Vorwort
Die
erste Ausgabe der Werke Joseph Roths (1956) ist längst zu einem
gesuchten
Objekt von Sammlern und Spezialisten geworden, die zweite (1975/76)
war
rascher vergriffen als erwartet. Gelohnt hatten sich also die
Anstrengung des
Verlages und des Herausgebers, Hermann Kesten, dem die beiden
Nachfolger in der
Roth-Edition an dieser Stelle ausdrücklich ihren Respekt bekunden
möchten - mit
Dank für die unentwegte Propagierung des Autors.
Natürlich
ist auch ein halbes Jahrhundert nach Roths Tod der Gedenkanlaß ein
prägnanter
Zeitpunkt, mit der Publikation einer dritten Sammlung seiner
journalistischen
und dichterischen Arbeiten zu beginnen. Ihr
Umfang reicht beträchtlich über den Bestand der zweiten Werk-Edition (4
Bände) hinaus, mit der nach den Forschungen Ingeborg Sültemeyers und
Wolf R. Marchands schon deutlich wurde: Der große
Romancier Joseph Roth war zeit seines Lebens auch Journalist. Und wer,
neugierig geworden, in den alten Zeitungen der Jahre zwischen den
Weltkriegen blätterte,
der konnte weitere »unbekannte« Texte finden, konnte feststellen, wie
produktiv
und engagiert der Journalist Roth war und wie interessant seine Artikel
noch
heute sind.
Eine
Auswahl dieser neu gefundenen Arbeiten setzte auch Akzente für den
politischen
Journalisten Joseph Roth, Berliner Saisonbericht. Unbekannte Reportagen
und journalistische Arbeiten 1920-1939. Herausgegeben und mit einem
Vorwort
versehen von Klaus Westermann, Köln 1984). Auch wenn erfreulicherweise
immer
mal wieder ein weiterer Artikel Roths entdeckt wird, so gilt für die
dritte
Edition mit den neuen Funden: Das journalistische Werk Joseph Roths
liegt
vor.
Einige
der Texte (aus dem sogenannten Berliner Nachlaß) waren zuvor von
Friedemann
Berger, damals Chef-Lektor des Leipziger Gustav- Kiepenheuer-Verlages,
veröffentlicht worden - zusammen mit einigen Erzählfragmenten Joseph
Roth, Perlefter.
Fragmente und Feuilletons, Leipzig 1978, 2. Aufl. 1981). Der Titeltext
erschien mit Bergers Nachwort gleichzeitig auch in einer Ausgabe von
Allert de
Lange/Kiepenheuer
&
Witsch Joseph Roth, Perlefter.
Die Geschichte eines Bürgers, Amsterdam/Köln 1978). Auch dieser Text
zusammen mit dem bisher nicht veröffentlichten Fragment Jugend und den
Anfangskapiteln der Erstfassung von Flucht ohne Ende ist in der neuen
Werkausgabe enthalten.
In
den Anmerkungen finden sich darüber hinaus exemplarische Proben aus
verschiedenen Nachlaßbeständen sowie jene Gedichte, mit denen Roth als
junger
Student und Kriegsfreiwilliger in Wiener und Prager Zeitungen
debütierte. Von
der unveröffentlichten Lyrik, die sich im Nachlaß befindet, wollte er
in
späteren Jahren nichts mehr wissen. Deshalb bleiben sie hier
unberücksichtigt.
Unerwartet
groß war in den letzten dreißig Jahren die Resonanz auf die neue
Bekanntschaft
mit dem Erzähler und Feuilletonisten. In vielerlei Verlags- und
Titelvarianten
hatten die Taschenbuch-Auflagen Erfolg, Buchgemeinschaften nahmen sich
des
Autors an, und einzelne Titel reizten sogar zu graphisch kostbar
illustrierten,
bibliophilen Ausgaben.
Bald
entdeckte der Film den Bildreichtum der Rothschen Erzählweise, so daß
nahezu
alle seiner bekannten Romane und Geschichten ihre Wirkung nun auch auf
Leinwand
oder Bildschirm entfalten. Und an den feuilletonistischen Gattungs- und
Stilmerkmalen,
wie Roth sie handhabte, schärft heute der journalistische Nachwuchs
seine Schreibe.
Kein
Zweifel: Von diesem Autor wird Gebrauch gemacht. Zur Verklärung als
Klassiker
eignet er sich nur partiell - wie jeder Klassiker -, und keine
Ideologie bringt
seine Werke glatt in einem Kanon unter. Diese dritte Sammel-Edition
verteilt
sie entsprechend dem Unterschied zwischen Feuilleton- und Romanlektüre
auf zwei
Abfolgen von Bänden, in denen jeweils die journalistische und
erzählerische
Produktion chronologisch gruppiert ist. Im Nachwort zu jedem Einzelband
kommentiert
der betreffende Herausgeber den dokumentierten Schaffensabschnitt des
Journalisten oder Erzählers Joseph Roth.
Tübingen/Hamburg,
im Herbst 1988 Fritz Hackert
Klaus
Westermann