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Das Buch der
Dreizehn Erzählungen

Ernst Schur
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Der Hügel an den glückseligen Inseln
des ewigen Lebens


Katsukawa sitzt auf einem erhöhten Platz unter einem Kirschbaum, der sein duftiges, weißes, blühendes Gewand mit einer Freude ohnegleichen zu tragen scheint. Tiefblau lugt der Himmel zwischen den mit frischen Blüten wie übersäten Zweigen hindurch. Ein großer weißer Vogel steht gravitätisch und in ernster, unerschütterlicher Ruhe nicht weit davon.

Katsukawa sitzt schon lange so. Er sitzt tagaus, tagein an diesem Platz. Nur wenn er seine einfachen Mahlzeiten einnehmen will oder arbeitet, oder wenn die Nacht naht, die ihn zum Schlaf mahnt, dann begiebt er sich hinweg in sein Haus, das in der Nähe liegt. Auch von dort kann er die Aussicht noch genießen, nur versteckter, zurückgezogener.
 
Hier ober ist es schön und frei. Jede Tageszeit, oft auch die Nacht, hatte ihn hier gesehen.
 
Des Morgens: wenn die ersten Strahlen den Berg vor ihm mit einem goldigen Kranz umgeben. Und der Nebel noch in der Tiefe liegt.
 
Und mittags und abends, zu jeder Stunde war er da übermannt von dem Anblick, der sich wechselnd bot, übermannt von der gleichen zärtlichen Rührung. Was er da sah, war ihm ein alter, lieber, treuer Bekannter, ein Freund.
 
Katsukawa sitzt dann stumm, wünscht sich nichts, bewegt sich kaum. Berührt die ganze neue webende Schönheit, die da vor ihm liegt, wie mit einem einzigen sehnsüchtigen, schüchternen Kusse. Ein Zug seliger Träume und Wahrheit durchströmt ihn.

Flinke Tierchen kriechen im Grase, vom Morgen geweckt, durch die Halme und streifen am Tau vorbei. Katsukawa greift einen Käfer und lässt ihn über seine Hand laufen. Der zappelt, will sich befreien, blinzelt Katsukawa ängstlich an. Kasukawa schlägt sich vergnügt aufs Knie.
 
Er betrachtet ihn ungläubig und staunend wie ein Wunder. Langsam lässt er ihn wieder zur Erde gleiten und beschwichtigt den Ängstlichen. „Thu dir nichts, du kleines Götterkind“, murmelt er vor sich hin. Die Sonne beleuchtet den Davoneilenden, der rasch hinter einem Sandhaufen verschwindet.
 
Jeden Abend, wenn Katsukawa sich auf seine leichte Matte streckt, denkt sein Herz voller Freude an den neuen Morgen.
 
Der Vormittag geht hin. Alles erscheint noch feierlich, unberührt, mit ersten Geräuschen.
 
Die Tagesarbeit ist beendet, alles zieht nach Hause. Katsukawa sieht schärfer hinab.
 
Nur in der Ferne nimmt er noch einige Segel wahr die wie in der Luft hängende Leinwandfetzen aussehen.
 
Ruhig liegt der See, eine endlose, stille Fläche, unter ihm. Die breiten Kähne liegen am Ufer, von den Schiffern verlassen. Es ist ein seltsames Singen.

Katsukawa liebt diese tiefe Stille, zu ihr geht er immer wieder, er holt sie, betet sie an, zu ihr geht er immer wieder.
 
In fernen Thälern liegt der erste, wehende Abendnebel, sachte steigt er herauf. Schon hat er sich behutsam zwischen die Zweige der niedersten Bäume geschoben.
 
Die lauten Klänge versinken, sie tönen nur leise noch. Wie hinter einem Schleier. Und schwinden.
 
Katsukawa weiß, nun senken sie in der Stadt die Fenster, alle die, die mir so fern sind, und doch kenne ich sie alle. Jedes Haus liegt offen da wie eine große Veranda. Der Thee wird bereitet. Sie putzen sich, sie tändeln mit ihrem Spielzeug und sehen den Vorgängen auf der Straße zu, oder sprechen mit dem Nachbar.
 
Am lustigsten, wenn ein ergötzlicher Vorfall auf der Straße alle zu einer allgemeinen Heiterkeit vereint.
 
Ruhig liegt der See, eine endlose Fläche. Mit gleichmäßigem Licht darüber.
 
Katsukawa bläst den Rauch seiner kleinen Pfeife vor sich. Der schwebt und duftet um ihn, verhüllt ihn. Einzelne Blätter des Kirschbaumes wehen herab und fallen auf seine Hand.
 
Hervorbrechend flötet es über ihm in langen Tönen. Und fliegt davon. Beglückt sieht er dem Vogel nach. Der fliegt davon zu einer Gefährtin. Beide zwitschern. Ein Regen von Blütenblättern war gefolgt. Die Blüten fallen. Die Nachtigall fliegt durch die Zweige.
 
Alle Gegenstände scheinen in ein verändertes Dasein zu versinken, scheinen ein anderes Kleid anzuziehen und sich für die kommende Nacht zu rüsten. Katsukawa erhebt sich.
 
Geht von einer jungen inneren Freudigkeit getragen seinem Hause zu.


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