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Das Buch der

Dreizehn Erzählungen

Ernst Schur
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Die hängenden Blüten


Eine junge Schönheit erscheint, mit lässigen, schleppenden Schritten, sie entledigt sich der hohen Stelzenschuhe. Goldgelbe Jamabuki-Blüten trägt sie im Arm, sie legt sich auf die korbgeflochtenen Wandborte. Dort lassen sie die Köpfe herunterhängen.
 
Einige Blüten behält sie in der Hand, sie setzt sich nieder und sieht nach der Straße. Die liegt verlassen im Abendglanz.
 
Blasse Töne kommen fern vom Dorf. Ein Singen und Brausen, ein Sprechen, das, kaum geboren, schon verdämmert. Wie Töne, die schlafen gehen. Ein Pfiff. Tiefe Stille. Bis das große Rad sich in gleichmäßigem Takte im Dunkel der Nacht durch die Luft zu drehen beginnt.
 
Eine dunkle Gestalt schleppt sich mühsam den Hügel hinan. Nur die Umrisse sind noch erkennbar. Ein Alter ist es wohl, der von weit her kommt. Es sieht aus, als wäre er blind. Als würde er ohne Aufhören so weiter ziehen. Mit gesenkten Blicken. Wie eine Sehnsucht, sich wälzend. In die Unendlichkeit.
 
Die junge Schönheit lehnt sich langsam, fast ohne Willen, schwer wie die Blütenknospen, die über ihr hängen, über das Geländer. Sie greif in die schwanken Zweige der Hecke hinein. Die schütteln und regen sich leise. Wie Tiere im Schlaf.
 
Weiße Blätter rieseln leicht an ihr hinab, in das Dunkel. Sie spricht vor sich hin, in sehnsüchtigem, schweren Klange, einen alten Vers, sie tändelt, sie spielt mit ihm, sie trägt ihn behutsam.
 
Ohne daß sie es merkt, sind ihr die goldgelben Jamabuki-Blüten entfallen.

Doch der dunkle Nachthimmel glüht und leuchtet in einer blauen Pracht.



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