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04.3
Geschichten -
Joseph Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S. 12
Roman 1923
XXIII
Es
war ein Sieg der Ordnung. Man
stürzte zwei Minister. Sie wußten zu viel von den geheimen
Organisationen. Man
ernannte zwei neue. Sie wußten mehr. Aber es waren Freunde. Sie
gehörten der
Demokratischen Partei an. So schienen sie demokratisch.
Aber
sie waren Ehrenmitglieder des
Bismarck-Bundes. Und sie standen in Verbindung mit München. Und sie
hatten
Angst vor den Arbeitern.
»Vereiteln«
war der technische
Ausdruck für folgende Vorgänge: Spitzel drangen in Sekretariate und
Parteibüros,
die jeder kannte, und der Polizeibericht meldete eine »Aushebung
geheimer
Nester«. Spitzel stürzten sich auf einen Versammlungsredner, der
harmlos war
und ohne Bedeutung, und die Zeitungen schrieben, ein längst gesuchter
bolschewikischer
Spion sei endlich ergriffen worden. Seinen Namen kannte man, aber die
Zeitungen
teilten mit, den eigentlichen Namen des Verhafteten werde man
schwerlich
erfahren. Spitzel arrangierten Razzien in Arbeitervierteln, auf breite,
schütternde Lastautos lud man zwei- und dreihundert, die fremde
Staatsbürger waren, das heißt aus den
abgetrennten Gebieten Deutschlands stammten, wurden auf dem
Flugzeugplatz
einquartiert, in Baracken, von Gendarmen bewacht und in Transporte
eingeteilt,
die nach den Grenzen gingen. In den Baracken lebten Tausende aus dem
ganzen
Reiche mit Kindern, Frauen, Großmüttern. Schmutz brachte Krankheiten.
Krankheiten verursachten ein großes Sterben. Täglich starben einige,
ehe der
Transport zusammengestellt war. Durch jüdische Viertel schlichen
Konfidenten, betrunkene
Menschen, die von jedem Emigranten Geld forderten. Sie bekamen
es. Zahlte der Jude
nicht, so wurde er als bolschewikischer Spitzel in das Gefängnis
geschleift zur
polizeilichen Voruntersuchung. Sie dauerte ein paar Monate. Dann wurde
der
Jude, dessen Schiffskarte, dessen amerikanisches Visum verfallen war,
wieder an
die Grenze gebracht. Die Nationale Bürgerliga durfte Waffen tragen.
Ihre Mitglieder
schossen. Deutsche Prinzen legten Uniform an und fuhren durch
die Städte. Alte Generale
schepperten mit Orden und Sporen. Streikende Arbeiter, die vor den
Betrieben
standen, wurden von der Nationalen Bürgerliga gestochen, erschossen,
geknüppelt. Die Zeitungen meldeten, daß die Arbeiter Passanten bedroht
hatten
und nur mit Waffengewalt auseinandergetrieben werden konnten.
Wanderprediger zogen
durch die Straßen. Sie sprachen von der nationalen Erhebung.
Alle
Bürger in den Geschäften, in
den Kaufhäusern, in Fabriken, in Ämtern sprachen von der nationalen
Erhebung.
Sozialistische Zeitungen erwarteten jeden Tag neue Überfälle. Die
Polizei kam
zu spät und nahm Tatbestände auf.
Es
war ein Sieg der Ordnung.
Es
erwies sich, wie nützlich
Benjamin Lenz sein konnte. Der Journalist Pisk brachte einen Bericht
über
Theodor Lohse. Andere Journalisten baten um Interviews. Man zählte alle
vergangenen Taten Theodor Lohses auf. Man erdichtete neue. Theodor
Lohse lebte,
überschüttet von Ruhm, von Journalisten bedrängt. Reiche jüdische
Häuser luden ihn
ein. Einmal kam er sogar zu Efrussi. Wie lang war das her! Wieviel
hatte
er erreicht! Jetzt stand er
im Hause Efrussis, mit Politikern, Bankiers, Schriftstellern,
ein Gast wie
sie. Jetzt hätte er, ein Ebenbürtiger, mehr, ein Held in Uniform, ein
Berühmter, der Frau Efrussi entgegentreten können. Aber jetzt klang
ihre Stimme
aus einer weiten Ferne herüber. Jetzt lächelte sie nicht mehr,
verschwunden war
ihre Güte, keine Wärme kam von ihr, sie nickte Theodor zu, er konnte
kaum die Spitzen
ihrer kühlen Finger berühren, und es war etwas wie ein Hohn in ihrem
Gesicht,
als wollte sie sagen: Ei, sieh den Theodor Lohse! Theodor konnte Frau
Efrussi
vergessen, wenn er mit Fräulein von Schlieffen sprach, die mit ihrer
Tante in
Potsdam wohnte und sehr gut tanzen konnte. Theodor war kein Tänzer,
auch im
Sattel nahm er sich nicht besonders gut aus. Fräulein von Schlieffen
ritt aber
jeden Morgen.
Und
obwohl ihr alle Offiziere der
Garnison zur Verfügung standen, zog sie Theodor vor. Sie war
sechsundzwanzig,
eine Waise, aus berühmter Familie, aber ohne Geld. Der Vater hatte sein
Leben
als bescheidener Geheimrat, der Gesandtschaft in Sofia zugeteilt,
beschließen müssen.
Die
Tochter war im Stift erzogen.
Die Tante hatte immer für sie gesorgt. Jetzt war Zeit, sich nach einem
Mann
umzusehen. Das wäre früher leicht gewesen. In der Republik wurde man
eher alt,
blieb man länger ledig. Wichtiger als Verbindungen war jetzt das Geld
in dieser
neuen Zeit. Was galt dieser Name? Nie hätte eine von Schlieffen einen
Bürgerlichen
geheiratet. Jetzt konnte man es. Noch war man blond, noch
waren ein paar allzufrühe
Fältchen an den Schläfen nicht deutlich geworden, noch konnte man seine
weißen,
gesunden Zähne zeigen.
Aber
die Beine wurden schon
merklich dicker, und in mancher Nacht fand man keinen Schlaf, Herz und
Körper
sehnten sich nach dem Mann. Es gab keinen so bescheidenen wie Theodor
Lohse.
Keinen, dem Ruhm, Erfolg und Ehrgeiz nicht Schüchternheit vor den Damen
genommen
hätten. Er war mehr als dreißig. Im besten Alter für die Ehe. Er hatte
eine
Zukunft. Eine Frau, die hoch hinauswollte, konnte seinen Ehrgeiz
nützlich
machen. Eisa von Schlieffen war in dem Alter, in dem man vernünftig
denkt, und
aus einer Familie, die zur Karriere verpflichtet.
»Warum
heiraten Sie nicht?«
fragte Benjamin Lenz. "Heiraten Sie«, drängte
er.
Es
war Zeit, Abschied von der
Reichswehr zu nehmen. Wenn es nach denen in München gehen sollte,
konnte man
sein Leben lang bei der Reichswehr bleiben und Stabsoffizier werden.
Trebitschs
Stelle war schon besetzt. Man mußte sich umsehen. Was kam aus der
Volkstümlichkeit des Tages? Ach! Es war ein kurzer Ruhm! Morgen
ereignet sich
Neues, und die Zeitungen sind undankbar. Man vergißt. Man macht
vergessen.
Benjamin
Lenz will an der Quelle
sitzen, er braucht nicht beliebige Freunde, er braucht Männer in hohen
Ämtern.
Benjamin hat keinen Bedarf an kleinen Leutnants. Er will Berichte aus
erster
Hand; Einblick in einen wichtigen staatlichen Betrieb.
Theodor
müßte heiraten. Dieser
simple Theodor wird unter den Händen einer ehrgeizigen Dame höchste
Ämter
bekleiden. »Nützen Sie die Konjunktur aus!« sagte Benjamin.
Freilich
konnte er nicht mehr
Soldat sein. Wie war er gewachsen. Vor einem Jahr noch hätte er sein
Leben als
Offizier beschließen mögen. Was war alles vor einem Jahr noch!
Armselige
Zeit, Schinken semmeln
und Kaffee mit Haut bei Efrussi, Hülsenfrüchte einmal in der Woche und
die
»Weisen von Zion«. Anders, als in dem Buche stand, waren die
Zionweisen. Sie
strebten nicht die Macht in Europa an. Sie hatten Verstand. Sie hatten
Geld. Am
größten war die Macht des Geldes. Aber es ließ sich nicht erobern.
Längst
wuchs Theodors Kapital
nicht mehr, Benjamin Lenz sagte:
»Verkaufen
Sie! Wer an der Börse
nicht heimisch ist, den bestiehlt sie. Wie die Zigeuner machen sie es.«
Benjamin
sah es gern, wenn
Theodor kein überflüssiges Geld hatte. Benjamin leiht seinen Freunden
willig
und bar. Er ist ein nobler Mensch, Benjamin Lenz. Er ist glücklich,
wenn er
Theodor helfen kann.
München
hätte gern Theodor bei
der Reichswehr gelassen. Aber er war heute nicht mehr abhängig wie
einst. Er
meldete sich krank. Er war ein Neurastheniker. Neurasthenie ist nicht
nachweisbar, sagte Benjamin Lenz.
Theodor
schied aus der
Reichswehr. Eine intime Feier veranstaltete das Kasino. Er meldete
seinen
Austritt in München und bat um neue Aufträge. Es war ihm, als hätte er
letzte
Hindernisse aus dem Wege geräumt.
XXIV
Eine Woche später
verlobte er
sich mit Fräulein von Schlieffen. Geld für Geschenke, Blumen, eine
Feier
streckte Benjamin vor. Unerschöpflich schienen Benjamins Gelder.
Fräulein
von Schlieffen tanzte
nicht mehr. Auch ritt sie nicht mehr. Sie verlor plötzlich alle
sportlichen
Leidenschaften. Sie saß zu Hause und stickte Monogramme auf Hemden,
Unterhosen,
Taschentücher.
Jeden
Abend kam Theodor nach
Potsdam. Der erste Schnee fiel. Feuer brannte im Kamin. Einmal brachte
Theodor
seine Schwestern mit. Sie saßen stumm und knicksten vor der Tante und
gingen. Sie
waren betäubt von dem Klang des Namens: Schlieffen. Theodors Mutter
traute sich
nicht einmal, nach der Braut zu fragen.
Längst
war Theodor nicht mehr im
Hause der geringschätzig Geduldete. Wie gut hatte es Gott gewollt, daß
er
Theodor am Leben gelassen hatte. Wenn der selige Vater noch lebte!
dachte die
Mutter. Sie stickte auch Monogramme. Sie trieb mit einer roten Seide
gereimte
Sprüche in verschiedene Gegenstände.
Der
große Hilper hatte jetzt das
Ministerium für Inneres. Er kannte ja Theodor. Ob er ihn kannte. Der
Pressechef
war jener kleine Redakteur des »Nationalen Beobachters«.
Allen
gefiel Theodor. Er war ein
gefälliger Mensch und bescheiden trotz allen Verdiensten. Auch besaß er
Kenntnisse.
Er schien mit der Presse gut zu leben. Und er hatte gesellschaftliche
Beziehungen.
Keine
Sünde war von ihm bekannt
geworden. Niemals hatten ihn Gerichte gesucht. Er besaß ein tadelloses
Vorleben. Er war sogar Jurist. Weshalb sollte Theodor nicht in ein Amt
kommen? Hilper
beschloß, Theodor Lohse in ein Amt zu bringen. Er versprach es auch.
Jetzt
ging Theodor durch die
Ämter, Geheimräte schüttelten seine Hand, sie wußten noch nicht, wozu
er
ausersehen war; aber daß er ausersehen war, wußten sie.
Der
Journalist Pisk brachte
einmal seinen Freund Tannen mit. Der Name Tannen war ein Pseudonym.
Aber Tannen
selbst ein gesprächiger Mensch, ein lächelnder Mensch, er lächelte ein
Berufslächeln wie Jongleure, wenn sie sich verneigen.
Kleine
Notizen brachte Tannen in
die Zeitungen. Er berichtete, daß beim Staatssekretariat für
öffentliche
Sicherheit eine neue Stelle geschaffen würde; eine Art Relaisposten
zwischen
dem Ministerium des Innern und dem Staatssekretariat und der Polizei.
Der
Journalist Pisk ging zum Minister
und erkundigte sich. »Ich habe noch nichts davon gehört!« sagte Hilper.
Denn
Hilper war ein einfacher Mann, ein westfälischer Oberlehrer und kein
Diplomat.
»Aber
es wäre doch eine glänzende
Idee«, sagte Pisk. Und dann erzählte Pisk, daß der Professor Bruhns von
der
Sternwarte seinen sechzigsten Geburtstag feierte. Der Minister war ein
klassischer Philologe und verstand nichts von Astronomie.
»Hat
er Verdienste?« fragte der
Minister.
"Und
ob! ... Er ist einer
der besten Meteorologen«, sagte Pisk. »Er hat ein zweibändiges Werk
über Saturn
geschrieben.«
»So!«
sagte der Minister. »Es ist
gut, daß Sie mir das sagen. Soll ich schriftlich gratulieren? Oder
einen
Vertreter schicken?«
»Einen
Vertreter, Exzellenz«,
sagte Pisk.
Ihn
ging der Professor gar nichts
an, aber er mußte Brücken finden, Brücken zum Thema: Lohse.
»Wissen
schon«, sagte Pisk - er
vermied direkte Ansprachen -, »daß Lohse
heiratet?«
»Ah!
... « sagte der Minister. »Wen?«
»Eine
von Schlieffen! ... «
»Schlieffen?!
Guter Name!«
»Große
Karriere eigentlich!«
sagte Pisk.
»Reich?«
»Sie
soll reich sein!«
»Donnerwetter!«
sagte der
Minister, der ein armes Mädchen geheiratet hatte, als er noch Professor
gewesen.
»Gescheiter
Junge!« sagte Pisk.
»Und
bescheiden!« fügte der
Minister hinzu.
Und
dann sprachen sie noch von
Professor Bruhns.
Und
Pisk schrieb: »Die
Nachricht von der neuen
Stelle beim Staatssekretär für öffentliche Sicherheit wird von
zuständiger
Seite bestätigt. Als kommender Mann ist ein in den letzten Wochen oft
genannter
ehemaliger Offizier in Aussicht genommen.«
Im
Jänner war die Hochzeit.
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