Die
Blumen stehen in dem schlanken, grün
schimmernden Glas, ihre Stengel ragen ins Wasser, und das Zimmer duftet
davon.
– Sie duften noch immer, – obwohl sie schon eine Woche in meinem
Zimmer
sind und langsam zu welken beginnen. – Und ich begreife allen möglichen
Unsinn,
den ich belacht habe, ich begreife das Zwiesprachpflegen mit
Gegenständen der
Natur . . .
ich begreife, daß man auf Antwort warten kann, wenn man mit Wolken und
Quellen spricht; denn auch ich starre ja diese Blumen an und warte, daß
sie
anfangen zu reden . . . Ach nein, ich weiß ja, daß sie immer reden . .
. auch
jetzt . . . daß sie immerfort reden und klagen, und daß ich nahe daran
bin, sie
zu verstehen.
Wie
froh bin ich, daß nun der starre Winter zu
Ende geht. Schon schwimmt ein Ahnen des nahen Frühlings in der Luft.
Die Zeit
geht ganz eigen hin. Ich lebe nicht anders als sonst, und doch ist mir
manchmal, als wären die Umrisse meines Daseins weniger fest gezeichnet.
Schon
das Gestern verschwimmt, und alles, was ein paar Tage zurückliegt,
bekommt den
Charakter eines unklaren Traumes. Immer von neuem, wenn Gretel mich
verläßt,
und insbesondere wenn ich sie mehrere Tage nicht sehe, da ist mir, als
wäre das
eine Geschichte, die längst, längst vorbei ist. Sie kommt
immer von so weit, so weit! –
Wenn
sie dann zu plaudern anfängt, ist's freilich
bald wieder beim alten, und ich habe ein deutliches Empfinden der
Gegenwart und
des Daseins. Und fast sind die Worte dann zu laut und die Farben zu
grell; und
wie das liebe Kind, kaum daß sie mich verläßt, in eine unsägliche Ferne
entrückt
ist, so jäh und glühend ist ihre Nähe. Sonst blieb mir doch noch ein
Nachklang
und ein Nachbild zurück von tönenden und lichten Augenblicken; jetzt
aber
verhallt und verlischt alles, plötzlich, wie in einer dumpfen Grotte. –
Und
dann bin ich allein mit meinen Blumen. Sie sind schon welk, ganz welk.
Sie
haben keinen Duft mehr. Gretel hatte sie bisher nicht beachtet; heute
das
erstemal weilte ihr Blick lange auf ihnen, und mir war, als wollte sie
mich
fragen. Und plötzlich schien sie eine geheime Scheu davon abzuhalten; –
sie
sprach überhaupt kein Wort mehr, nahm bald Abschied von mir und ging.
Sie
blättern langsam ab. Ich rühre sie nie an; auch
würden sie zwischen den Fingern zu Staub werden. Es tut mir unsäglich
weh, daß
sie welk sind. Warum ich nicht die Kraft habe, dem blöden Spuk ein Ende
zu
machen, weiß ich nicht. Sie machen mich krank, diese toten Blumen. Ich
kann es
zuweilen nicht aushalten, ich stürze davon. Und mitten auf der Straße
packt es
mich dann, und ich muß zurück, muß nach ihnen sehen. Und da find
ich sie
dann in demselben grünen Glas, wie ich sie verlassen, müd' und traurig.
Gestern
Abend hab' ich vor ihnen geweint, wie man auf einem Grabe weint, und
habe gar
nicht an die gedacht, von der sie eigentlich kommen. – Vielleicht irre
ich
mich! aber mir ist, als fühlte auch Gretel die Anwesenheit von irgend
etwas
Seltsamem in meinem Zimmer. Sie lacht nicht mehr, wenn sie bei mir ist.
Sie
spricht nicht so laut, nicht mit dieser frischen, lebhaften Stimme, die
ich
gewohnt war. Ich empfange sie freilich nicht mehr wie früher. Auch
quält mich
eine stete Angst, daß sie mich doch einmal fragen könnte; und ich weiß,
daß mir
jede Frage unerträglich wäre.
Oft
nimmt sie ihre Handarbeit mit zu mir, und wenn ich
noch über den Büchern bin, sitzt sie still am Tisch, häkelt oder
stickt, wartet
geduldig, bis ich die Bücher weglege und aufstehe und zu ihr trete, ihr
die
Arbeit aus der Hand zu nehmen. Dann entferne ich den grünen Schirm von
der
Lampe, bei der sie gesessen, und durchs ganze Zimmer fließt das
freundliche,
milde Licht. Ich habe es nicht gern, wenn die Ecken im Dunkeln sind.
Frühling!
– Weit offen steht mein Fenster. Am späten
Abend hab' ich mit Gretel auf die dunkle Straße hinausgeschaut. Die
Luft um uns
war weich und warm. Und wie ich zur Straßenecke hinsah, wo die Laterne
ist, die
ein schwaches Licht verbreitet, stand plötzlich ein Schatten dort. Ich
sah ihn
und sah ihn nicht . . . Ich weiß, daß ich ihn nicht sah . . . Ich
schloß die
Augen. Und durch die geschlossenen Lider konnte ich plötzlich sehen,
und da
stand das elende Geschöpf, im schwachen Licht der Laterne, und ich sah
das
Gesicht unheimlich deutlich, als wenn es von einer gelben Sonne
beleuchtet
würde, und sah in dem verhärmten, blassen Gesicht die großen,
verwunderten
Augen . . . Da ging ich langsam vom Fenster weg und setzte mich zum
Schreibtisch; auf dem flackerte das Kerzenlicht im Windhauch, der von
draußen
kam. Und ich blieb regungslos sitzen; denn ich wußte, daß das arme
Geschöpf an
der Straßenecke stand und wartete; und wenn ich gewagt hätte, die toten
Blumen
anzufassen, so hätt' ich sie aus dem Glas genommen und sie ihr gebracht
. . .
So dacht' ich, dacht' es ganz fest, und wußte zugleich, daß es unsinnig
war.
Gretel verließ nun auch das Fenster und blieb einen Augenblick hinter
meinem
Sessel stehen und berührte mit ihren Lippen mein Haar. Dann ging sie,
ließ mich
allein . . .
Ich
starrte die Blumen an. Es sind gar keine mehr, es
sind fast nur mehr nackte Stengel, dürr und erbärmlich . . . Sie machen
mich
krank und rasend. – Und es muß wohl zu begreifen sein; sonst hätte
Gretel mich
doch einmal gefragt; aber sie fühlt es ja auch – sie flieht zuweilen,
als wenn
Gespenster in meinem Zimmer wären. –
Gespenster!
– Sie sind, sie sind! – Tote Dinge spielen
das Leben. Und wenn welkende Blumen nach Moder riechen, so ist es nur
Erinnerung an die Zeit, wo sie blühten und dufteten. Und Gestorbene
kommen
wieder, so lang wir sie nicht vergessen. – Was hilft's, daß sie nicht
mehr
sprechen kann; – ich kann sie ja noch hören! Sie erscheint nicht mehr,
aber ich
kann sie noch sehen! – – Und der Frühling draußen, und die Sonne, die
hell über
meinen Teppich fließt, und der Hauch von frischem Flieder, der vom
nahen Parke
hereinkommt, und die Menschen, die unten vorbeigehen, und die mich
nichts
kümmern, gerade das ist das Lebendige? Ich kann die Vorhänge
herablassen, und
die Sonne ist tot. Ich will von all diesen Menschen nichts mehr wissen,
und sie
sind tot. Ich schließe das Fenster, kein Fliederduft mehr weht um mich,
und der
Frühling ist tot. Ich bin mächtiger als die Sonne und die Menschen und
der
Frühling. Aber mächtiger als ich ist die Erinnerung, die kommt, wann
sie will,
und vor der es kein Fliehen gibt. Und diese dürren Stengel im Glas sind
mächtiger als aller Fliederdurft und Frühling.
Über
diesen Blättern bin ich gesessen, als Gretel
hereintrat. Noch nie war sie so früh am Tag gekommen; selten vor
Eintritt der
Dämmerung. Ich war erstaunt, fast betroffen. Ein paar Sekunden blieb
sie in der
Tür stehen; und ich schaute sie an, ohne sie zu begrüßen. Da lächelte
sie und
trat näher. Sie trug einen Strauß frischer Blumen in der Hand. Dann ist
sie,
ohne ein Wort zu reden, bis zu meinem Schreibtisch gekommen und hat die
Blumen
vor mich hingelegt. Und in der nächsten Sekunde greift sie nach den
verwelkten
im grünen Glas. Mir war, als griffe man mir ins Herz; – aber ich konnte
nichts
sagen . . . Und wie ich aufstehen will, das Mädel beim Arm packen,
schaut sie
mich lachend an. Und hält den Arm mit den welken Blumen hoch, eilt
hinter dem
Schreibtisch zum Fenster, und wirft sie einfach hinunter auf die
Straße. Mir
ist, als müßt' ich ihnen nach; aber da steht das Mädel, an die Brüstung
gelehnt, das Gesicht mir zugewandt. Und über ihren blonden Kopf
fließt die
Sonne, die warme, die lebendige . . . Und reicher Fliederduft kommt von
drüben.
Und ich sehe auf das leere grüne Glas, das auf dem Schreibtisch steht;
ich weiß
nicht, wie mir ist; freier glaub ich, – viel freier als früher. Da
kommt Gretel
herzu, nimmt ihren kleinen Strauß und hält ihn mir vor's Gesicht;
kühlen weißen
Flieder . . . Ein so gesunder frischer Duft; – so weich, so kühl; ich
wollte
mein Gesicht ganz darin vergraben. – Lachende, weiße, küssende Blumen –
und ich
fühlte, daß der Spuk vorbei war. – Gretel stand hinter mir und fuhr mir
mit
ihren wilden Händen ins Haar. Du lieber Narr, sagte sie. – Wußte sie,
was sie
getan? . . . Ich nahm ihre Hände und küßte sie. – – Und abends sind wir
ins
Freie hinaus, in den Frühling.
Eben
bin ich mit ihr zurückgekommen. Die Kerze habe
ich angezündet; wir sind viel gegangen, und Gretel ist so müde
geworden, daß
sie auf dem Lehnstuhle neben dem Ofen eingeschlummert ist. Sie ist sehr
schön,
wie sie da im Schlummer lächelt.
Vor
mir im schlanken grünen Glas steht der Flieder. –
Unten auf der Straße – nein, nein, sie liegen längst nicht mehr da
unten. Schon
hat sie der Wind mit dem andern Staub verweht.