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Seele ist ein großes,
unergründetes Rätsel. Sie ist ein Land mit ungeheuren Grenzen, in dem
alles
Einzelne— und
sei es auch noch so groß und vielfältig — untergeht und verschwindet.
Und da, wo diese Kraft sich ganz weitet und ausdehnt, gibt sie uns die
Vorstellung, ja das deutliche Gefühl einer Überwindung von Dimensionen
und
Entfernungen, dem gegenüber wir uns in den Zuständen unserer Erlahmung
klein
und unansehnlich, blaß, verkümmert und zwergenhaft fühlen müssen.
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Seele ist Reaktion, ist Bewegung. Und darum ist sie
alles und lebt mit und in allem. Was wir aber von ihr wissen, ist nur
ein
Abglanz. Das, was in unser Bewußtsein als spiegelnder Schein
hineinfällt, das
erfahren wir. In expansiven Zuständen erweitern wir dieses Gebiet und
erhalten
Kenntnis von dem, was uns sonst verschlossen bleibt. Wir lüften einen
Schleier.
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wir wissen, ist nur ein Teil dessen, was wir sind.
Die überschüssige Kraft drängt uns, mehr von uns zu erfahren. Die
Richtungsverschiedenheit
dieser Kraft teilt die Charaktere. Die nach außen drängenden w i r k e
n und
werden ein Teil der Naturelemente, die Anstoß geben. (Sie müssen sich
so
erhöhen, daß ihre Kraft so rein und natürlich ist wie die Kraft des
Baumes,
der wächst, Knospen treibt, blüht — alles ein Drängen, ein
fortwährendes
Erhöhen über sich selbst hinaus.) Die nach innen drängenden r u h e n.
Sie l a
s s e n auf sich wirken. Sie müssen sich so vertiefen, daß ihre Kraft
so frisch
und erquickend ist wie die Stille des Sees, der träumend eingebettet
ist
zwischen grünenden, schützenden Waldungen. Wenn der silberne Mond
aufgeht,
ruht die Fläche — alles ist ein Warten, ein Aufsaugen, ein stilles
Bereit-Sein.
— Das sind — in Reinheit — die weiblichen und männlichen Seelen.
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aber der Wandel der Entwicklung Vermischungen
zuläßt, so trübt sich diese Reinheit, und innerhalb eines Menschen
kämpfen
diese beiden Gegensätze miteinander. Es finden Übergänge und
Verschiebungen und
Umkehrungen statt. Unter diesem Zwiespalt leidet der Wille. Auch gibt
es
Seelenvereinigung, d. h. Vereinigung wirkender und ruhender Kräfte, so
daß
eine Einheit zeitweilig hergestellt wird. In diesem Hinstreben
zueinander
liegt eine Bereicherung. Eines fühlt die Tendenz des anderen und nimmt
fortab,
nachdem es die Richtung dieses Strebens, seine Art, seine Dauer gespürt
und
erfühlt hat, dieses Außer-Ihm-Befindliche in seinen Bereich, in seine
Welt auf.
So leben beide mit- und ineinander. Und die Seele fühlt diese
Bereicherung
nicht als Zwiespalt, sondern als Wachstum.
Es gibt Charaktere, die
gleichsam von Anbeginn an diese Verschiedenheiten in sich vereinigen
und
diesen Zustand nicht als Störung empfinden. Die wirkend und ruhend,
ruhend und
wirkend sind. Die Anstoß geben und Aufnahme erwarten, die warten, um
aufzunehmen und drängend Anstoß geben. Diese wechseln scheinbar immer
und sind
bald mehr das Eine, bald mehr das Andere. Sie brauchen eigentlich keine
Ergänzung. Sie sind ein Ganzes. Die zerspaltene Natur versöhnt sich in
ihnen zu
einer Einheit. Dennoch werden sie sich dahin getrieben fühlen, sich zu
erweitern, sich mit anderen zu vereinen. Es ist eine Probe für sie, ein
nochmaliges, tieferes, wissenderes Erschauen. Diese Charaktere haben
die
Tendenz zu allseitigem Erleben.
Ihre universale Kraft ist über ihnen und schwebt höher, als
sie es selbst zu fassen vermögen. Darum binden sie sich zu festerem
Beginnen.
Sie vertrauen blind auf die Kraft, die sie hält, daß sie über dem
Abgrund
schwebend hinabblicken können auf die Welt der Wirrnisse.
Ist die zweite Seele
gleichgestimmt, so wird das Leben
diesen zu einem Wechselspiel des Erlebens. Die Melodie der ruhelosen
und doch
immer stillen Natur rauscht und singt in ihren Seelen. Die tierische
Abhängigkeit wird zum freien Bestimmen. Wo für den Einen als
festbegrenzter
Erscheinung Halt und Dunkel ist, da ergreift ihn die Hand des Anderen,
die ihn
langsam weiterführt. So hebt ihnen sich immer tiefer ins Dunkel hinein
der
Schleier der verhüllten Dinge. Die wechselnde Befreiung erleuchtet
immer mehr
ihre Pfade und sie wissen mehr voneinander als sie sich sagen können.
Sie
wissen auch mehr von dem Ewig-Fremden, als andere verstehen.
Seele
ist
Wirkung, Kraft, Bewegung, Reaktion, Reflex. (Kraft r u h t auch.) Was
sie in sich
ist, ob sie mehr ist, als sie uns erscheint, wissen wir nicht. Denn
wir wissen
nur, was sie uns ist, wie sie uns erscheint. Vielleicht sind wir für
sie nur
ein Durchgangsstadium. Der Umkreis unseres Erlebens stellt sich dann
dar wie
die Wölbung einer ungeheuren Kuppel, unter der wir stehen, an deren
bronzenen
Wänden wir die silbernen Tropfen fortwährend herunterrinnen sehen.
Wohin sie
rinnen, wissen wir nicht. Wir sehen aber die Schönheit dieser
Erscheinung. Wir
spüren die Unendlichkeit dieser Bewegung. Und indem wir wachend und
sehend
diese Übertragung, die durch uns als Leiter hindurchgeht, als Welle
spüren,
ahnen wir, daß unser Bewußtsein nur einen Teil dieser dunklen Gebiete
aufhellen
kann. Wir brauchen darum nicht zu fürchten, daß wir damit unserer Kraft
Abbruch
tun. Wir bleiben, was wir sind und wir bleiben unserer Kraft treu. Aber
wir
machen uns ärmer als wir sind, wir entledigen uns sicherer Waffen, wenn
wir
allzu dicht hinter unserer augenblicklichen Existenz das Tor schließen.
Wir
verschütten Quellen, wenn wir diese Verbindungswege verwildern lassen.
Wir
verdunkeln die innere Helligkeit, halten wir nicht diese dunklen Tore
offen.
Der Vollmensch spürt sich und seine Kraft, wenn er sich schwankend
erhält in
dem lebendigen Zwischenstadium, wo die Seele nicht zaudert, sich
seiner zu
bedienen und wo sein Bewußtsein nichts anderes ist als ein Mittel, das
ihm
dient. Es erscheint nicht als höchster Punkt, sondern als zeitweiliger
Durchblick, als gelegentlicher Ruhesitz, als Plateau auf dem Felsen,
das einen
bequemen und s i c h e r e n Überblick gibt.
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