
Und wenn
er nur einen Schritt tat, sank er herunter in den ewigen Abgrund.
Eine
furchtbare Müdigkeit kam über ihn. Es war ja auch nichts mehr zu tun.
In einem
Winkel hockte er sich zusammen unter einer Bodenluke, wie ein schwarzes
Tier in
dem Viereck des blauen Mondlichtes.
Er
war eingeschlafen. Und wie er da saß gegen die Wand gelehnt, den Kopf
zwischen
den Knien herunterhängend und die langen Arme schlapp auf der Erde, als
wollten
sie
von ihm fortfließen, war er wie ein großer schwarzer Haufen
zusammengefallener
Asche, die der letzte Rest der Glut verlassen hat.
Das
Licht, das er fortgeworfen hatte, war auf ein paar Lumpen gefallen, die
langsam
ins Glimmen kamen. Es dauerte eine Weile, dann hatte sich der Funken
einen Weg bis
zu einem Haufen Stroh gefressen. Ein Wind kam herein, und eine kleine
rote
Feuerschlange ringelte aus den trockenen Halmen.
Nach
einiger Zeit wieder sahen auf der Straße einige Betrunkene, die sich
verirrt
hatten, wie ein großer roter Feuerdrache oben auf dem Dache saß und mit
seinen riesigen
Flügeln auf den brennenden Sparren herumschlug.
Die
Sache nahm ihren Verlauf. Die Betrunkenen begannen zu schreien, ein
paar
Fenster gingen auf, ein paar Nachtmützen flatterten heraus, ein paar
Haustüren
öffneten sich, und drei oder vier Gestalten rannten die Straße
herunter, nach
der gelben Lampe des Polizeibureaus.
Die
Straße wird voll Menschen, Lärm, Gezänk, Kindergeschrei, Polizisten,
alles
starrt herauf in das Feuer. Ein brennender Balken löst sich ab und
fällt
krachend herunter.
Erneutes
Geschrei. Man schafft ein paar Verwundete oder Tote fort.
Die
Feuerwehr kommt, die Spritzen fahren in das Feuer, und ein großer
gelber Dampf
steigt in die Nacht, wo die Wasser in die Flammen einschlagen. Eine
große
Leiter dreht sich wie ein Krahn in der Luft oben hinauf, wo der Kopf
des alten
Mannes aus der Bodenluke heraushängt.
Sie
legt gegen die Mauer an, und ein paar Feuerwehrleute mit großen Helmen
laufen
wie ein paar Affen die Sprossen herauf.
Als
sie beinahe oben sind, geht der Kopf zurück. Nun kann man sehen, wie
sie durch
die glühenden Dachsparren springen, hinter einem schwarzen Schatten
her, der
vor ihnen
flüchtet, immer hin und her durch die Glut und die Balken, wie ein paar
große
Teufel, die eine Maus jagen. Auf einmal verschwindet die wilde Jagd
nach hinten
in einer
rauchenden Wolke.
Als
die Feuerwehrleute durch Feuer und Qualm den alten Mann hinten in
seinem Winkel
fanden, kauerte er auf einem Bündel Sachen. Er hielt etwas Großes vor
sein Gesicht,
ein Gemälde, ohne Augen und Mund, aber die Augen des alten Mannes sahen
ihnen
aus den hohlen Ausschnitten entgegen, groß und wild aus seiner Maske
hervor, und
seine lange Zunge wippte aus dem leeren Munde des Bildes heraus.
Sie
wollten ihm das Bild fortnehmen, er hielt es fest. Sie wollten ihn
mitsamt dem
Bilde heraustragen, er stieß sie mit seinen Füßen in ihren Bauch.
Das
halbe Dach krachte zusammen, und die Leute waren schon am Ersticken.
Sie
versuchten noch einmal, ihn herauszuziehen, aber der Alte ließ das Bild
mit der
einen
Hand los, riß eine glühende Sparre mit großen glühenden Nägeln über
seinem
Kopfe heraus und schlug sie dem einen Feuerwehrmann über das Gesicht,
daß er
zusammenbrach.
Da
fiel das Entsetzen über die beiden andern, und sie ließen die beiden
liegen,
den Toten und den Verwundeten, und wollten zurück, heraus, da wo Luft
war. Sie
sprangen hinein in den Rauch, der ihnen entgegenschlug, aber sie fanden
den Weg
nicht mehr, sie warfen ihre Helme fort, um besser zu sehen, sie rannten
wieder
zurück, an dem Alten vorbei, nach der andern Seite, sprangen über die
feurigen
Trümmer, wieder zurück, wieder an dem Alten vorbei, und als sie wieder
an ihm
vorüberflogen, hörten sie noch in ihre Verzweiflung hinein sein lautes
Gelächter
hinter
sich her.
Die
Flammen ergriffen sie. Sie schlugen mit ihren bloßen Händen darauf,
immer
rennend, immer schlagend, auf einmal waren sie ein paar brennende
Feuersäulen,
sie rannten noch einmal zurück, aber da war eine brennende Bretterwand,
nach
rechts, da war eine Mauer, sie konnten nicht weiter, sie schrien und
schlugen
mit ihren bratenden Händen gegen die Steine, nichts, nichts, das Feuer
fraß ihr
Haar, ihren Schädel, die Flammen zerrissen ihre Augen, sie waren blind,
sie
sahen nichts mehr, das Feuer fraß ihr Gesicht, das Fleisch flog in
Stücken von
ihren Händen, aber noch im Tode hämmerten sie die verkohlten Klumpen
ihrer
Fäuste gegen die Mauer.