lifedays-seite

moment in time



Literatur

"Verzweiflung", Ludwig Meidner (Ausschnitt), 1914, "Ludwig Meidner Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt a. M.
      
04.3



Prosadichtungen und Schriften
Georg Heym




Vorrede
 
Ob dieses Buch einige Resonanz finden wird, bezweifle ich trotz der liebenswürdigen (unl. Wort). Denn es ist nicht für eine Zeit geschrieben, die Scharlatane für Dichter hält, die untereinander einen Assekuranzvertrag auf gegenseitiges Wohlwollen geschlossen haben.
 
Ich setze zwei Beispiele dafür, auf welches reiche Verständnis ich gestoßen bin.
 
Nr. I
Ein Preßerezensent des Berliner Tageblatts äußert sich folgendermaßen:
 
Ich und George, George. So unglaublich es klingt, ja, George. Es ist wahr. Es ist wirklich wahr. Er hat es geschrieben.
 
Nr. II.
Herausgeber des literarischen Käseblättchens, das sich – lucus a non lucendo – der Sturm betitelt, fällt folgendes lapidarische Verdikt:
 
Sie forcieren sich, die deutsche Sprache und Ihr lyrisches Empfinden um einen schablonenhaften Rhythmus und den Reim herauszukommen.
 
Immerhin ist der Herr so großmütig mir einige Begabung zuzuerkennen. „Dies alles nur, weil Sie eine lyrische Begabung sind. Die Voraussetzung ist das einzige, was ich bisher bei Ihnen erkennen kann.“
 
Wenn er das gefunden hätte, würde er mir überhaupt nicht geschrieben haben.
 
Nur die Jungen gehen mit mir, die σύμμαχοι, die noch etwas (unl. Wort) haben, und noch nicht Bourgeois geworden sind, wie Herr Herwarth Walden trotz seiner goldlockigen Künstlermähne.
 
Ich bitte die Literaturprofessoren um Verzeihung, daß mir meine Begabung nicht gestattet mit Versen anzufangen
 
Sie lagen in dem Maiengras
und träumten still, ich weiß nicht was,
 
oder
 
in das Blaue schweift mein Blick,
fänden wieder sie zurück
etc.
 
daß ich auch nicht die Sehnsucht, die wie ein altes Huhn von tausend Dichterlingen durch Tausende ihrer Produkte gehetzt wird.

Zu einer Vorrede

Zu einer Zeit, wo der sakrale Kadaver eines St. George und das überschminkte Frauenzimmer Maria Rilke auf dem nächtlichen Parnaß, vorm erstaunten Monde ein grünliches Marionettenspiel aufführen - während auf den Bänken davor, die gesamten jüdischen Literaturhistoriker ihre begeisterten Federn über das Papier spritzen lassen, - in dieser traurigen Zeit wag ich mich verstohlen mit einem kleinen Buche hervor, das vielleicht den Beifall der wenigen Freunde der Kunst finden wird, die nicht (unl. Wort) die Binger tönerne Pagode anbeten oder dem Prager Gecken seine Worte für Gedichte verkaufen.


Notizen zu einer Rezension

Ein Mann, namens Avenarius, von Beruf Wart der Kunst, nimmt es sich heraus, in seinem Käseblatt für literarische Geheimratstöchter den Dichter Karl May anzugreifen, und ihn als einen Schundliteraten seinem Leserkreise zu denunzieren. Karl May, dessen großartige Phantasie natürlich von diesem wöchentlichen Mist-Fabrikanten niemals begriffen werden kann.

Sein Hauptargument für die Inferiorität Mays ist, daß Karl May einige Jahre - hu, hu, als Schmuggler und Räuber gelebt habe, - eine Tatsache, die dem Dichter von vornherein das Wohlwollen eines anständigen Menschen sichert.






   lifedays-seite - moment in time