m Leben der Seele begegnen wir Gefühls- und
Empfindungstiefen, einer Reinheit des Ursprünglichen, einer ewigen
Neuheit
und Erneuerung, einer Frische der Aufnahme und Abgabe, die sich bis zum
orgiastischen
Taumel erhebt. Sie versetzt den feinen Beobachter, den leisesten
Erlauscher
immer wieder in Erstaunen. All das lebt und ruht unterirdisch unter
einer zeitlich
- augenblicklichen Hülle und Decke, die Kultur heißt und die nur
angenommen
ist. Die der Mensch, der ganz Mensch sein will, der Mensch, der Tier
und
Pflanze und Stein und Atmosphäre fühlt, in sich fühlt, nur als Kleid
gebraucht
und zeitweilig als Waffe. Nackt ist er, nackt sein Leib, seine
Glieder, nackt
auch die Seele; denn sie ist für ihn ebenso sehr Leib. Unterirdisch
fluten
unter der Decke des geregelten Beginnens und Handelns, das der Verstand
regelt,
die Wünsche. Eigen und vielfältig ist die Mischung, unentschieden,
kindisch,
roh, vielleicht, aber in diesem Nebeneinander auch tiefsinnig,
weisheitsvoll,
glühend und aufstrebend zur Sonne. — Man hat oft gefragt in unserer
Zeit, ob
Tiere und Pflanzen Seele haben. Und diese Fragestellung ist gerade
heute
besonders wichtig, da die naturwissenschaftliche Forschung diese
Gebiete neu
gelockert. Aber die Frage scheint eher umgekehrt gestellt werden zu
müssen:
Haben die M e n s ch
e n n o
c h Seele?
nterirdisch
rauscht das tiefere Geschehen, das den nach innen gekehrten
Blick in seinen Bann zieht. Wir finden in diesen vorüberflutenden
Wirbeln, die kommen und gehen, und das wir unser Inneres nennen,
alles, was je an der Entwicklung arbeitete. Rudimente,
Entstellungen erinnern daran. Ein ungeheures Arsenal von
Möglichkeiten finden wir hier. Überraschend erscheint uns oft
die Ähnlichkeit mit vergangenem Fühlen, das sich uns plötzlich
erhellt. Wir fühlen einmal wie Kinder und dann wie Frauen, und die
Frauen verstehen die Männer und beide ahnt oft in erstaunlichen
Offenbarungen einer plötzlichen Wendung das Kind. So verknüpft
durch die Wiederholung der Geschehnisse der Kreis der Empfindungen
die Geschlechter, die, ursprünglich eins, sich sonderten, und in
Erinnerungen ihrer ursprünglichen Einheiten versenken sie sich in
längstvergessene Perioden ihres Werdens. Darum auch überrascht uns
oft das plötzliche Verstehen fremder Empfindungskreise. Wir
fühlen mit Menschen früherer Zeiten, wir fühlen mit den Tieren,
mit den Pflanzen, ja mit den Steinen, deren geheimnisvoll bewegende
Kraft, sich zu festen Gebilden formt, wir ahnen. Es ist
die Wiederholung der Geschehnisse, die uns aufdämmert. Sie enthüllt
uns mehr, als unser Verstand glauben will. Wir durchleben, wir
durchfühlen die Perioden, die einmal waren und stehen immer am
Anfang. Und der Verstand überredet uns nur, an eine Entwicklung
innerhalb unseres kleinen, begrenzten Kreises zu glauben.
Freilich ist sie da. Aber würden wir die Arbeitstätigkeit der
Ameisen — vorausgesetzt diese schnürten sich ganz ab von dem
allgemeinen Geschehen und glaubten, weil sie emsig und
verständig und berechnend sich tummeln und allerlei sinnreiche
Apparate erfinden, hätten sie eine beherrschende Stellung im
All — für eine geistige Entwicklung halten? Wenn wir fähig sind,
unseren Standpunkt hoch genug zu wählen sind wir mehr als — wimmelnde
Ameisen? —
er
im Menschen wirkende Herrschtrieb läßt ihn oft die tollsten
Beweisexkurse sich erlauben. So wird oft die Überlegenheit des
Menschen über die andere Lebewelt damit begründet, daß dem Tier z.
B. das geschichtliche Bewußtsein fehle. Das heißt: erst wird
klüglich festgestellt, was der Mensch hat und was das Tier nicht
hat. Dann wird daraus bewiesen, daß dies für den Menschen eine
höhere Stufe bedinge. Das wäre geradeso, als wollte das Tier,
nachdem es herausbekommen hat, daß dem Menschen der Spürsinn in dem
Maße fehlt, wie es ihn selbst besitzt, daraus nun für sich eine
höhere Stellung herleiten. — Das sind alles Tatsachen, die eben
Tatsachen sind und deren Feststellung und Erwähnung keine
Bevorzugung erheblicher Art zur Folge hat. Die Verteilung dieser
Tatsachen gibt kein Recht, die Aufeinanderfolge einer Stufenleiter,
einer Rangordnung abzuleiten. — Gewiß hat jede
Lebenserscheinung seine Spezialfunktion. Aber wenn etwas den Menschen
erheben würde über ein anderes Geschlecht, so müßte es die
Fähigkeit sein, die er auszubilden hätte, daß er eben nicht nur
sein Spezialbewußtsein kultiviert, wie jedes Tier, jede
Pflanze, jeder Stein dem in ihm wirkenden Drängen folgt, sondern daß
er gewissermaßen sich selbst außer sich stellt, sich selbst
sieht und so sich in den Zusammenhang einfügt, wodurch er Kraft
gewinnt. Dem Tier ist es eigen, seinem Instinkt zu folgen. Des
Menschen Instinkt ist sein Verstand. Er muß also, um sich über die
Tierheit zu erheben, die Kraft herausspüren, die mehr ist als
Verstand. Er muß zugleich über sich hinaus- und
zurück-streben. Aus der Resultante dieser beiden Zielrichtungen
ergibt sich der Weg der Freiheit.
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