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Das Buch der
Dreizehn  Erzählungen

Ernst Schur
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Sechsundzwanzig lose Gedanken des
nickenden Zweiges im Garten


Ein Singsang – den sollst du vor dich hinsprechen, lang-
sam – wie du die Blumen des Weges pflückst, eigenwollig
u. wählerisch, und den Saft aus den Stengeln bedachtlos
ziehst.



Das Antlitz der Geliebten ist lockend und seltsam. Noch habe ich mich nicht ausgesehen an ihren Schönheiten.
 
Flutende Seide, fließt ihr Gewand, rauschend, knisternd, eigenwillige Falten. Schreitet sie langsam den Gang entlang, nicken die Blüten hinter ihr her.
 
Mit geschickten Fingern hält die Geliebte den Fächer, wahrlich, schnell und leicht erscheint mir die Geliebte. Flüchtig, die Gemse des Berges.
 
Fein und lieblich ist unsere Herrin, wie die leichte Blüte, die aus hellstem Himmel schwebend fiel. Nun saß sie still und bescheiden den ganzen Tag, schmückte sich, legte Blätter und Zweige auf Seide. Sah oft auf den Weg.
 
Da kam einer – sie sah es von Ferne, da kam einer – sie sah es von Ferne, der fand ihre schlummernden Reize. Der entdeckte ihre versteckten Lockungen.
 
Kennst du unsere Herrin? Du Fremder?
 
Die Sonne schien festlich in das Gemach, da kam der Geliebte. Husch, hinter den Wandschirm. Der schützte die Kleine. Der steckte sich breit davor. That sehr ernst. Zitterte vor Freude. Da saß sie. Hockte.
 
Aber er fing sie im Haschen. Rohr: knarrte. Der Schirm: umgerannt.
 
So schlecht ist unsere Herrin! Solche Kobolde toben in unserer Herrin!
 
Sie wandelt im Garten und steht: auf wen wartet wohl die Geliebte?

Wißt ihr: als die Chrysanthemen blühten, da war ihr Sinn traurig. Sie saß an der Straße und pflückte in schweren Gedanken, schwer wie Blüten, von den hängenden Bäumen, merkte nicht, was sie that.
 
Da kam er, ein Wandrer von ferne. Sie sprachen ein wenig, sie lachten. Gar nicht lange dauere es, da neckten sie sich, die Gottlosen.
 
Lose Blütenblätter warf sie ihm ins Gesicht und entfloh. Heiter war der Frühlingsabend. Bläulich heiter, weich und freudig.
 
Da kam er ihr nach. Sie verbot es und bat und lachte. Die duftblaue Nacht schon umfing sie. Den nächsten Tag kam er wieder. Da wurdest du angerannt, Wandschirm!
 
Da wurde ich umgerannt!
 
Und es war ergötzlich anzusehen, wie er umfiel. Ganz glatt lag er da auf dem Bauche. Stumm wie eine tote Puppe.
 
Von da ab schmückte sie sich noch einmal so gründlich. Vor dem großen Wasserbottich sitzt sie eines Morgens. Das Haar fällt ihr über den Kopf und liegt im Wasser. Die Naßheit fließt gleich kühlen, glitzernden Perlen über Nacken, Brust und Hals. Da stößt sie an den Rand des Gefäßes, daß es kippte.
 
Im selben Augenblick, da kam jemand vorbei und rief, von draußen: „Liebste, machst du ein Gesicht!“ Da strich sie sich das Haar zurück, sah ihm in die Augen und lachte.
 
Sie wartet im Garten und steht: auf wen wartet wohl die Geliebte?

Sie läßt sich ihr Haar schmücken, alle Tage kunstvoll ordnen. Wenn sie sich vom Lager erhebt, schlingt die Holde ein weißes Band um die schmalen Hüften. Ein leichtes seidenes Hemd legt sie über den Körper. Und kostbare Stoffe schmiegen sich an die Glieder. Das Band des Busens ist breit, leuchtend, doch blaß.
 
Dicke Schneepolster lagen auf knorrigen Kiefern der Felsabhänge. Da ging die Geliebte und pflückte das erste, sprossende Wakana. Leise schwebten die Flocken herab. Die Ärmel ihres Gewandes wurden getupft und gemustert. Mit herrlichen Kristallgebilden.
 
Schon kamen Nächte, herrliche, warme Frühlingsnächte, mit dem ersten Duft hervorbrechender Knospen.
 
Da lag sie und schließ und träumte, murmelte im Schlaf Strophen von seltsam weisen Klange.
 
Flüsternd, unterbrochen, ohne Zusammenhang, dazwischen nannte sie einen Namen. Welchen Namen nannte wohl die Geliebte?
 
Gesichter, verschmitzte Gesichter, Spitzbubengesichter: welchen Namen nannte wohl die Geliebte?

Sie wartet im Garten und steht: auf wen wartet wohl die Geliebte?



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