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Dreizehntes Kapitel

Leben der Seele

Ernst Schur
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berall da, wo dieser Grund der Seele aufgelockert ist, da be­ginnt eine Rede, ein Bekenntnis. Es mehren sich die Sager, die Gestalter, die wir große und ganze Künstler nennen, die mit anderen Kräften operieren als mit Wortkünsteleien. Sie denken nicht daran, kleine Werke nach Rezepten zusammenzubauen. Ihr Schaffen ist ein Ausströmen. An diesem Ausströmen hat der klügelnde Verstand nur geringen Teil. Wie sollte auch das, was mit Naturgewalt strömt, so leicht zu begreifen und zu be­urteilen sein. Der Verstand dient. — Freilich will die Menge, und vor allem die schreibende und lesende Menge, Werke in der alten, gewohnten Art und Form und vergißt ganz, daß, wie das Individuum sich erneuert, auch seine Organe sich erneuern und die Entwicklung Vervielfältigung, Verfeinerung bedeutet. Veredlung ist zugleich Vereinfachung.

iese Künstler lauschen auf die inneren Stimmen. Sie hören auf die Worte, die Aufklärung geben über ein ganzes, sinnvol­les Streben und holen aus Unterdrückung und Qualen, in de­nen der Einzelne sich windet, Erkenntnisse der Befreiung.

  iese Stunde ist die Stunde der Entscheidung, die Stunde der mahnend pochenden Entwicklung. Es wallt der Wille, Schleier verbergen die Fernsicht. Und dem Untergang scheint das Da­sein geweiht. — Doch auch diese Zeit geht vorüber. Die Herzen werden ruhiger. Die Lippen beginnen zu singen und das Auge sieht Schönheiten und Offenbarungen.

it antiker Größe stellt sich das Unbestimmbare, das Fluten­de, die Seele, die Kraft als Erscheinung hin, und sie redet in ru­higen, gemessenen Worten von sich selbst und erhebt die Dichtung auf höhere Stufen. Sie gibt ihr neue Mittel zur Gestal­tung. Bald sammeln sich Scharen von Bekennern. Sie fühlen ihr Sehnen und ihr Ringen. Führer und Propheten erstehen.

ie Musik ist die eigentliche Form der Seele. In ihr gibt sie sich unmittelbar. Sie ist weit und unendlich, wie die Grenzen der Seele weit und unendlich sind, unergründlich, tief wie ihr Fühlen, aufschluchzend und herrisch sich bäumend. Trunken und wehmütig singende Melodien, deren innere Linien hervor­leuchten wie Geschmeide. Diese Musik muß eingehen in den Rhythmus des Wortes. — Was innerlich geschaut ist, soll das Wort bilden. Dem Wort ist eine hohe Aufgabe gestellt, weil es die anderen Kräfte in sich vereinigen kann. Es ist Musik, es ist Malerei. Zumeist allerdings will man seine Kraft knechten und ihm die geringe Bedeutung, die es zu Beginn seiner Ent­wicklung hat, als bloße „Mitteilung" wie eine Last und Ver­pflichtung auferlegen. — Doch wird dies Neue kommen und es kann erst kommen, wenn die Entwicklungslinien sich klären, wenn der zuckende Mund nicht mehr dumpfe Klagen stöhnt. — In der Dichtung gibt sich uns dann die Welt, ihr Sinn, ihr Stre­ben, ihre Rätsel, ihr Ringen. Und Form wird werden, was unge­klärt noch in Dumpfheit sich quält.

olche Zeiten prunken nicht mit Programmen. Die Stunde der Entscheidung naht. Es schlägt die Stunde der Entwicklung. Zu­weilen schon leuchtet die Ankunft dieses Neuen auf, und trun­ken und wehmütig singt die Ahnung eine verhaltene Melodie, die nicht laut werden darf. Es wird kommen, dieses Neue, Rei­ne, Große. Neue Klänge einer befreiten, immer voller sich aus­wachsenden Seele, deren Kräfte alles durchdringen. Frei und unendlich wird sie kommen und sich restlos schenken. Diese Ansätze, dieses Aufflackern überall, die oft zu grotesken Gebil­den sich verzerren, da sie die Bahn noch nicht kennen, kom­men kaum über das Unbewußte hinaus. Und der Geschmack und die Entlehnung und die Formel ersetzt das Formen. Aber das Muß fehlt, die originale Empfindung fehlt. — Der Bildner dieser Sehnsucht kommt, der die Sehnsucht der schlummern­den Massen gestaltet, der die Ekstase des Moments bannt. —

n seinen stillsten Momenten ist dieses Neue tief und gläubig. Es liebt die Erde, weil es Kraft ist und weil es überall auf Erden Kraft spürt, die in den unscheinbarsten Dingen wirkt und wohnt. Selbst in dem Widerspenstigen ehrt es noch die Kraft, die Widerstand weckt. Es unterscheidet nicht Gut und Schlecht. Es will nur Kampf und Sehnsucht und Ringen nach Licht, Sonne, Glück, Freiheit. Um alles andere ist es unbeküm­mert. Denn alles andere ist Folge. Es folgt diesen Spuren nach und ergibt sich notwendig zum Schluß als Frucht. Die Welt soll voll sein von Sehnsucht nach Entwicklung und Zukunft. So wird sie vollendeter werden. Denn Entwicklung ist Entfaltung. Und die Gegenwart hat damit zu tun, jetzt erst das zu verwirk­lichen, wovon frühere Jahrhunderte träumten. Langsam schreitet die Zeit. Was später wachsen soll, das Samenkorn dazu muß lange, lange schon in die Erde gelegt sein. Nach Jahrhunderten so lautet der Spruch der Zeit, der die Ungedul­digen mit Haß erfüllt, die Wissenden tröstet. — Auf dieser Erde sollen Menschen wohnen, die kämpfen und sich sehnen, sich nach Licht, Glück, Sonne, Freiheit sehnen, das alles heißt: nach Entwicklung, nach Zukunft.

iese Worte werden ehern und notwendig sein und doch vol­ler unbestimmter Weichheiten. Ehrfurchtgebietend und demütig zugleich. Wie aus tiefster Unterdrückung lösen sich die reinsten Klänge aus. Und die Dichtung, die nicht in Alltäglich­keiten sich erschöpft, nicht in sinnlos verwischende Melancho­lie sich verliert, keiner Romantik huldigt, Schlagworte und Er­örterungen, sowie allzulaute Programme verabscheut, diese Dichtung wird frei und lauter dastehen und ihre Zeit als ein unentwickeltes Wartestadium ansehen. Sie wird die Dichtung sein, die der Welt sich zuwendet. — Ist die Zeit der Qualen vor­bei, die nur Blut in Zahlung nimmt, dann werden die Herzen ruhiger schlagen, die Lippen, die Wehmut- und Todeslieder sangen — weil die Gegenwart sich selbst allzu beschränkt als Ausgangspunkt nahm — werden in befreiteren Melodien ju­beln. Dann werden die Herzen, die dem Tod sich weihten, neu­en Frühling ahnen und dieser stärkeren, reineren Zukunft ent­gegenschlagen und das Auge, das nur Leichen, Blut und Ver­zweiflung sah, erkennt dann Schönheiten und tiefere Offenba­rungen. Die Dichtung ist dann eine Welt selbstgeprägter Er­scheinungsformen, in denen das Universum in einem kristal­len klaren Dasein seiner Vielfältigkeit sich bewußt wird und sich selbst im Spiegel sieht, ohne Zweck, ohne Zwang, reich und allseitig, antik und modern.





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