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Literatur



 






Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit

Fritz Mauthner
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 Der arme Dichter

Der arme Dichter stand vor dem Berge, wo die Unsterblichen wohnen. Eine Zahnradbahn führte hinauf, und er wollte sie benützen. Er klopfte an das Schiebefenster des Schalters und rief vergnügt:

„Ein Billett erster Klasse. Nur hinauf. Kostenpunkt?“

„Tausend Goldkronen Rente,“ sagte der Kassierer grinsend; er hatte ihm das Fensterchen nur ein bißchen gelüftet.

Der arme Dichter lachte. „Tun Sie’s nicht billiger Ich hab‘ kein Geld. Aber ich will und muß hinauf.“

Dabei hob der arme Dichter das Schiebefenster, so scharf auch der Rand war, steckte den Kopf hindurch und lachte den Beamten an.

„Ja,“ sagte der, „wir nehmen anstatt der Rente auch das Kapital. Lassen Sie uns Ihren Kopf für Lebenszeit hier, und wir befördern einstweilen das allerwerteste Übrige hinauf.“

„Einverst …..“ rief der arme Dichter. Und rasch war das Schiebefenster herabgefallen; sein Kopf lag sauber abgeschnitten in der Kasse.

Schon am nächsten Tage wurde der Kopf zurechtgemacht, und dem Kegelklub „Gemütlichkeit“ vermietet. Nun schoben Müller und Schulze mit dem Kopf des armen Dichters allwöchentlich Kegel.

Anfangs tat es ihm weh, weil er noch kleine Ecken hatte. Mit der Zeit aber wurde er rund und immer kugelrunder und hielt es endlich für eine Eigentümlichkeit der Dichter, daß ihre Köpfe auf Erden rollen müßten.

Nur daß ihn der Kegeljunge immer so heftig in die Rinne schmiß, und er am Ende mit anderen runden Dichterköpfen im selben Kasten lag, das tat seiner Eitelkeit weh.
Werkeltags übten sich an ihm die Jungen; sie klopften mit ihm auch Nüsse auf, und wenn sie müde waren, warfen sie ihn in den Dreck. Das taten sie aber ebenso mit den anderen Dichterköpfen.

Kurz bevor er im Kegelklub „Gemütlichkeit“ sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiern sollte, kriegte er einen Sprung und wurde ausgeschieden. Er hatte sich die fünfundzwanzig Jahre lang das dumpfe Gefühl bewahrt, daß er eigentlich nicht bestimmt sei, hinunterzurollen, sondern hinaufzufahren. Er meldete sich also an der Kasse und wurde richtig auf den Berg gebracht.

Oben saßen etwa ein Dutzend Herren in den verschiedensten Trachten heiter beisammen. Die Unsterblichen. Ringsumher standen in ebenso bunten Kostümen weit über tausend Körper ohne Köpfe. Des armen Dichters Augen waren durch das viele Rollen schwach geworden, und des dauerte lange, bevor er sein allerwertestes Übrige fand. Er erkannte sich endlich an einem abgerissenen Westenknopf.

„Du, Hans,“ sagte er trübselig zu sich selbst, „da bin ich endlich. Setz mich mal auf.“

Schon streckte das allerwerteste Übrige die Hände nach seinem Kopfe aus. Da lachten die Unsterblichen und riefen durcheinander:

„Woran erkennst du ihn denn? Ist es denn gewiß dein Kopf? Ist es überhaupt ein Kopf? Er hat keine Nase! Er hat keine Physiognomie im Gesicht!“

„Wahrhaftig!“ rief das Übrige und steckte die Hände wieder in die Hosentaschen. „Du hast keine Physiognomie im Gesicht, hast keine Nase.“

„Ach Gott,“ sagte der Dichter weinend, „das kommt nur daher, weil man mit mir Kegel geschoben hat. Dir fehlt auch ein Knopf!“

„O, mein lieber Kopf!“ rief das Allerwerteste. „Ein Knopf gibt Physiognomie, auch dann noch, wenn er abgerissen ist. Eine Nase aber muß man hier durchaus haben.“

Und unter dem Gelächter der Unsterblichen stieß das allerwerteste Übrige seinen eigenen Kopf mit einem Fußstoß wieder vom Berge hinunter.


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