Das Tagebuch der Redegonda
Gestern
nachts, als ich mich auf dem Heimweg für eine Weile im Stadtpark auf
einer Bank
niedergelassen hatte, sah ich plötzlich in der anderen Ecke einen Herrn
lehnen,
von dessen Gegenwart ich vorher nicht das geringste bemerkt hatte. Da
zu dieser späten Stunde an leeren Bänken
im Park durchaus kein Mangel war, kam mir das Erscheinen dieses
nächtlichen
Nachbars etwas verdächtig vor; und eben machte ich Anstalten, mich zu
entfernen, als der fremde Herr, der einen langen grauen Überzieher und
gelbe
Handschuhe trug, den Hut lüftete, mich beim Namen nannte und mir einen
guten
Abend wünschte. Nun erkannte ich ihn, recht angenehm überrascht. Es war
Dr.
Gottfried Wehwald, ein junger Mann von guten Manieren, ja sogar von
einer
gewissen Vornehmheit des Auftretens, die zumindest ihm selbst eine
immerwährende stille Befriedigung zu gewähren schien. Vor etwa vier
Jahren war
er als Konzeptspraktikant aus der Wiener Statthalterei nach einer
kleinen
niederösterreichischen Landstadt versetzt worden, tauchte aber von Zeit
zu Zeit
wieder unter seinen Freunden im Caféhause auf, wo er stets mit jener
gemäßigten
Herzlichkeit begrüßt wurde, die seiner eleganten Zurückhaltung
gegenüber
geboten war. Daher
fand ich es auch angezeigt, obzwar ich ihn seit Weihnachten nicht
gesehen hatte,
keinerlei Befremden über Stunde und Ort unserer Begegnung zu äußern;
liebenswürdig, aber anscheinend gleichgültig erwiderte ich seinen Gruß
und
schickte mich eben an, mit ihm ein Gespräch zu eröffnen, wie es sich
für Männer
von Welt geziemt, die am Ende auch ein zufälliges Wiedersehen in
Australien
nicht aus der Fassung bringen dürfte, als er mit einer abwehrenden
Handbewegung
kurz bemerkte: “Verzeihen Sie, werter Freund aber meine Zeit ist
gemessen und
ich habe mich nur zu dem Zwecke hier eingefunden, um Ihnen eine etwas
sonderbare Geschichte zu erzählen, vorausgesetzt natürlich, daß Sie
geneigt
sein sollten, sie anzuhören.“
Nicht
ohne Verwunderung über diese Anrede erklärte ich mich trotzdem sofort
dazu
bereit, konnte aber nicht umhin, meinem Befremden Ausdruck zu
verleihen, daß
Dr. Wehwald mich nicht im Caféhause aufgesucht habe, ferner wieso er
ihm
gelungen war, mich nächtlicherweise hier im Stadtpark aufzufinden und
endlich,
warum gerade ich zu der Ehre ausersehen sei, seine Geschichte anzuhören.
“Die
Beantwortung der beiden ersten Fragen,“ erwiderte er mit ungewohnter
Herbheit, „wird
sich im Laufe meines Berichtes von selbst ergeben. Daß aber meine Wahl
gerade
auf Sie fiel, werter Freund (er nannte mich nun einmal nicht anders),
hat
seinen Grund darin, daß Sie sich meines Wissens auch schriftstellerisch
betätigen und ich daher glaube, auf eine Veröffentlichung meiner
merkwürdigen,
aber ziemlich zwanglosen Mitteilungen in leidlicher Form rechnen zu
dürfen.”
Ich
wehrte bescheiden ab, worauf Dr. Wehwald mit einem sonderbaren Zucken
um die
Nasenflügel ohne weitere Einleitung begann: “Die Heldin meiner
Geschichte heißt
Redegonda. Sie war die Gattin eines Rittmeisters, Baron T. vom
Dragonerregiment
X, das in unserer kleinen Stadt Z. garnisonierte.” (Er nannte
tatsächlich nur diese Anfangsbuchstaben,
obwohl mir nicht nur der Name der kleinen Stadt, sondern aus Gründen,
die bald
ersichtlich sein werden, auch der Name des Rittmeisters und die Nummer
des
Regiments keine Geheimnisse bedeuteten.) “Redegonda“, fuhr Dr. Wehwald
fort, „war eine Dame von
außerordentlicher Schönheit und ich verliebte mich in sie, wie man zu
sagen
pflegt, auf den ersten Blick. Leider
war mir jede Gelegenheit versagt, ihre persönliche Bekanntschaft zu
machen, da
die Offiziere mit der Zivilbevölkerung beinahe gar keinen Verkehr
pflegten und
an dieser Exklusivität selbst gegenüber uns Herren von der politischen
Behörde
in fast verletzender Weise festhielten. So sah ich Redegonda immer nur
von
weitem; sah sie allein oder an der Seite ihres Gemahls, nicht selten in
Gesellschaft anderer Offiziere und Offiziersdamen, durch die Straßen
spazieren,
erblickte sie manchmal an einem Fenster ihrer auf dem Hauptplatze
gelegenen
Wohnung, oder sah sie abends in einem holpernden Wagen nach dem kleinen
Theater
fahren, wo ich dann das Glück hatte, sie vom Parkett aus in ihrer Loge
zu
beobachten, die von den jungen Offizieren in den Zwischenakten gerne
besucht
wurde. Zuweilen war mir, als geruhe sie, mich zu bemerken. Aber ihr
Blick
streifte immer nur so flüchtig über mich hin, daß ich daraus keine
weiteren
Schlüsse ziehen konnte. Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, ihr
jemals meine Anbetung zu Füßen
legen zu dürfen, als sie mir an einem wundervollen Herbstvormittag in
dem
kleinen parkartigen Wäldchen, das sich vom östlichen Stadttor aus weit
ins Land
hinaus erstreckte, vollkommen unerwartet entgegenkam. Mit einem
unmerklichen Lächeln ging sie an mir
vorüber, vielleicht ohne mich überhaupt zu gewahren und war bald wieder
hinter
dem gelblichen Laub verschwunden. Ich hatte sie an mir vorübergehen
lassen,
ohne nur die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß ich sie hätte
grüßen oder
gar das Wort an sie richten können; und auch jetzt, da sie mir
entschwunden
war, dachte ich nicht daran, die Unterlassung eines Versuchs zu
bereuen, dem
keinesfalls ein Erfolg hätte beschieden sein können. Aber nun geschah
etwas
Sonderbares: Ich fühlte mich nämlich plötzlich gezwungen, mir
vorzustellen, was
daraus geworden wäre, wenn ich den Mut gefunden hätte, ihr in den Weg
zu treten
und sie anzureden. Und meine Phantasie spiegelte mir vor, daß
Redegonda, fern
davon mich abzuweisen, ihre Befriedigung über meine Kühnheit keineswegs
zu
verbergen suchte, es im Laufe eines lebhaften Gespräches an Klagen über
die
Leere ihres Daseins, die Minderwertigkeit ihres Verkehrs nicht fehlen
ließ und
endlich ihrer Freude Ausdruck gab, in mir eine verständnisvolle
mitfühlende
Seele gefunden zu haben. Und so verheißungsvoll war der Blick, den sie
zum
Abschied auf mir ruhen ließ, daß mir, der ich all dies, auch den
Abschiedsblick, nur in meiner Einbildung erlebt hatte, am Abend
desselben Tages,
da ich sie in ihrer Loge wiedersah, nicht anders zumute war, als
schwebe ein
köstliches Geheimnis zwischen uns beiden. Sie werden sich nicht
wundern, werter
Freund, daß ich, der nun einmal von der Kraft seiner Einbildung eine so
außerordentliche Probe bekommen hatte, jener ersten Begegnung auf die
gleiche
Art bald weitere folgen ließ, und daß sich unsere Unterhaltungen von
Wiedersehen zu Wiedersehen freundschaftlicher, vertrauter, ja inniger
gestalteten, bis eines schönen Tages unter entblätterten Ästen die
angebetete
Frau in meine sehnsüchtigen Arme sank. Nun ließ ich meinen beglückenden
Wahn
immer weiterspielen, und so dauerte es nicht mehr lange, bis Redegonda
mich in
meiner kleinen, am Ende der Stadt gelegenen Wohnung besuchte und mir
Seligkeiten
beschieden waren, wie sie mir die armselige Wirklichkeit nie so
berauschend zu
bieten vermocht hätte. Auch an Gefahren fehlte es nicht, unser
Abenteuer zu
würzen. So geschah
es einmal im Laufe des Winters, daß der Rittmeister an
uns vorbeisprengte, als wir auf der
Landstraße im Schlitten pelzverhüllt in die Nacht hineinfuhren; und
schon
damals stieg ahnungsvoll in meinen Sinnen auf, was sich bald in ganzer
Schicksalsschwere erfüllen sollte. In den ersten Frühlingstagen erfuhr
man in der Stadt, daß das
Dragonerregiment, dem Redegondas Gatte angehörte, nach Galizien
versetzt werden
wollte. Meine, nein, unsere Verzweiflung war grenzenlos. Nichts blieb
unbesprochen, was unter solchen außergewöhnlichen Umständen zwischen
Liebenden
erwogen zu werden pflegt: gemeinsame Flucht, gemeinsamer Tod,
schmerzliches
Fügen ins Unvermeidliche. Doch der letzte Abend erschien, ohne daß ein
fester
Entschluß gefaßt worden wäre. Ich erwartete Redegonda in meinem
blumengeschmückten Zimmer. Daß für alle Möglichkeiten vorgesorgt sei,
war mein
Koffer gepackt, mein Revolver schußbereit, meine Abschiedsbriefe
geschrieben.
Dies alles, mein werter Freund, ist die Wahrheit. Denn so völlig war
ich unter die Herrschaft
meines Wahns geraten, daß ich das Erscheinen der Geliebten an diesem
Abend, dem
letzten vor dem Abmarsch des Regiments, nicht nur für möglich hielt,
sondern
daß ich es geradezu erwartete. Nicht wie sonst gelang es mir, ihr
Schattenbild
herbeizulocken, die Himmlische in meine Arme zu träumen; nein, mir war
als
hielte etwas Unberechenbares, vielleicht Furchtbares, sie daheim
zurück;
hundertmal ging ich zur Wohnungstüre, horchte auf die Treppe hinaus,
blickte
aus dem Fenster, Redegondas Nahen schon auf der Straße zu erspähen; ja,
in
meiner Ungeduld war ich nahe daran, davonzustürzen, Redegonda zu
suchen, sie
mir zu holen, trotzig mit dem Recht des Liebenden und Geliebten sie dem
Gatten
abzufordern, — bis ich endlich, wie von Fieber geschüttelt, auf meinen
Diwan
niedersank. Da plötzlich, es
war nahe an Mitternacht, tönte draußen die Klingel. Nun aber fühlte ich
mein
Herz stillestehen. Denn daß die Klingel tönte, verstehen Sie mich wohl,
war
keine Einbildung mehr. Sie tönte ein zweites und ein drittes Mal und
erweckte
mich schrill und unwidersprechlich zum völligen Bewußtsein der
Wirklichkeit.
Aber in demselben Augenblick, da ich erkannte, daß mein Abenteuer bis
zu diesem
Abend nur eine seltsame Reihe von Träumen bedeutet hatte, fühlte ich
die
kühnste Hoffnung in mir erwachen: Daß Redegonda, durch die Macht meiner
Wünsche
in den Tiefen ihrer Seele ergriffen, in eigener Gestalt herbeigelockt,
herbeigezwungen, draußen vor meiner Schwelle stünde, daß ich sie in der
nächsten Minute leibhaftig in den Armen halten würde. In dieser
köstlichen Erwartung ging ich zur Türe und öffnete. Aber es war
nicht Redegonda, die vor mir
stand, es war Redegondas Gatte; er selbst, so wahrhaft und lebendig,
wie Sie
hier mir gegenüber auf dieser Bank sitzen, und blickte mir starr ins
Gesicht.
Mir blieb natürlich nichts übrig, als ihn in mein Zimmer treten zu
lassen, wo
ich ihn einlud, Platz zu nehmen. Er aber blieb aufrecht stehen, und mit
unsäglichem
Hohn um die Lippen sprach er: ›Sie erwarten Redegonda. Leider ist sie
am
Erscheinen verhindert. Sie ist nämlich tot.‹ ›Tot,‹ wiederholte ich,
und die
Welt stand still. Der Rittmeister sprach unbeirrt weiter: ›Vor einer
Stunde
fand ich sie an ihrem Schreibtisch sitzend, dies kleine Buch vor sich,
das ich
der Einfachheit halber gleich mitgebracht habe. Wahrscheinlich war es
der
Schreck, der sie tötete, als ich so unvermutet in ihr Zimmer trat. Hier
diese
Zeilen sind die letzten, die sie niederschrieb. Bitte!‹ Er reichte mir
ein
offenes, in violettes Leder gebundenes Büchlein, und ich las die
folgenden
Worte: ›Nun verlasse ich mein Heim auf immer, der Geliebte wartet.‹ Ich
nickte
nur, langsam, wie zur Bestätigung. ›Sie werden erraten haben,‹ fuhr der
Rittmeister
fort, ›daß es Redegondas Tagebuch ist, das Sie in der Hand haben.
Vielleicht
haben Sie die Güte, es durchzublättern, um jeden Versuch des Leugnens
als
aussichtslos zu unterlassen.‹ Ich blätterte, nein, ich las. Beinahe
eine Stunde las ich, an
den Schreibtisch gelehnt, während der Rittmeister regungslos auf dem
Diwan saß;
las die ganze Geschichte unserer Liebe, diese holde, wundersame
Geschichte, —
in all ihren Einzelheiten; von dem Herbstmorgen an, da ich im Wald zum
erstenmal das Wort an Redegonda gerichtet hatte, las von unserem ersten
Kuß,
von unseren Spaziergängen, unseren Fahrten ins Land hinein, unseren
Wonnestunden in meinem blumengeschmückten Zimmer, von unseren Flucht-
und
Todesplänen, unserem Glück und unserer Verzweiflung. Alles stand in
diesen
Blättern aufgezeichnet, alles — was ich niemals in Wirklichkeit, — und
doch
alles genau so, wie ich es in meiner Einbildung erlebt hatte. Und ich
fand das
durchaus nicht so unerklärlich, wie Sie
es, werter Freund, in diesem Augenblick offenbar zu finden scheinen.
Denn ich ahnte mit einemmal, daß Redegonda
mich ebenso geliebt hatte wie ich sie und daß ihr dadurch die
geheimnisvolle
Macht geworden war, die Erlebnisse meiner Phantasie in der ihren alle
mitzuleben. Und da
sie als Weib den Urgründen des Lebens, dort wo Wunsch und Erfüllung
eines sind,
näher war als ich, war sie wahrscheinlich im tiefsten überzeugt
gewesen, alles
das, was nun in ihrem violetten Büchlein
aufgezeichnet stand, wirklich durchlebt zu haben. Aber noch etwas
anderes hielt ich für möglich: daß
dieses ganze Tagebuch nicht mehr oder nicht weniger bedeutete, als eine
auserlesene Rache, die sie an mir nahm. Rache für meine
Unentschlossenheit, die
meine, unsere Träume nicht hatte zur Wahrheit werden lassen; ja, daß
ihr
plötzlicher Tod das Werk ihres Willens und daß es ihre Absicht gewesen
war, das
verräterische Tagebuch dem betrogenen Gatten auf solche Weise in die
Hände zu
spielen. Aber ich hatte
keine Zeit, mich mit der Lösung dieser Fragen lange aufzuhalten, für
den
Rittmeister konnte ja doch nur eine, die natürliche Erklärung gelten;
so tat
ich denn, was die Umstände verlangten, und stellte mich ihm mit den in
solchen
Fällen üblichen Worten zur Verfügung.”
“Ohne den
Versuch” —
“Zu
leugnen?!“ unterbrach mich Dr. Wehwald herb. „Oh! Selbst wenn ein
solcher Versuch die leiseste Aussicht
auf Erfolg geboten hätte, er wäre mir kläglich erschienen. Denn ich
fühlte mich durchaus
verantwortlich für alle Folgen eines Abenteuers, das ich hatte erleben
wollen
und das zu erleben ich nur zu feig gewesen. — ›Mir liegt daran,‹ sprach
der
Rittmeister, ›unsern Handel auszutragen, noch eh Redegondas Tod bekannt
wird.
Es ist ein Uhr früh, um drei Uhr wird
die Zusammenkunft unserer Zeugen stattfinden, um fünf soll die Sache
erledigt
sein.‹ Wieder nickt' ich zum
Zeichen des Einverständnisses. Der Rittmeister entfernte sich mit
kühlem Gruß. Ich ordnete meine Papiere,
verließ das Haus, holte zwei mir bekannte Herren von der
Bezirkshauptmannschaft
aus den Betten — einer war ein Graf — teilte ihnen nicht mehr mit als
nötig
war, um sie zur raschen Erledigung der Angelegenheit
zu veranlassen, spazierte dann auf dem Hauptplatz gegenüber den dunklen
Fenstern auf und ab, hinter denen ich Redegondas Leichnam liegen wußte,
und
hatte das sichre Gefühl, der Erfüllung meines Schicksals
entgegenzugehen. Um
fünf Uhr früh in dem kleinen Wäldchen ganz nahe der Stelle, wo ich
Redegonda
zum ersten Male hätte sprechen können, standen wir einander gegenüber,
die
Pistole in der Hand, der Rittmeister und ich.”
“Und
Sie
haben ihn getötet?“
“Nein. Meine Kugel
fuhr hart an seiner Schläfe vorbei. Er aber traf mich mitten ins Herz.
Ich war auf der Stelle tot, wie
man zu sagen pflegt.”
“Oh!“
rief ich stöhnend mit einem ratlosen Blick auf meinen sonderbaren
Nachbar. Aber dieser Blick fand ihn nicht mehr. Denn
Dr. Wehwald saß nicht mehr in der Ecke der Bank. Ja, ich habe Grund zu
vermuten, daß er überhaupt niemals dort gesessen hatte. Hingegen
erinnerte ich
mich sofort, daß gestern abends im Caféhaus viel von einem Duell die
Rede
gewesen, in dem unser Freund, Dr. Wehwald, von einem Rittmeister namens
Teuerheim erschossen worden war. Der Umstand, daß Frau Redegonda noch
am selben
Tage mit einem jungen Leutnant des Regiments spurlos verschwunden war,
gab der
kleinen Gesellschaft trotz der ernsten Stimmung, in der sie sich
befand, zu
einer Art von wehmütiger Heiterkeit Anlaß, und jemand sprach die
Vermutung aus,
daß Dr. Wehwald, den wir immer als ein Muster von Korrektheit,
Diskretion und
Vornehmheit gekannt hatte, ganz in seinem Stil, halb mit seinem, halb
gegen
seinen Willen, für einen anderen, Glücklicheren, den Tod hatte erleiden
müssen.
Was jedoch die
Erscheinung des Dr. Wehwald auf der Stadtparkbank anbelangt, so hätte
sie gewiß
an eindrucksvoller Seltsamkeit erheblich gewonnen, wenn sie sich mir
vor dem
ritterlichen Ende des Urbildes gezeigt hätte. Und ich will nicht
verhehlen, daß
der Gedanke, durch diese ganz unbedeutende Verschiebung die Wirkung
meines
Berichtes zu steigern, mir anfangs nicht ganz ferne gelegen war. Doch
nach einiger Überlegung
scheute ich vor der Möglichkeit des Vorwurfs zurück, daß ich durch eine
solche,
den Tatsachen nicht ganz entsprechende Darstellung der Mystik, dem
Spiritismus
und anderen gefährlichen Dingen neue Beweise in die Hand gespielt
hätte, sah
Anfragen voraus, ob meine Erzählung wahr oder erfunden wäre, ja, ob ich
Vorfälle solcher Art überhaupt für denkbar hielte — und hätte mich vor
der
peinlichen Wahl gefunden, je nach meiner Antwort als Okkultist oder als
Schwindler erklärt zu werden. Darum
habe ich es am Ende vorgezogen die Geschichte meiner nächtlichen
Begegnung so
aufzuzeichnen, wie sie sich zugetragen, freilich auf die Gefahr hin,
daß viele
Leute trotzdem an ihrer Wahrheit zweifeln werden, – in jenem weithin
verbreiteten Mißtrauen, das Dichtern nun einmal entgegengebracht zu
werden
pflegt, wenn auch mit weniger Grund als den meisten anderen Menschen.