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Achtes Kapitel

Leben der Seele

Ernst Schur
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Quellenangabe



eh du mit mir, du fremde Seele! Es ist gleich, wer du bist! Es ist gleich, wen du liebtest, geh mit mir. Du sollst bei mir sein, ich will dich spüren.

enn das Leben der Seele ist ein Wandern, ein unstätes Warten. Bald sitzt sie still und träumt und ist glücklich. Aber das ist nur eines Augenblickes Glück. Bald fühlt sie eine Sehnsucht, die sie treibt, eine Sehnsucht, die sie von irgendwoher magnetisch an sich lockt. Sie ist einsam. Und die Einsamkeit ist oft still und trostreich, und da hört sie die Laute der Einsamkeit. Sie ist aber auch drohend und drückend und lastet schwer. Weite dich! O Seele und lau­sche!

eh du mit mir, du fremde Seele. Hörst du mich rufen? Du kommst, denn ich will es. Ich brauche eine Kraft, die neben mir geht. Vielleicht werde ich später ganz einsam sein. Hörst du den letzten Ruf?

u gehst in einem fremden Lande in Ketten. Fremd alles, was du siehst, fremd, was sich zu dir drängt. Ich suche und suche — nichts naht mir, dem ich freundlich bin. Geh du mit mir, du fremde Seele. Es ist gleich, wer du bist. Ich kenne dich. Ich spüre deine Kraft und ich kenne deine Schwäche.

ie Seelen, die mich umschwirren, sind fremd und be­drohlich. Ich lese in ihnen wie in einem aufgeschlagenen Buche und finde nichts Gutes. Es ist soviel Unwille und Unklares darin, ich sehe soviel verwischte Zeichen. Schlecht ist die Sprache, die ihre Sinne reden. Eindeutig, monoton und grob. Sie sind nicht langsam geworden, sind nicht langsam gereift. Sie sehen aus wie schnelle Mach­werke, die ein spekulierender Geist eilig fertigte und auf den Markt warf. Nun lallen sie alle wie Puppen dieselbe Sprache. Darum erstaunt der Blick, trifft er ein verschlos­senes Buch, eine unenträtselte Seele, die noch nicht alles von sich weiß, die noch nicht alles hinausschreit. Es ist ein tiefer Eindruck, eine Seele zu finden, auf der geschrieben steht: ich weiß noch nicht alles von dem genaueren Inhalt meines Wesens.

ede Seele ist eine Erzählung ohne eigentliche Spannung und ohne viel Geschehnisse. Auch fehlt der bestimmte Zu­sammenhalt, wenigstens für uns. Dies ist das Große an der Erzählung, und diese Gesamtstimmung ist die Wahr­heit, die wir von der Seele wissen. Der Tag geht hin. Stun­de um Stunde verrinnt. Und so geht es Jahr um Jahr. Du wirst nicht viel mehr von dem wissen, wofür du einst Kraft und Worte aufwendetest. Die Zeit ist vergangen und dir ist nicht viel dafür gegeben worden.

Beschreibe dein Leben, das Leben der Seele so, wie es dahingeht. An tau­send Momenten ist es reich, die unscheinbar sind. Ohne viel Aufwand an künstlerischen Mitteln zu verschwen­den, der nur verwirrend und veräußerlichend wirkt. Auch nicht mit jener bettelnd bescheidenen Geste, die um Ver­gebung seufzt und immer traurig blickt. Sondern einfach so, wie das Leben hingeht, mit fast aktenmäßiger Genau­igkeit und Trockenheit, treu, gefaßt, klar, gleichbleibend. Gerade die Abwesenheit jeder literarischen Mache, das Verschmähen all der verlogenen, großen Formen, deren sich die Künstler bedienen, um die Menge zu locken, die das einmal Geprägte gläubig annimmt, um in diesen Be­cher ihre Empfindungen hineinzugießen, statt daß diese Empfindungen, von innen herausdrängend, die Form erst gestalten. Es ist so, wie wenn ein Architekt ein fremdes Gebäude als Schema übernimmt und nun zusieht, wie er seine Anlage darin unterbringt. Statt daß die notwendige, innere Anlage, nach außen drängend, das Gebäude gestal­tet. Drama. Roman. Gedicht.

erade die Abwesenheit jeder literarischen Mache prägt die charakteristische Physiognomie.

as Leben der Seele geht dahin in schauerlicher Stille, in erhabener Monotonie. Man kann weit in die Ferne und in die Vergangenheit zurückblicken im Land der Seele. Die, die nach Reiz und Aufregung jagen, erschöpfen sich in Äußerlichkeiten und geben zu erkennen, daß sie nicht die Seele lieben, nicht zu ihr streben. Herrlich ist es für den Eingeweihten, den Kampf mit anzusehen. Eigentlich ist niemand ganz verloren. Nur da, wo der Reiz bewußt ge­sucht wird, statt daß aktives Wirken ausgelöst wird durch mich selbst, da ist eigentlich schon die Grenze überschrit­ten.

ie Ausdehnung der Seele ist unendlich. Alles Einzelne verschwindet darin. Der Schrei des Einzelnen verhallt und wird bald nicht mehr gehört, und oft findet der Kummer niemand, der ihn tröstet.

eele ist nicht Mitleid, wie es so oft verwechselt wird. Die Seele ist ein strenger Zuschauer des Lebens. Sie läßt die Hand von zu schneller Hilfe. Sie ist eine sich entwickeln­de Kraft. Als solche weiß sie, daß Hilfe nichts Dauerndes leistet. Sie will das Sein. Darum sieht sie oft teilnahmlos und starr dem Geschehenen zu und wird hier sogar mit­leidlos gescholten. Die Seele steht wie ein Hüter am Tor der Entwicklung. — Denen, die nach Trost und Erqui­ckung jammern, erscheint das Land der Seele wie eisige, starre Schneefelder, wie die grausame, kalte Natur, die stumm bleibt, wenn auch tausend Opfer in ihrem Schoß verbluten und untersinken. Stumm, ruhig und groß sind die Linien der Natur und der Seele. Eine erhabene Mono­tonie, die kein Erbarmen herbeisehnt. Erbarmen ist Ab­hülfe, Umbiegen, Beseitigen. Der Weg der Natur und der Seele zeigt aber immer nur geradeaus und ihr Drang ge­bietet: weiter. Beide sind Kraft, Kraft, die sich in großen Linien auswirkt. Es hat nichts mit ihnen zu tun, wenn die Einzelnen fallen, leiden, jammern und stöhnen.

ie Seele wird vielleicht vorübergehend von Mitleid be­wegt, wenn sie sieht, wie jemand umstrickt wird von ei­sernen Ketten, wie ihn fremde Kreise wie mit Polypenar­men umschlingen, ihn herunterziehen zu sich, ihn in ihre Zusammenhänge zwingen. Denn bald ist der Einzelne ge­fangen in den Ketten und seufzt und folgt dem Zwange der Knechtschaft — und bald wird er stumm. Dieses vor­übergehende Mitleid ahnt die Möglichkeit der Eroberung neuer Kraft in diesem Unterliegen. Ist der Einzelne aber unterlegen, so ist er für sie verloren. Die Seele kennt kein Nachtrauern.

tumm wie die Natur. Schweigt sie vielleicht aus demsel­ben Grunde? Ist auch sie übermäßig in Fesseln geknech­tet, unterdrückt? Schließt sie die Lippen aus Qual, aus Verzweiflung? Wen die Unterdrückung übermächtig knechtet, der preßt die Lippen unerbittlich zusammen. Kein Laut dringt über sie. Stumm wie die Natur?!




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