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           Literatur

 

 








Ernst Schur

Erzählungen

Gedächtnisbuch


Die Wolkenreise - Märchen


Was alles an einem schönen, hellen Sommernachmittag passieren kann!

Da saß zum Beispiel ein kleiner Junge am Fenster und hatte neben sich seinen Milchtopf stehen und vor ihm lag ein Bilderbuch, mit schönen, bunten Bildern. Das war alles sehr gut und schön.

Aber er sah: den Löwen, der da so mächtig brüllte, den Elefanten, der sich durch das Gitter mit seinem langen Rüssel einen Apfel langte und den Affen, der an einer Rübe kaute.

Draußen aber schien die Sonne und die Vögel zwitscherten. Am blauen Himmel stand eine kleine, dicke, weiße Wolke, die kaum zu schweben schien, so still stand sie in der Luft.
 
Und plötzlich wurde Erwin – so hieß nämlich der kleine Junge – ganz müde und wäre beinahe eingeschlafen. Es war nämlich so sehr warm und ruhig und still draußen.
 
Erwin dachte gerade: „Ich möchte doch gar zu gern einmal eine kleine, weiße Wolke sein! Was ich da nicht alles sähe! Ich könnte es dann der Mama erzählen und der Lise und die würden sich schön wundern. Das wäre mal etwas ganz Neues.“
 
Und wie er das noch dachte, da war er auch schon eingenickt und schlief. Und im selben Augenblick stand eine große Gestalt neben ihm und wie Erwin aufsah, da merkte er, daß die Gestalt einen langen, weißen Bart hatte und daß der Greis ihn ganz freundlich ansah.

„Beinah wie der Weihnachtsmann“, dachte Erwin.
 
Der freundliche Greis aber beugte sich zu Erwin nieder und fragte:
„Möchtest du einmal das Spiel der Wolken sehen? Es ist ein eigenes Leben und wenn du willst, will ich dir den Wunsch erfüllen und du kannst dir diese Schönheit einmal ansehen.“
 
Erwin aber war ganz starr. Er antwortete gar nichts und machte nur große Augen. Nach einer Weile sagte er forschend:
„Woher weißt du denn, daß ich mir das gerade wünschte?“

„Du hast Glück gehabt,“ erwiderte der Alte; „wer gerade vorm Einschlafen recht was Hübsches denkt, das er sich sehr, sehr wünscht, dem wird im Traum sein Wunsch erfüllt. Der Schlüssel Sehnsucht schließt die Türen zum Traumland hurtig auf. Das ist ein eigenes, großes Reich, von dem die großen Menschen nicht viel wissen wollen. Aber doch ist es da und sehr oft sehen sich die Menschen dahin zurück. Aber dann haben sie nicht mehr – weißt du – die rechte Kraft der Sehnsucht und die Türen bleiben ihnen verschlossen. Wo es aber gerade paßt, da laufen eilends hurtige Boten auf leisen Socken zu uns und bringen uns die Botschaft. Die sind auch zu mir gekommen und haben mich gebeten. Und darum habe ich mich aufgemacht zu dir.“
 
„Aber woher wissen denn die kleinen Boten, was ich mir wünsche; ich habe doch gar nichts gesagt?“
 
„Wünsche haben auch ihre Stimmen; die Menschen hören sie nur meist nicht, weil sie gar so fein sind und es meist so laut bei ihnen zugeht. Sie haben an andere Sachen zu denken und da vergessen sie, darauf zu hören. Aber so ein kleiner Bote, der überall und nirgends ist, der bei dir sitzt, wenn du es gar nicht merkst, der hat ganz andere Ohren. Der hört, was sich die Mäuschen erzählen, und was das Gras wispert, das weiß er ganz genau. Und da kam er zu mir und sagte: Bitte, bitte, geh doch zu dem kleinen Erwin;  der möchte so sehr gern eine kleine, dicke, weiße Wolke sein.“

„ Kannst du mich denn in eine Wolke verwandeln“, fragte Erwin.
 
„Das will ich lieber nicht machten,“ versetzte der Alte, „denn das wäre gar nicht gut für dich. Dann würde deine Mutter sich doch sehr grämen, wenn du plötzlich nicht mehr da wärst und wärst eine kleine Wolke, die von ihr fortfliegt. Dann kann sie dich nicht mehr in den Arm nehmen und du siehst sie nur von ganz oben.“
 
„Wie willst du mir denn aber meinen Wunsch erfüllen?“ fragte Erwin.
 
„Das geht auf andere Weise ganz gut. Du kannst z. B. mit mir eine Reise machen. Und ich kann dich auf eine Wolke setzen und dann segelst du leichthin durch die Luft und siehst dir alles gemütlich an. Wolken haben ihr eigenes Leben und wie ein Märchen ist ihre fremde, ewig wechselnde Schönheit.“
 
„Das wäre sehr schön,“ sagte Erwin, „aber werde ich nicht herunterfallen? Wie heißt denn du übrigens?“
 
„Ich habe keinen Namen, aber du kannst mich Wolkenpapa nennen, denn ich gebiete über alle Wolken und wenn ich will, wirst du sicher durch die Luft getragen, wohin du willst. Du hast wohl doch ein bißchen Angst?“
 
„Ich möchte gerne, aber es muß niemand merken, daß ich weg bin. Denn sonst weint die Mama und sucht mich, Ich bin nämlich ihr Nesthäkchen. So nennt sie mich immer.“
 
Und kaum hatte er das gesagt, da fühlte er sich ganz leicht werden und ein starker Arm hob ihn hoch und entführte ihn. Er lehnte sich fest an, hoch ging es, immer höher, doch die Hand hielt ihn ganz sicher. Und mit einem Mal gab’s einen Schwupps und da saß er obendrauf auf der kleinen, dicken, weißen Wolke, die er vom Fenster aus gesehen hatte. Es war ganz warm und mollig um ihn.
 
Zuerst getraute er sich nicht, sich zu rühren. Es war eine wundervolle Stille hier oben. Als er aber aufsah, sah er nicht weit von sich andere kleine Wolken, auf denen saßen auch Kinder, die winkten ihm fröhlich zu, manche hatten sogar ihr Spielzeug bei sich, und da wurde er wieder mutiger. Die hatten wahrscheinlich ebensolche Wünsche gehabt wie er.

Und wenn die kleinen Wolken sich begegneten, grüßten sie sich und wünschten sich Glück auf der Reise. Es war fast wie ein Singen in der Luft. Dazwischen aber flog lang hingestreckt der Greis, der Erwin geholt hatte; lang hingestreckt fuhr er durch die Luft und sein Gewand wallte, sein langer, weißer Bart flog und so sah er aus wie ein lang hin sich dehnender Wolkenstreif. Er war hier in seinem Reich und die Wolken tummelten sich wie Kinder um ihn. Darum also hieß er der Wolkenpapa.
 
„Singen denn die Wolken?“ fragte Erwin den Wolkenpapa.
 
„Wenn es so recht herrlich ist, wie jetzt, dann erfüllen die Wolken die Luft mit einem leisen Gesang und wenn alles still ist, hörst du sie summen.“
 
Und wie Erwin so langsam dahinfuhr, sah er unter sich wunderschöne Wiesen liegen, in Sonnenpracht. Wie eine lohende Glut flutete in heißen Feuerwellen das Sonnenlicht herab und überschüttete das Land mit warmem Segen.
 
Die kleine, dicke, weiße Wolke bot für Erwin genügend Platz.
 
Es war hier wie ein Reich für sich. Erwin entgegen stieg eine große, dicke Wolke im Luftreich auf. Sie schien ganz unbeweglich, so groß war sie. Sie lag, lastete und träumte. Bewegung war in ihr, ein Quellen veränderte fortwährend ihre Gestalt; aber als große Masse stand sie still.

Kräftig leuchtete das helle Licht in strahlendem Weiß an der Riesenwolke auf. Auf der hellgrünen Erde lag ein Riesenschatten.
 
Und in diesem weichen Schatten, der so warm durchglüht war, träumten unten die Bäume, die so klein waren, wie aus der Spielschachtel und die Flüsse glitten silbern und sacht dahin. Die Blumen blühten in herrlicher Pracht, weiß, gelb, violett leuchteten die Felder. Die Herden weideten; zuweilen hörte Erwin ein Glöckchen und aus den Hütten stieg ein leichter Rauch. Zuweilen auch war es Erwin, als hörte er ein leises Lied singen, das flog auch leicht wie ein Rauchwölkchen in die sommerliche Luft und die zarten Töne waren nur wie ein leises Grüßen in der blauen Schönheit des sommerlichen Lichts, in der Erwin auf seiner kleinen, dicken weißen Wolke dahinschwamm.
 
Dann ging die Sonne unter – denn es war schon spät geworden – und der weiche Abend träumte über den Feldern. Das war ganz anders hier als zu Hause, wo die rote Sonnenkugel hinten immer verschwand und einfach wegrutschte, viel feierlicher war es hier.
 
Die kleinen Wölkchen bekamen einen gelblichen Schimmer, so wie ein Wachslicht aussieht und zogen noch einmal so still dahin. Es schien , als zögerten sie in ihrer Reise und wollten stille stehen. Wie müde Abendvögel sahen sie aus, die die Schwingen zusammenlegen wollen und ausschauen, wo sie rasten können.
 
Das ganze bläuliche Reich lag in gelbliches Abendlicht getaucht und die kleinen Wolken wurden wie mit einem Heiligenschein umkleidet. Sie standen so fern und träumten; ihr goldenes Abendkleid zogen sie sich über. Wie ein letzter Gruß war ihr Scheiden.

 „Das legen sie immer an, ihr goldenes Hemdchen,“ sagte der Wolkenpapa, der gerade langsam vorüberstrich, erklärend zu Erwin, „wenn sie zu Bett gehen wollen. Es ist mit mattrotem Band gesäumt, siehst du?“

„Mama zieht mir immer ein weißes an, aber einen hübschen, roten Saum hat es auch“, meinte Erwin.

Nun aber wollte Erwin sehen, wie es unten aussah. Er legte sich auf den Bauch und steckte den Kopf über den Wolkenrand hinaus.

Da sah er ein trauliches Dorf unten liegen, versunken in Abendfrieden. Abendruhe stand bei jeder Hütte. Und siehe da, golden umrandete auch hier das Abendlicht die Häuschen. Zuweilen brannte schon ein Licht in den Stuben und die Fenster leuchteten dann wie ein kleiner, warmer Punkt. Und eine kleine Kirchturmspitze glänzte heraus aus dem Grünen.

Nur leise hob sich hier und da ein Rauch von den Dächern. Schon dunkelte der Abend. Vor den Türen sitzen Männer und Frauen; aber sie sprechen nicht viel; ihre Worte sind auch müde und dunkel und gehen ihnen nicht schnell von den Lippen. Denn sie wissen, nun ist der Abendfriede im Dorf und den hüten unsichtbare Scharen, die bei jeder Hütte stehen und friedlich und sachte durchs Dorf ziehen. Und wenn diese jemand drinnen im Zimmer finden, der im Dunklen sitzt, dann geht einer leise hinein und zündet ein Lichtlein an. Denn gar so allein im Dunklen sitzen und träumen, das macht traurig.
 
„Paß auf,“ sagte der Wolkenpapa, der sich dicht bei Erwins kleiner Wolke hielt (der Wolkenmantel lag ganz still, lang hingezogen und der Bart flatterte auch nicht, die ganze Gestalt lag wie still schwebend in der Luft, so wie ein Wolkenstreif oft am Abendhimmel still liegt und kaum schwebt) -, „wenn über den Feldern noch ein leiser Lichtschein liegt wie jetzt und die Wiesen schon zu dunkeln beginnen, dann beginnt das Wolkenreich zu glühen. Sieh, wie der Horizont da hinten in flüssigem Gold und Rot schimmert; goldumrandet stehen die kleinen Wolken im dunkelblauen Abendraum, wie von innerlichem Licht erleuchtet. In dieser Zeit ist es in der Welt ganz, ganz still. Kein Blättchen regt sich, kein Vogel singt, sie gehen in ihr Nest zur Ruh. Kein Lufthauch weht.

Sieh, nun beginnt unser Reich, eine phantastische Welt: die Grenzen des Raumes erweitern sich ins Ungemessene, du kannst nicht absehen, wo er endet.“

Eine neue Welt baute sich zauberhaft schön für Erwins erstaunten Blicken auf und er riß die Augen noch einmal so weit auf. Er lag ganz artig auf seinem Wölkchen und wurde selbst ganz still, wie ein Vögelchen im Nest. Das war aber auch zu schön und feierlich hier und es war so hübsch, ganz ruhig dahin zu schweben.

Da sammelte sich ein unermeßliches Meer von Wolken und breitete einen glühenden Traum über die stille Landschaft. Ein tiefes Rot erfüllte den ganzen Luftraum und tauchte ihn in ein purpurnes Dämmern. Alles war von diesem warmen Licht angehaucht und selbst die weißen Wolken schimmerten rötlich. Das nahm immer mehr zu, als glühte der ganze Weltenraum, als geschähe irgendwo ein großes Brennen, dessen Schein sich weithin verbreitete.

Eine ganze Schar rosig angehauchter Wölkchen schwamm in diesem Licht: es war die Herde der Wolkenschafe, die nach Hause getrieben wurde und deren Fell rötlich schimmerte.

Der Wolkenpapa winkte immer mit seiner Hand.

Es war, wie wenn die Wolken sich alle auf dies Zeichen versammelten.

Da stiegen von dem Rand der Ebenen, ganz hinten, Wolkengebilde auf und rings um Erwin sammelten sie sich. Das alles lag friedlich, in stummer Schönheit da und Erwain war’s, als müßte er den Atem anhalten. Denn auch der leise Abendwind war so still, man hörte ihn kaum fächeln. Dann aber ließ das Glühen nach und ein weiches, gelbliches Licht, das mit seinem schleierhaften Dämmer alle Dinge phantastischer erscheinen ließ.

„Abendwind, wehe ein bißchen“, sprach der Wolkenpapa -, und sofort erhob sich ein leises Wehen und siehe da, da verschob sich das Bild. Neue Räume taten sich auf, es war, wie wenn ein Schleier weggezogen würde und neue Welten sichtbar würden.

Die Wolken sahen gar nicht mehr aus wie einfache Wolken. Manche, die sich fernhin breiteten, auf denen das scheidende Licht noch golden lag, sahen aus, wie sonnig sich hinbreitende Flachlandschaften.
 
Vor Erwin lag das Wolkenreich und die Erde war verschwunden.
 
An goldener Bucht lag eine prächtige Stadt. Ganz fremdländisch sah sie aus, wie aus einem Märchen. Häuser mit flachen Dächern bauten sich auf Felsen auf, und die Dächer schimmerten wie Gold. Eine schmale Landzunge lief zu einer Spitze aus und auch die Landzunge war ganz von Gold und rahmte eine weite Bucht ein, die wie mattes Silber schimmerte.

Golden blitzten auch die Häuser und ein weicher, matter Glanz lag über der Bucht, die wie ein großer Hafen dalag. Violette Streifen sind über die Fläche hingezogen, sie leichten schwach und schwimmen in zitternder Bewegung auf der Fläche, die ungeweglich steht und sich nur ab und zu weich nach oben hebt, sich dehnt, als atmete sie auf.

Und in dieser silbrig-matten Flut stehen, traumhaft leicht, silberne Segel. Ein trunkenes Glück schien über der goldenen überflammten Stadt zu liegen.

„Dort wohnt der Wolkenkönig“, sagte der Wolkenpapa, „dessen Abgesandter ich bin. Da aber darf niemand hinein. Nur ab und zu darf ich einzelnen Menschenkindern von fern die Herrlichkeit zeigen, wenn sie gerade so recht träumen. Wolkenschlösser nennen die Menschen solche Träume und sie wissen nicht, daß sie wirklich über ihnen thronen und daß sie nur nicht hineindürfen. Drum aber nennen sie sie so, weil sie ihnen unerreichbar sind.“

„Sieh aber nach der anderen Seite, da ist ein anderes Bild.“

Da war das Licht schon erkaltet; und unwirklich und doch in seiner Kühnheit und Größe verblüffend breitete sich ein anderes Reich.

Eine Schneegebirgslandschaft. Berge, die sich hoch auftürmten. Schneeige Gipfel, wie wir sie auf der Erde Gletscher heißen. Eine riesige Mulde breitete sich zwischen den Hängen, ebenfalls ausgefüllt mit Schnee. Nur die Spitzen dieser Berge empfingen noch Licht und rosig waren ihre Spitzen davon angeglüht.

Ein eisiges Hochlandschweigen lagerte über diesen Bergen. In glatten Wänden stiegen die Gletscher auf und kein Leben zeichte sich.

„Hier ist nur die große, schöne, ewige Ruhe und das Schweigen, das von fern dich grüßt; das ist das Tal der Einsamkeit,“ erklärte der Wolkenpapa. „Da kommen nur die alten Wolken hin, die sich nach Ruhe sehnen. Die Wolken sterben nie. Wenn ihr sagt, es regnet, dann kommen sie zu euch auf die Erde hernieder, da sie sich auch diese ansehen wollen. Sie steigen dann in Nebeln wieder auf und hüllen die Erde in Dunst; sie breiten ihr Reich überallhin aus. Das hast du dir wohl nicht träumen lassen, daß es hier bei uns so viel zu sehen gibt, wovon die Menschen auf der Erde gar keine Ahnung haben.“

Fern wie eine Erscheinung blieb das Bild.

„Und nun sieh nach der dritten Seite!“

Da war noch alles in sanfter wallender Bewegung, als aber eine Weile vergangen war, in der eine stetige, rastlose Verwandlung vor sich zu gehen schien, die ein Bild in das andere schob, da stand schließlich ein neuer Anblick da.

Eine riesige Sandebene dehnte sich, ein Wüste. Auch hier ragten seitlich Berge. Doch waren sie weiter voneinander gerückt und die Ebene, die Wüste trat beherrschender heraus.
 
Mitten in diesem unendlichen Flachland führte eine schmale Straße zu einem fernen Ziel. Da bewegte sich ein Zug von Reisenden in Wolkengewändern; schwebende Gestalten, eine Karawane.

Seitlich, weiter nach hinten zu, winkte eine Oase; da standen Bäume, eine ganze Gruppe, mit hängenden, großen, schweren Blättern. Langsam bewegte sich die Karawane darauf zu.

„Paß auf, nun sinkt die Sonne. Das geht ganz schnell.“

Eine dicke, schwere Wolke zog mit einem Male herauf, schwebte dicht über der Erde, die nun wieder sichtbar wurde, als ein großes, mächtiges, ganz dunkles Feld. Und andere Wolken folgten.

Kein Licht, kein goldener Schimmer umhüllte die luftigen Gebilde. Sie schienen tot und ihres Lebens beraubt; sie schwebten ohne Glanz dahin. In blaugrauer Schwere lagen sie tief herab, senkten sich bleiern über die dunklen Felder und der ganze Luftraum wurd bleich und glanzlos, blau und kalt.

Da wurde Erwin etwas kleinlaut. Der Wolkenpapa aber blieb bei ihm und sagte:

„Nun will ich dir aber noch unsere Nachtwolkenherrlichkeit zeigen; da wirst du staunen, die ist noch viel, viel schöner als all die Bilder, die du mit deiner Laterna magica machst.“

Da wurde Erwin doch wieder neugierig und guckte heraus. Und siehe da, da war es Abend geworden. Ein schöner, tiefblauer Abend.

Silbern schwebte der Mond still herauf. Drunten auf der Erde wurde es dunkel. Erwin sah hinab und sah die Wiesen dunkeln. Seen lagen auf den Feldern und da glänzte der silberne Mond hinein und sie öffneten sich wie dunkelglänzende Augen. Aus allen dunklen Dingen strahlte eine Helligkeit auf. Erwin sah von oben in einen großen Garten; die Bäume standen trauernd wie schwermütige Zypressen da; ein großes Wasserbecken lag melancholisch und leer da; nicht weit davon, im Garten, lag ein altes Schloß, an dessen weißen Mauern das Licht silbern herabfloß.

Dann aber blickte Erwin wieder hoch und da sah er den kalten und so geheimnisvoll leuchtenden Mond nicht weit von sich stehen; er schwamm als weißlich leuchtende Kugel in einem Meer von Molken, die ihn umgaben, wie eine Herde Schafe den Hirten umschwärmt. Weiterhin aber wurde die Dunkelheit schwächer erhellt; träumend zogen die Wolken in diesen Regionen einher; wie schlafwandelnd schwebten sie, in trunkender Schönheit, und es war, als badeten sie ihre Schönheit in diesem Licht, in dieser reinen Stille, die von weißlichem Glanz ganz erhellt war. Es war ein Meer silbern er Wogen. Und wie Erwin sich suchend nach dem Wolkenpapa umsah, da sah er, daß dessen Greisenhaar ebenfalls weithin zu flattern begann. Da merkte er, daß ein Wind sich aufgemacht hatte und er sah ängstlich um sich.

Da nahte aber schon der Wolkenpapa und nahm ihn begütigend in seinen Arm und barg ihn in den großen, tiefen Falten seines Mantels.
 
Es wurde ganz einsam um Erwin und auch der Wolkenpapa sagte nichts mehr. Er fühlte nur noch, wie das kleine Herz Erwins in seiner Riesenhand pochte und da wußte er, daß Erwin große, große Angst hatte und nach Hause wollte, wenn er es auch nicht sagte. Und da hatte er Mitleid mit ihm.

Und plötzlich gab’s einen Plumps. Da erwachte Erwin. Er spürte einen Kuß auf seiner Stirn und als er den Kopf hob, sah er über sich das Gesicht seiner Mutter.

„Du hast wohl geschlafen“, sagte sie. Und strich ihn über die Haare.

Schlaftrunken wie er war, hob sie ihn empor.

„Ich war bei den Wolken.“ Das aber hatte er so leise gesagt, daß ihn seine Mutter gar nicht verstanden hatte.
 
Erwin lehnte seinen Kopf an den Hals der Mutter. Die trug den kleinen, müden Kerl in die Wohnstube und setzte ihn an den Eßtisch, wo er seine Griesspeise vor sich stehen fand. Aber er sah mit so verträumten Augen in die Welt, daß ihn Mama immer streicheln mußte, so schwer war das Köpfchen.
 
Gern hätt er erzählt, wo er gewesen und was er alles gesehen hatte, aber er konnte sich noch gar nicht ordentlich zurechtfinden, und als ihn die Mutter dann ins Bett legte, sagte er nur: „Es ist doch ganz gut, daß ich wieder hier bin; es war so sehr weit weg.“
 
Und als ihn die Mutter erstaunt fragte: „Ja, wo warst du denn eigentlich?“ da brachte er seinen Mund dicht an ihr Ohr und legte seine Arme eng um ihren Hals und flüsterte:

„Ich habe eine weite Reise gemacht; im Wolkenreich war ich und der Wolkenpapa läßt dich grüßen.“

Da aber machte die Mutter ein Gesicht: „Im Wolkenreich warst du? Das muß aber schön gewesen sein. Das mußt du mir morgen alles erzählen, wie es da ausgesehen hat. Nun mußt du aber schlafen.“
 
Da bekam Erwin noch einen Gutenachtkuß extra und schlief ein und wer weiß, vielleicht hat er im Traum wieder eine große Reise gemacht.
 
Draußen aber zogen die leichten Wolken in der lauen Sommernacht dahin, schwebten am Mond vorbei und zogen schweigend weiter. Die sah aber Erwin nicht. Sie aber sahen herab von ganz, ganz oben und da sahen sie wohl auch das Haus, in dem Erwin lag; und in das ganz, ganz kleine Fensterchen, hinter dem Erwin schlummerte, guckte um Mitternacht, als es niemand merkte, neugierig der Mond herein und wollte sich doch den kleinen Gesellen einmal ansehen, der die Wolkenreise gemacht und ihm vor ganz kurzer Zeit noch ins Gesicht geguckt hatte.
 
Wo er wohl liegen mag, dachte der Mond; denn er konnte ihn nicht gleich finden; ich will ihn mir mal suchen.
 
Und richtig, da konnte er, wenn er das Gesicht ein bißchen schief legte, durch einen Spalt in den Vorhängen in das Zimmer sehen und wenn er da ein bißchen um die Ecke guckte, sah er, ganz hinten, in der Ecke des Stübchens Erwins Bett stehen. Aber der Mond mußte lange suchen, bis er es fand. Denn von so hoch oben erschien es ganz, ganz klein; viel kleiner als eine Nußschale, so daß es kaum zu sehen war und der Mond seine Augen ordentlich weit aufmachen mußte, um etwas wahrzunehmen.
 
Als er Erwin aber entdeckt hatte, da betrachtete er ihn lange und leuchtete ihm durch den Spalt in den Vorhängen ganz hell ins Gesicht und wenn Erwin nicht geschlafen hätte, dann hätte er gesehen, wie vergnügt der Mond schmunzelte.



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